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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Der Eingang zum Kerker. (Zu dem Bilde S. 409.) Grinimig genug sieht er drein, Firdus, der bosnische Kerkerwächter in der kleinen, weltfernen Stadt, wo die Türkenherrschaft noch ihre Spuren an Trachten und Bauwerken hinterlassen hat: stolze Rundbogenthore in zerbröckelndem dicken Gemäuer, zierliche Musterung der Fenstergitter, hinter denen Schuld, Haß und Freiheitsdrang lauern wie gefangene Raubtiere. Tabaksschmuggel, Blutrache, wilder Mord, kühne Dieberei, über das alles ist als Hüter Firdus der Schlanke gesetzt, dessen schmale Füße in den breiten Babuschi stecken, wie sein Arm, der nichts ist als stählerner Knochen, und eiserner Muskel, in den weiten Aermeln des osmanischen Kaftans. Waffenstarrend der Gurt: Handschar und Pistole, die lange Flinte mit dem gewundenen Kolben daneben. Unter dem roten Fes flattert das zottige Haar, und die offene Weste läßt den sehnigen Hals frei. Sinnend starren die Schwarzaugen unter der kurzen Stirn auf die sonnige Wand des Kerkerhofes; denn dort über ihm, hinter dem Gitter singt Mate Bucovich, der Schmuggler, den sie vor zwei Tagen erst gebunden hereingeschleppt haben. Er näselt und trillert sein Lied von Ruhm und Freiheit, so gut er’s ohne die geliebte Husla kann, die er zu streichen versteht wie einer! Um die vollen Lippen des Bosniaken spielt ein sonderbarer Zug: halb Verachtung, halb Triumph. Er denkt an jene mondlose Nacht auf dem grausigen Schwindelpfade des Prolegberges – drei Jahre ist’s her oder vier – da er noch kein Wächter des Gesetzes war, sondern selbst ein Schmuggler, wie er seine drei Verfolger niederstach und überwältigte – hinunter mit ihnen in den rauschenden Wald des Thales – hinüber er selbst in die freie Herzegowina, aus der er zurückkehrte, als der Krieg rief! Und jetzt ist Firdus gesetzt über die Mörder des weiten Landes, in dem es noch ein Verbergen und Untertauchen giebt für den Schuldigen, bis die Zeit kommt, da die alles nivellierende Kultur auch jenes Mischvolk von Mohammedanern und Christen, Juden und Zigeunern wird gebändigt haben. B. S.-S.     

Die vier ältesten kaiserlichen Prinzen bei ihren Lieblingen. (Zu dem Bilde S. 425.) Ein langgezogenes, verwittertes Gebäude ist es, welches sich in unmittelbarer Nähe des majestätischen Königsschlosses in der Breitenstraße zu Berlin erhebt: seine Mauern tragen die Spuren des Alters sichtbar an sich und ihre architektonischen Verzierungen weisen auf zwei bis drei Jahrhunderte des Bestehens zurück. Das ist der königliche Marstall, der, wenn der kaiserliche Hof in Berlin residiert, etwa dreihundert der edelsten Reit- und Wagenpferde in den musterhaft eingerichteten Stallungen beherbergt. Neben letzteren birgt der Marstall noch eine geräumige Reitbahn, in welcher die vier ältesten kaiserlichen Prinzen, so lange sie in Berlin weilen, fast täglich zu bestimmten Stunden ihren Reitunterricht erhalten.

Dann entwickelt sich da ein frohmütiges Leben und Treiben! Früh schon haben die kaiserlichen Eltern ihren Söhnen die Liebe zur Tierwelt eingeflößt, und neben unserem edelsten vierfüßigen Hausfreunde, dem Pferde, sind es besonders die Hunde, denen die Prinzen ihr lebhaftestes Interesse zuwenden. Während die Pferde gesattelt werden, werden die Teckels, Terryers und Jagdhunde geliebkost und durch manchen Leckerbissen erfreut. Einen solchen Augenblick hat der Zeichner unseres Bildes festgehalten. Im Vordergrunde kniet der Kronprinz Wilhelm neben seinem Lieblingshund. Neben dem Pony und diesem den Kopf streichelnd steht Prinz Eitel-Friedrich, hinter diesem, eins der noch ganz jungen Hündchen emporhaltend, Prinz Adalbert. Mehr im Hintergrunde sitzt Prinz August zu Pferde. Nach dieser Pause aber geht’s in die Bahn, wo unter der sorgsamen Leitung des militärischeu Gouverneurs der ältesten Prinzen, Majors von Falkenhayn, der planmäßige Unterricht fortgesetzt wird. Der Kronprinz reitet gewöhnlich einen größeren Pony, „Maiblume“, er führt mit demselben nicht nur alle Gangarten aus, sondern tummelt ihn auch mit großer Sicherheit ohne Zügel und Bügel und macht mit ihm bereits dieselben Voltigierkünste, welche die Instruktion der Kavallerie vorschreibt. Auch die drei nächsten Prinzen wissen die Zügel ihrer Ponies schon sicher zu halten und sind bestrebt, es dem ältesten Bruder gleich zu thun.

Am letzten Geburtstage des Kronprinzen überraschten die Prinzen ihre Eltern mit einer mannigfach zusammengesetzten Vorstellung, wobei sie zeigten, wie sie ihre Pferdchen in der Gewalt hatten und wie gehorsam dieselben ihre Kommandos befolgten. Der Kronprinz ritt alle Gangarten der hohen Schule durch und nahm verschiedene Hindernisse, deren Bewältigung ihm das besondere Lob seines Vaters einbrachte. Nachher kamen auch die Hunde der Prinzen zur Geltung, sie waren gut dressiert, hörten auf jeden Befehl und sprangen in hohen Sätzen durch mit Seidenpapier überspannte Reifen. – Häufig sucht der Kaiser seine Söhne in der Reitbahn auf, dann gelegentlich selbst das Kommando übernehmend, wobei es öfter „scharf“ zugeht. Groß aber ist die Freude, wenn die Kaiserin erscheint und die vier Söhne ihrer Mama in frohsinnig jugendlichem stürmischen Drang ihre neugelernten Künste zeigen wollen – weithin durch den Marstall schallen dann Lust und Jubel und erwecken in den entlegensten Ecken ein heiteres Echo, wie es das alte schwerfällige Gebäude, in welchem meist eine gewisse Feierlichkeit herrscht seit langem nicht gewohnt gewesen. P. L–g.     

Die Patenschaft der Lokomotiven. Seitdem es Lokomotiven giebt, hat man sich daran gewöhnt, sie gewissermaßen als eine Art Haustier zu betrachten – man gab ihnen Namen. Allgemein bekannt ist der Name des Siegers beim Lokomotivenwettstreit der Liverpool-Manchester-Eisenbahn, des 1829 von Stephenson vorgeführten „Rocket“: wir wissen, daß die beiden ersten auf deutschem Boden zwischen Nürnberg und Fürth in Dienst gestellten Lokomotiven die bezeichnenden Namen „Adler“ und „Pfeil“ hatten; wir treffen auf der Leipzig-Dresdener Bahn als erste den „Komet“, dann die Lokomotiven „Blitz“, „Windsbraut“, „Renner“, „Sturm“, „Elefant“, „Drache“, „Adler“, „Pfeil“ – lauter Namen, die lebhafte Anklänge an das verwandte Gebiet des Rennsports haben. Was man in der Natur als Sinnbild für Geschwindigkeit, für Kraft auftreiben konnte, mußte Pate stehen.

Diese Sitte fand in den ersten Jahrzehnten unseres Eisenbahnwesens allgemeine Verbreitung, bis die Umstände vielfach eine Aenderung erheischten. Seitdem sich die Zahl der Lokomotiven außerordentlich vermehrt hat – wir besitzen deren auf den normalspurigen Bahnen gegenwärtig rund 15 500 – und seitdem große Betriebe in einer Hand vereinigt wurden, mußte man aus praktischen Gründen und weil das Auffinden neuer Namen immer schwerer wurde, von der Namengebung vielfach absehen. Preußen mit seinen mehr als 10 000 Lokomotiven gab diesen einfach fortlaufende Nummern; ihm folgten die elsaß-lothringischen, die badischen und hessischen Bahnen, und nur noch Bayern, die Pfalz, Württemberg, Sachsen, Mecklenburg, Oldenburg und die meisten Privatbahnen haben, abgesehen von einigen Verwaltungen, die Namen und Zahlen zugleich gebrauchen, das alte System beibehalten. Man hat auf der Suche nach Namen die verschiedensten Gebiete abgestreift. Städte der alten und neuen Welt, Burgen und Schlösser, Seen und Flüsse, einzelne Berge und ganze Gebirge, Pässe, Moore, Erdteile, die Tierwelt, das Planetensystem, mußten ihre Namen herleihen, dann griff man auf die mythologischen Gestalten der Griechen, der Römer, der Germanen („Wotan“, „Baldur“, „Hödur“ sind mehrfach vertreten) zurück, Fürsten und Fürstinnen, Feldherren, Minister, Gelehrte, Erfinder, Baumeister, Komponisten, Dichter, Astronomen, Mathematiker, namentlich Berühmtheiten des engeren Vaterlandes standen Pate. Bayern hat seinen Hans Sachs, seinen Baader, Gabelsberger, Fugger, Stiglmayer, Schwanthaler, Orlando; Württemberg seinen Helfenstein, seine Weibertreu, Sachsen seine Reformatoren, seine Metalle, Edel- und Halbedelsteine. Mecklenburg hat seinem Fritz Reuter und dessen Geisteskindern, Onkel Bräsig, Fritz Hawermann, Mining, Lining, Hanne Nüte durch Lokomotiventaufe ein Denkmal gesetzt; die Ostpreußische Südbahn bat neben Stroußberg, ihrem Gründer, die bedeutendsten Feldherren und Schlachtorte von 1870/71 verewigt.

Die eigenartigsten Namen hat jedenfalls Oldenburg. Eine landschaftliche Blumenlese stellen z. B. dar die Namen: Geest, Moor, Marsch, Watt, Deich, Siel, Wald, Esch, Warf, Tief, Düne, Welle, Priele, Aue, Tiede, welche man einer Reihe kleiner Tenderlokomotiven gegeben hat; drollig aber klingen gewiß die dem Reiche der Gnomen entlehnten Namen einer Schar ähnlicher flinker Fahrzeuge, die dort teils Rangierdienste versehen müssen, teils zum Personenzugsdienst verwendet werden; sie heißen: Schnipp, Schnapp, Burr, Tick, Tack, Tuck, Puck, Muck, Schnuck, Schnurr, Hin, Her, Kurz, Klein, Holm, Flink, Flott, Frisch, Fix, Drock, Hill.

Das verständige Schwesterlein. (Zu unserer Kunstbeilage.) Verliebte Leute haben bekanntlich ihre eigene Vorsehung, denn wie sollten sie sonst zusammenkommen? Das Dümmste und Verkehrteste für diesen Zweck thun sie ja stets mit einer so redlichen Hingebung und vollkommenen Unschuld, daß es sogar die waltenden Schicksalsmächte erbarmt und diese ihnen gelegentlich einen Nothelfer stellen: einen Baumstrunk im Weg, ein im Garten vergessenes Tuch, ein offengelassenes Fenster und ähnliche Veranstaltungen, die das Anknüpfen und Aussprechen erleichtern. Hilft aber das alles nichts und treiben Zwei die Verbohrtheit so weit, daß sie die schönste Waldeinsamkeit (das Schwesterlein zählt nicht, das kann man Blumen suchen lassen), ja sogar die eigens vom Schicksal hingestellte Holzbank zu nichts Besserem benutzen, als mit halben Worten, Seufzern und vielsagenden Blicken diese kostbaren Abendstunden unter den schweigsamen Wipfeln hinzubringen, ohne das erlösende Wort zu finden – ei nun, da nimmt eben die Vorsehung lebendige Gestalt an und stößt mit den Händen des still herbeigeschlichenen Schwesterleins die beiden Zauderer so nachdrücklich zusammen, daß es wirklich keine Kunst mehr ist, das auszuführen, was einen Augenblick später die alten Buchen, der Abendsonnenschein und die verblüffte kleine Vorsehung von diesen beiden zu sehen bekommen! Bn.     


manicula Hierzu Kunstbeilage VII: „Das verständige Schwesterlein.“ Von E. Klimsch.

Inhalt: Haus Beetzen. Roman von W. Heimburg (11. Fortsetzung). S. 409. – Der Eingang zum Kerker. Bild. S. 409. – Die Gärtnersche Fettmilch. Ein neuer Fortschritt auf dem Gebiete der Kinderernährung. Von F. C. S. 414. – Pflege und Zähmung der Schildkröte. S. 415. – Großstadt-Blumen. Von Richard Nordhausen. S. 416. Mit Abbildungen S. 413. 416 und 417. – Napoleons Frühstück. Von Paul Holzbausen. S. 418. – Der Traum vom Glück. Gedicht von Johannes Proelß. S. 420. – Blauweiß. Novelle von Theodor Duimchen (Schluß). S. 420. – Der Traum vom Glück. Bild. S. 421. – Vor der Berufswahl. Warnungen und Ratschläge für unsere Großen: Die Frau und das Universitätsstudium. Von Helene Lange. S. 423. – Die vier ältesten kaiserlichen Prinzen bei ihren Lieblingen. Bild. S. 425. – Blätter und Blüten: Reiselitteratur. S. 427. – Einfluß des Wassers auf die Zähne. S. 427. – Der Eingang zum Kerker. S. 428. (Zu dem Bilde S. 409.) – Die vier ältesten kaiserlichen Prinzen bei ihren Lieblingen. S. 428. (Zu dem Bilde S. 425.) – Die Patenschaft der Lokomotiven. S. 428. – Das verständige Schwesterlein. S. 428. (Zu unserer Kunstbeilage.)


Nicht zu übersehen! Mit der nächsten Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“; wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellung auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders darauf aufmerksam, daß der Abonnementspreis von 1 Mark 75 Pf. bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs bei der Post aufgegeben werden, sich um 10 Pfennig erhöht.

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Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. 



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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