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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Gefahr für diese Augen steigt erfahrungsgemäß mit dem Alter und wird im 50. Lebensjahre durchschnittlich immer drohender. Für solche Augen ist es in der That am allerbesten, wenn sie gar kein Glas tragen und jede anstrengende Beschäftigung vermeiden. Solche Personen müssen Landwirte, Gärtner, Bäcker, Konditoren, Gastwirte oder Bierbrauer werden, das sind Berufe, die den Augen keine Anstrengungen zumuten und gewiß einträglicher sind als mancher gelehrte Beruf. Auf Momente mögen solche Kurzsichtige sich wohl eines Lorgnons bedienen, z. B. auf Reisen, in Gesellschaften etc., um sich zu orientieren; aber am besten ist für sie die Ruhe des Auges. Ich habe sehr häufig gesehen, daß in späteren Jahren gerade diejenigen Kurzsichtigen böse Komplikationen zeigten, welche permanent scharfe Brillen getragen hatten.

2. Die Entfernung, für welche die Brille benutzt werden soll. Diese Frage ist auch recht schwer zu beantworten. Gegen eine Fernbrille bei schwachem Grade läßt sich nichts einwenden; aber dieselbe Brille kann nicht für die Nähe benutzt werden. Wenn jemand noch auf 1/2 Meter ohne Brille sieht und er setzt sich Konkav 2 auf, so sieht er natürlich damit in die Ferne gut. Wenn er aber durch die Brille auf 1/2 Meter sehen will, so muß er die Brille, die ja dazu überflüssig ist, überwinden. Das geschieht durch stärkere Accomodation und damit stärkere Konvergenz beider Augen; diese Vorgänge aber strengen an und veranlassen Zunahme der Kurzsichtigkeit. Zur Arbeitsentfernung braucht eben ein solches Auge keine Brille.

Anders ist es, wenn das Auge nur bis auf 1/4 Meter sieht, so daß der Lesende sich beständig bis auf 25 Centimeter der Schrift nähern und dabei auflegen muß; für die Ferne braucht das Äuge Nummer 4; für die Arbeitsentfernung von 1/2 Meter wäre das zu stark; hier muß ein schwächeres Glas berechnet werden, mit dem das Auge auf 1/2 Meter sehen kann, das würde Konkav 2 sein. Noch anders wird die Sache beim Violinspielen, wo auf 3/4 Meter die Noten erkannt werden sollen, wieder anders bei den Tischlern, bei den Zimmerleuten etc. Es muß eben von Fall zu Fall geurteilt werden; man kann nicht alles über einen Leisten schlagen, zumal noch sehr wichtige Berücksichtigungen der Augenmuskeln, welche das Auge nach der Nase zu bewegen, hinzukommen, deren Auseinandersetzung aber hier viel zu weit führen würde.

Nur das eine sei noch bemerkt, weil ich es für sehr wichtig halte. Hat ein Kurzsichtiger eine Brille, die ihn in stand setzt, auf 1/2 Meter weit zu sehen, dann muß er an einem Tische sitzen, der so körpergerecht gebaut ist, daß er wirklich lange Zeit sein Auge 1/2 Meter von der Schrift entfernt halten kann, daß er nicht gezwungen ist, nach 5 oder 10 Minuten auf 20 oder 16 Centimeter herabzusinken. Senkt er seinen Kopf, so schadet ihm die Brille; denn er zieht nun die Accommodationsschraube aufs furchtbarste hinter der Brille an, er wird schneller kurzsichtig. Darin liegt die Gefahr, kurzsichtige Schüler mit Arbeitsbrillen zu versehen, solange die Subsellien nicht richtig gebaut und die Kinder nicht nach der Größe gesetzt sind, was ja leider in Deutschland fast immer noch nicht der Fall ist.

In jedem Falle frage man bei Myopie wegen der Brille einen Arzt; der Fall ist oft verwickelt, und Kurzsichtigkeit ist namentlich in höherem Grade durchaus nicht gleichgültig; sie bietet auch in mittlerem Grade ein großes Hemmnis für die Wahl des Berufes und für die Existenz. – –

Endlich sei noch mit wenigen Worten der Uebersichtigkeit gedacht. Man nahm früher an, daß Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit einander gegenüberstehen. Ja, man machte das schöne Wortspiel: „Der Weitsichtige sieht beinahe nichts (bei Nahe nichts), und der Kurzsichtige sieht beiweitem (bei Weitem) weniger.“ Das ist aber ganz unrichtig; auch der Kurzsichtige kann im Alter etwas weitsichtig werden. Der Kurzsichtigkeit, dem zu langen Bau, steht gegenüber die Uebersichtigkeit, der zu kurze Bau des Auges. Das Auge ist dann zu flach. Solche Augen täuschen oftmals Kurzsichtigkeit vor, namentlich in der Jugend; sie sind es aber nicht. Die Uebersichtigen sehen in die Ferne mit Konkavgläsern schlechter; sie brauchen schon für die Ferne Konvexgläser, und da ist denn die Regel sehr leicht zu merken: der Uebersichtige nimmt dasjenige stärkste Konvexglas, mit dem er in die Ferne noch scharf sieht, ohne jeden Schaden. Für die Nähe braucht er noch ein schärferes. Werden die Gläser nicht genommen, so entsteht Ermüdung oder Schielen.

In neuerer Zeit verordnet man auch cylindrische, torische prismatische und farbige Brillen. In einem späteren Artikel wollen wir über diese besonders sprechen.

Möge nur jeder den Satz beherzigen: die Brille ist, wie das Opium, falsch angewendet ein Gift und richtig angewendet ein großer Segen der Menschheit.



Blätter und Blüten.


Verlesung der letzten Opfer der Schreckenszeit. (Zu dem Bild S. 360 und 361.) Die große französische Revolution ist zweifellos für Europa der Herd großer befreiender Wirkungen gewesen, aber sie hat in ihrem Verlaufe auch für alle folgende Zeit der Welt grausenerregende Beispiele dafür aufgestellt, bis zu welchem Grade die menschliche Natur im Rausche der Willkür ihren niedrigen Instinkten verfallen kann. An diese Zeit des „Schreckens“ gemahnt unser Bild. Das furchtbare Revolutionstribunal hatte im Sommer 1793 die Pariser Gefängnisse gefüllt und der Guillotine immer neue Opfer zugeführt. Eine erwünschte Handhabe gab ihm das Dekret gegen die Verdächtigen; jeder Verdächtige sollte eingekerkert und vor das Tribunal geschleppt werden. Es war ein Dekret wie die schlimmsten Gesetze der römischen Kaiserzeit. Verdächtig waren alle, welche sich fürchteten oder Mitleid mit den Opfern der Revolution zeigten, verdächtig, wer seine hingerichteten Verwandten beweinte, wer den herrschenden Gewalthabern und ihrem Anhang mißfiel, jeder, der durch seinen Stand, seinen Reichtum, seine Bildung den Sansculotten ein Dorn im Auge war. Wie schon bei den Septembermorden waren es in erster Linie die Vornehmsten, welche dem Tode geweiht wurden: der alte Adel, alle Mitglieder der älteren Parlamente, Personen des Hofes, frühere Minister und Intendanten. Ein Lichtblick der Hoffnung fiel in die Gefängnisse, als Robespierre das Fest des Höchsten Wesens feierte und in seiner Festrede die Tugend und die Weisheit verherrlichte – Blumen und Kränze, liebliche Musik, weißgekleidete Jungfrauen, ganz Paris im Festgewand – es war wie eine Feier der Versöhnung! Doch schmerzlich war die Enttäuschung; die Schreckensherrschaft erreichte jetzt erst ihren Höhepunkt; der Priester des Höchsten Wesens ließ das Revolutionstribunal fortwüten; jeden Tag wurden 50 bis 60 Opfer auf dem Henkerskarren zum Schafott geschleppt; gleich nach jenem Fest ließ Robespierre ein Gesetz ergehen, demzufolge das Revolutionstribunal ohne alle Förmlichkeiten seines Amtes walten, bloß summarisch und nach seinem Gewissen richten sollte. Vom 10. März 1793 bis zum 10. Juni 1794 wurden in Paris allein 1269 Menschen guillotiniert; in den letzten sechs Wochen aber bis zum Sturz Robespierres, den 27. Juli, wurden noch 1400 Menschen in Paris hingerichtet; die Ernte eines Monats war reicher als die Ernte eines Jahres.

Das Bild des kürzlich verstorbenen Pariser Malers Charles Louis Müller, dessen Original sich in der Luxembourg-Galerie zu Paris befindet, führt uns in eines jener überfüllten Gefängnisse, in welche der Todesengel tritt in Gestalt eines Sendboten des Tribunals, der die für diesen Tag bestimmten Opfer verliest. Aengstliche Spannung auf allen Gesichtern; Verzweiflung dort, wo die Schergen der Gewalt ein Opfer packen und aus den Armen der Familienangehörigen reißen, vergebliches Flehen um Gnade, Thränen des Schmerzes und der Trauer, meist dumpfe Ergebung in das Unvermeidliche; Alter und Jugend dem gleichen Schicksal verfallen, überall Scenen eines ergreifenden Abschieds! Den Gesichtern und der Haltung sieht man es an, daß fast alle, Männer und Frauen, den bevorzugten Ständen angehören; der Maler hat für viele der einzelnen Persönlichkeiten beglaubigte Porträts als Vorlage benutzt. Wer aber bei dieser Verlesung der Todgeweihten leer ausging, der hielt jeden neugewonnenen Tag seines Lebens für ein Geschenk des Glücks. Trotz aller Todesfurcht hatte die Gewohnheit der Hinrichtungen und der angeborene Leichtsinn der Franzosen es dahin gebracht, daß man in den Gefängnissen in den Tag hinein lebte, sich verliebte, Romane spielte, lachte und tanzte. Es blieb ja noch immer die Hoffnung, es könne doch plötzlich die Stunde der Befreiung schlagen. Und diese Hoffnung war nicht für alle eine trügerische – denn am 28. Juli mußte Robespierre selbst den Henkerskarren besteigen, und nach einigen letzten blutigen Zuckungen erreichte die Schreckensherrschaft ihr Ende. †     

Magenleiden und Körperhaltung. Verschiedene Verdauungsstörungen, namentlich aber Magenleiden, werden besonders häufig bei Leuten beobachtet, die viel in sitzender Stellung arbeiten. Die Anlässe mögen verschieden sein, unzweckmäßige Ernährung, Tabak und Alkoholvergiftung spielen darin eine wichtige Rolle, aber eine gar häufige Ursache der Magenerkrankung wird zumeist nicht beachtet. Es ist dies die gebräuchliche seitliche Krümmung des Körpers beim Schreiben, sowie die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_371.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2021)