Seite:Die Gartenlaube (1895) 364.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.0

Wie Stropp der Hund wieder freikam.

Von Ernst Lenbach.0 Mit Abbildungen von Aug. Mandlick.

Stropp der Hund war in eine ganz neue Stellung getreten.[1] Bis jetzt hatte er das menschliche Leben eigentlich nur von der Junggesellenseite kennengelernt. Sein erster Herr war nicht bloß Hagestolz, sondern sogar Redakteur gewesen, und bei dem alten Ehepaar Schmitz in der Milchwirtschaft oben am Berge, dem Stropp eine Zeitlang Milch und Eier teils bewachte, teils stahl, war auch nicht viel von Haushalt zu spüren gewesen. Jetzt aber war Stropp in einen wirklichen Haushalt gekommen, und noch dazu in einen ganz frisch gegründeten, mit neuen Möbeln und jungfräulich leuchtenden Teppichen. Gleich nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise hatte ihn sein Herr, Doktor Karl Sassen, feierlich abgeholt und in das neue Heim eingeführt als wesentlichsten Bestandteil seiner eheherrlichen Aussteuer, die an weiteren Hauptstückes noch eine Bibliothek, einen Schaukelstuhl, zwei Tabakstöpfe, vier kunstvoll gezierte Bierseidel und eine Sammlung angerauchter Meerschaumköpfe aufwies. Alle diese wertvollen Dinge verwies Frau Ulla in das Studierzimmer ihres Gatten und ließ ihm die Herrschaft über sie; Stropp aber nahm sie sogleich unter ihre ganz besondere Obhut und verteilte ihre erzieherische Thätigkeit unparteiisch auf ihn und seinen Herrn. Zunächst unternahm sie es, nach einer sorgfältig ausgedachten, von täglichen Waschungen unterstützten Diät ihren vierfüßigen Adjutanten von seiner zunehmenden Beleibtheit zu befreien, die sie schon lange mit Mißfallen betrachtet hatte. In dem weitläufigen Hause, wo sein Herr als Junggesell gewohnt, hatte Stropp der Hund sich durch sein in jeder Hinsicht einnehmendes Wesen und seinen schriftstellerischen Ruf die Herzen aller Bewohner, insbesondere weiblichen Geschlechtes, gewonnen und dies sehr umsichtig ausgenutzt, so daß er, kleinere Imbisse abgerechnet, durchschnittlich immerhin fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag einnahm. Der Herr Doktor ärgerte sich selbst wohl einmal darüber – „was macht das?“ dachte Stropp; „er ist ja Gott sei Dank tagsüber meist in seinem Bureau, und gegen den vereinten Willen mehrerer Weiblichkeiten vermag ein Mensch doch nichts, das weiß ich!“ Mit Wehmut erinnerte er sich vor der einfachen und wohlabgemessenen Haushundskost, die ihm seine Herrin jetzt vorsetzte, an jene Fleischtöpfe Aegyptens. Allmählich aber fügte er sich philosophischen Sinnes in das Unabänderliche, zumal es ihm doch schmeichelte, von einer so schönen Dame bedient zu werden, und schließlich lernte er selbst die Vorteile einer schlanken Leibesgestalt schätzen. Schwerer hielt es, ihn von einigen irrigen Ansichten zu bekehren, denen er bis dahin zwanglos gefolgt war und welche die Natur selbst mit der ganzen Anlage seines krummbeinigen Gestells begünstigt zu haben schien. Seine unschuldigen Versuche, auch im neuen Reiche nach seiner Väter Sitte Löcher in frischbestellte Gartenbeete zu graben und in den Ecken der Sofas und Polsterstühle Knochen für etwaige schlechte Zeiten zu verstecken, schlugen ihm übel aus. Mit unwilligem Erstaunen erfuhr er, bei solchen und anderen Missethaten erwischt, daß auch die Berührung einer zarten Frauenhand unter Umständen in der Muskulatur schmerzhafte Empfindungen hinterlassen kann. Bei alledem entschädigte ihn aber doch die Fülle von lehrreichen Wahrnehmungen über menschliche Verhältnisse, mit der er in der neuen Umgebung seinen Wissensschatz noch bereichern konnte, und nach einigen Monaten war er ein ganz lieber Hund nach dem Herzen seiner Herrin geworden, lag still und bewegt, im zufriedenen Austausch verständnisvoller Blicke zu ihren Füßen vor dem Arbeitstischchen und begleitete sie mit angeborener Würde auf Einkäufe und Besuchsgänge, wo er dann vor der fremden Hausthür auf sie wartete und die Wiedergewonnene mit Wedeln und Tanzen begrüßte.

Eines Tages aber ließ sie ihn ungewöhnlich lange warten. Sie war auf einen Augenblick zu einer Freundin hineingegangen, die auch erst seit kurzem verheiratet war, und Frauengespräche unter diesen Umständen dauern meist etwas länger. Unterdessen saß Stropp der Hund vor der Hausthüre und langweilte sich. Es war ein sehr schöner Frühsommervormittag, die Sonne brannte ihm heiß auf den schwarzen glänzenden Pelz, und die Vögel in den Bäumen der Allee sangen so schön, wie er es schöner selbst im Walde nicht gehört hatte. Das alles ließ in seinem von überflüssigem Fett befreiten Herzen süße Empfindungen und Träume erwachen. Da streifte eine silbergraue Möpsin vorüber und sah schon von fern schalkhaft und verlockend aus ihren Achataugen zu ihm hin. Stropp der Hund unterlag der Versuchung, er ließ sich von der Schönen bethören und folgte ihr, die ihn mit lustigem Necken und Springen bis in die große Hauptallee entführte. Dort trafen sie noch Gesellschaft, Damen und Herren, alles sehr gebildete Hunde aus guten Häusern, und wurden freundlich aufgenommen. Die anderen Herrschaften trugen sämtlich Maulkörbe, denn die Hauptallee gehört bereits zur Stadt und in dieser gilt der Maulkorbzwang, während Stropp und die Möpsin aus der Vorstadt kamen, wo man den Hunden das Maul nicht verbindet. Im Vollbewußtsein seines Reservatrechtes schnüffelte er stolz und mitleidig an den Fesseln seiner städtischen Freunde herum. Plötzlich aber sah er, wie ein wildaussehender Mann mit schwarzem Bart ein Netz über seine graue Freundin warf und die laut jammernde

  1. Die Leser der „Gartenlaube“ erinnern sich gewiß mit Vergnügen des braven Hundes, mit dessen früheren Schicksalen und Verdiensten sie Ernst Lenbachs Novelle „Stropp der Hund“ im Jahrgang 1892, S. 874 u. f., bekannt gemacht hat. D. Red. 
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_364.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)