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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

erfaßt mit ihren zahnlosen aber scharfen und harten Kiefern den Frosch am Beine und weiß ihn mit den scharfen Krallen zu zerfetzen; sie wird selbst größeren Fischen gefährlich und zeigt, wie ich mich oft überzeugt habe, in der Verfolgung der Beute eine unermüdliche Ausdauer. Sie eignet sich darum nicht zur ständigen Bewohnerin eines Aquariums, in welchem wertvollere Tiere gepflegt werden, auch bringt sie den Pflanzenbewuchs in Unordnung. Ich habe aber wiederholt ein mit Goldfischen besetztes, etwa 15 Liter Wasser fassendes Aquarium meinen Schildkröten eingeräumt und habe Gelegenheit gehabt, die Charakterzüge der Schildkröte kennen zu lernen, wie sie mir aus den schönen Werken über unsere Kriechtiere und Lurche, aus Ad. Frankes „Die Reptilien und Amphibien Deutschlands“ und Herm. Lachmanns „Die Reptilien und Amphibien Deutschland’s in Wort und Bild“ bekannt waren. Diese Naturstudien im Hause möchte ich jedem Freunde des Tierlebens empfehlen; denn, wie gesagt, nur durch einen glücklichen Zufall dürfte es Diesem oder Jenem vergönnt sein, die Sumpfschildkröte in Deutschlands freier Natur zu beobachten.

Die Stunden, während welcher sich meine Schildkröten im Aquarium aufhalten durften, waren für sie wahre Feststunden, und sie lohnten diese Vergünstigung durch angeborene Leistungen, die hoch über aller Dressur stehen. Vor allem möchte ich aber die Naturfreunde auf die Schwimmbewegungen der Schildkröte aufmerksam machen. Sie gewannen für mich einen neuen Reiz, seitdem ich aus Mareys trefflichen Beobachtungen über den Vogelflug erfahren habe, daß ihre Bewegungen, wenn auch in langsamem Tempo, sich nach denselben Gesetzen vollziehen wie der Flügelschlag des Vogels. Kein Wunder – die in versteinerten Tierresten geschriebene Erdgeschichte lehrt uns, daß die oft so unbeholfenen Kriechtiere zu den Ahnen der flinken geflügelten Scharen zählen! *     


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Alle Rechte vorbehalten.

Großstadt-Blumen.

Von Richard Nordhausen.0 Mit Abbildungen von A. Kiekebusch.


In ein Papiercouvert gepreßt, mit einem flüchtigen Wort von lieber Freundeshand, so sind sie mir damals ins Haus geflogen, die ersten Schneeglöckchen des Jahres aus dem Fallbrücker Walde ... Ein silbergrauer Nebel wogte um die Häuser Berlins; wenn er auf Sekunden zerriß, sah man den wolkendunklen Himmel oben und unten die hastig vorbeieilenden Menschen, die dem feuchten Dunst entrinnen wollten, dem Qualm, der ihnen wie tückisches Gift in die Lungen drang. Diese umschleierte, regenmüde, traurige Welt – stand sie wirklich dem Frühlinge offen, der doch nach dem Kalender heute seinen Einzug halten wollte? Ich hätte es vergessen und weiter verdrießlich an unerquicklicher Arbeit geschaffen, wenn von den Schneeglöckchen aus dem Fallbrücker Walde nicht goldenes, lenzkündendes Sonnenlicht ausgegangen wäre. Denn obgleich sie, zusammengedrückt und beschädigt, in der engen dunklen Hülle einen ganzen Tag lang unterwegs gewesen waren, hoben sie jetzt im Wasserglase doch die weißen Knospen empor, breiteten ihre Blätter behaglich aus und sandten würzigen Waldeshauch ins Zimmer hinein. Sie zauberten mit einem Schlage all das lenzfrohe Treiben und Werden draußen im Holz, das nun wie ein Dankgebet emporstieg, vor Augen, und ich sah plötzlich aus dunkler Moosdecke ihrer Tausende aufsprießen, lauter weiße Sterne, die mitten in kalter Winternacht vom Himmel auf die Erde gefallen waren. Und ich gab dem Kalender recht, der für heute Frühlingsanfang gemeldet hatte.

Blumengrüße.

Eine Handvoll Blumen bewirkt so große Veränderung, und eine einzige, noch unerschlossene Knospe ruft mehr lyrische Gedanken hervor als alle Frauenschönheit der Welt. Den blasiertesten Großstädter versetzt es in helles Entzücken, wenn er auf einem zufälligen Spaziergange durch den märzlichen Park überall an Sträuchern und Bäumen die verheißungsvollen, grünen Pünktchen schimmern sieht – und weil er in entschuldbarer Unkenntnis des Pflanzenlebens nicht weiß, daß alle diese Triebe schon aus dem vorigen Herbst stammen, verkündet er, heimgekehrt, den aufhorchenden Seinen, daß die Knospen schon hervorkommen, daß es Frühling wird. Und von Stund an bereitet sich alles daheim auf kommende, schöne Tage vor, die ausgeschnittenen Kleider werden in die Garderobe gehängt, jeder Schnupfen, jede Erkältung gilt von nun an als Beweis für den Eintritt milderer Witterung. Nichts ist, das auch den gleichmütigsten, philiströsesten Menschen in eine so poetische Stimmung versetzen könnte, wie die Blume es vermag, sie gilt mit Fug für verkörperte Poesie, sie scheint keinen andern Zweck zu haben, als uns zu erfreuen und unser Herz zu rühren. Wer deshalb eine Anthologie von Liebesliedern herausgeben will, gleichgültig ob in einer europäischen oder in der Suahelisprache, der muß vor allen Dingen die Blumensprache verstehen, muß sich genaue Kenntnis der einheimischen Flora verschaffen. Denn die Dichter entnehmen seit Urzeiten ihre schönsten, üppigsten Bilder dem Pflanzenreiche und sind fast allzusehr geneigt, jede Naturschönheit ins Botanische zu übertragen. Die Sterne scheinen ihnen leuchtende Nachtviolen, der Mond eine Riesenpomeranze, eine Lotosblüte, die aus dunkler Knospe bricht. Sie verfahren instinktiv nach den Gesetzen der lyrischen Kunst, wenn sie immer und immer wieder auf die Blumen zurückbeziehen, was ihnen an Herzensereignissen begegnet; hier, auf einem Felde, daran niemand vorübergehen kann, ohne träumerisch oder mit leuchtenden Augen vor sich hinzulächeln, strömen ihnen in unerschöpflicher Fülle die Gleichnisse und Vorstellungen zu, in die sie abstakte Anschauungen übertragen müssen, um zum Herzen zu sprechen.

Die zärtliche Liebe der Menschheit zu den keuschesten und schönsten Geschöpfen der Natur wächst mit steigender Kultur und mit ihrer zunehmenden Seltenheit. Gerade wie der Städter, und in mancher Hinsicht auch nur der Städter unseres Jahrhunderts, eine fein entwickelte Empfindung für Naturschönheiten hat, die klärlicherweise dem Landbewohner abgeht, weil ihm diese Reize täglich vor Augen stehen, gerade so huldigt auch der Städter dem Blumenkult weit begeisterter als der Bruder Landwirt. Ihm ist im grauen Steinmeer jedes grüne Blatt und jede farbige Blüte ein Kleinod von unsäglicher Pracht, er kann vor hübschen Gartenanlagen, selbst vor schlichten Blumenläden, die nur Kakteen und Hyazinthenzwiebeln ausstellen, halbstundenlang bewundernd stehen bleiben. Er ist geneigt, einen unerhörten Luxus mit kostbaren und teuren Blumen zu treiben, er weiß, daß die lieben Menschenblumen, die holden Mädchen und Frauen, keine Verschwendung so gerne entschuldigen und so dankbar anerkennen wie diese. Die wahnsinnige Tulpenmanie, in der sich die holländischen Mynheers zur Zeit der höchsten finanziellen und politischen Blüte ihres Landes gefielen, in der sie es fertig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_416.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)