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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

einmal irrte. Hätte ich Dich immer gekannt, es wäre nicht gewesen. – Gieb mir die Hand, Kurt – so –.“ Sie legt mit einem festen Druck den Verlobungsring in seine Rechte. „Sei glücklich! Ich verstehe Dich, Deine Zweifel, alles – ich darf Dich nicht tadeln, aber glaube mir, ich hätte Dir nichts gegeben, was Deiner unwürdig gewesen, Kurt. – Lebe wohl!“

„Ditscha!“ ruft er und greift nach ihren Händen und zieht sie an sich. „Ditscha, vergieb mir – laß es beim Alten. – Habe Geduld – mit mir, ich werde es überwinden lernen.“

Sie entwindet ihre Hände den seinen. „Nein!“ sagt sie laut und fest, „das ist nichts für mich und nichts für Dich. Dein Vertrauen ist geschwunden, Deine Liebe ist nicht mehr da, und guter Wille, Nachsicht und Pflichtgefühl genügen nicht, für uns beide nicht. Leb’ wohl, Kurt!“

Er kann deutlich ihr schönes stolzes Gesicht erkennen, als sie so spricht. Sie nickt ihm noch einmal zu, wehmütig ernst, dann geht sie.

Er schreitet plötzlich an ihrer Seite.

„Was willst Du, Kurt?“ fragt sie und bleibt stehen.

„Du kannst doch nicht allein gehen, so im Dunkeln,“ stottert er, dessen Zweifel vor dem Zauber, den ihre reine stolze Nähe auf ihn ausübt, wie hinweggeweht sind.

„O,“ sagt sie und ein bitteres Lächeln zuckt um ihren Mund, „laß mich nur, ich werde noch finstere Wege allein gehen müssen. Leb’ wohl!“

„Ditscha!“ ruft er hinter ihr her, heiser, mit gebrochener Stimme. Aber sie sieht sich nicht um, und festen Schrittes geht sie ihren Weg und betritt das Haus. – 000000000000000000000

Dort herrscht eine unbeschreibliche Aufregung. Mademoiselle ist der Abschied für morgen angekündigt; Jochen von Kronen, dem soeben der Rittmeister von Bredow notgedrungen als Bräutigam vorgestellt wurde – denn der wütende alte Herr ist wie eine Bombe in das zärtliche tête-à-tête mit der Frage geplatzt: „Wo ist Dein Kind?“ – hat nur eine sehr ironische Verbeugung für den stattlichen Herrn gehabt und immerfort geschrieen: „Wo ist Achim?“, obgleich der Junge bereits gebracht ist und sich unter der Pflege Hannes befindet, bis der Arzt eintrifft.

Als eine halbe Stande später Frau Cilly in die Kinderstube tritt, ist sie zwar offiziell die Braut ihres so lange schon geliebten Arthurs geworden, aber ihre Mutterrechte hat sie Joachim von Kronen abgetreten in aller Form. Sie erschrickt vor der Gestalt, die da am Bette des Kleinen sitzt, als ob sie hingehörte – Ditscha, Ditscha wie ein Geist anzusehen, ohne einen Blutstropfen in den Wangen, versteinert in Leid und Weh. Wenn jemand die Entsagung hätte malen wollen, ein besseres Vorbild wäre nicht zu finden gewesen.

„Du?“ stammelt Cilly. „Wie siehst Du aus? Geh’ zu Bette!“

„Nein,“ sagt Ditscha, „ich bleibe bei Achim – immer! Nicht wahr, Achim, immer! Zwei sollen nicht unglücklich werden!“

Doch das fieberglühende Kind streckt die Arme nach ihr aus, an der Mutter vorüber, die es nicht sehen will.

„Ditscha soll bei mir bleiben!“ wimmert es.




Joachim von Kronen sitzt in seinem Arbeitszimmer. Die Dämmerung des ersten Feiertags sinkt hernieder und die beiden Briefe, die geöffnet auf dem Schreibtisch liegen, leuchten blendend weiß in dem fahlen Lichte.

Der alte Herr hat sich in seinem Schreibstuhl zurückgelehnt, die Hände über dem Leib gefaltet, und starrt auf einen Fleck. Noch vor einem Jahr wär’ Berthachen gekommen, hätte ihm die Haare aus der Stirn gestrichen und hätte gesprochen: „Mein Alter, das hilft ja nun nichts, die Welt steht nicht still um unser Leid!“ – Heute sitzt er allein, die Frau liegt dort drüben in der Gruft, und sein Liebling ringt mit dem Tode, der herzige frische Junge.

Die Nacht ist’s noch schlimmer geworden; der Doktor hat Lungenentzündung festgestellt, und der kleine Kranke ist ohne Besinnung und leidet furchtbar. Im Saale steht der Tannenbaum ungeschmückt, die Spielsachen sind nicht ausgepackt, und die Dienerschaft schleicht auf den Zehen umher. Und er, Joachim, ist schuld daran! Ja, er ist’s, da kann alles Beschönigen nichts helfen! sagt er sich. Er kennt ja doch die Weiber, diese schwachen Kreaturen, denen ein bißchen Liebesglück oder Liebesgram den Kopf gleich so verwirrt, daß sie alles andere darüber vergessen. Und solcher drei hat er im Hause, und diesen drei überläßt er die Sorge für das Kind und schließt sich ein in seinem Erinnerungsdusel – da passiert denn natürlich gleich das Gräßlichste!

Die eine, die Mademoiselle, ist zum Tempel hinausgeflogen heute früh, und die zwei anderen, die Frau Mutter und das Fräulein Schwester, die sind nun plötzlich ernüchtert, sie beten und weinen und klagen sich an, jetzt, wo es vielleicht zu spät ist! Joachim von Kronen ist in rasender Stimmung vor Schmerz und Angst, und wehe dem, der ihm heute in die Quere kommt. Die beiden Briefe da vor ihm, die haben just auch noch gefehlt.

Dem „angenehmen Schwerenöter“, dem Rittmeister von Bredow, der den „verehrten Schwager seiner Braut“ um eine Unterredung ersucht, da gestern abend in der erregten Stimmung leider einige höchst wichtige Punkte nicht erörtert werden konnten, den hat er sarkastisch genug heimgeleuchtet: Vorläufig, so lange der einzige Sohn seiner Frau Braut und seines, Joachims, verstorbenen Bruders zwischen Tod und Leben ringe, wolle man doch in Gottesnamen diese ungeklärte Situation ertragen; ihn, Joachim von Kronen, störe sie nicht, und später sei noch reichlich Zeit zu Erörterungen.

Auf den zweiten Brief weiß der alte Herr nichts zu antworten, nichts zu sagen. Die Sache ist aus, rein aus – Ditscha entlobt! Rothe zurückgewiesen! Sie habe ihm sein Wort zurückgegeben, schreibt er und fügt noch ein paar Redensarten hinzu, wie: „Unlösbarer Konflikt – untröstlich fürs Leben etc. etc.“. Es klingt so tragisch, so romantisch – – zu nett!

Na, dann man los! Ein dritter wird schwerlich kommen um Ditscha. – Was geschehen? Joachim hat keinen Schimmer. Möglicherweise hat das thörichte Ding keine Ruhe gefunden, ehe sie nicht mit ihrer überspannten Gewissenhaftigkeit die kleinen Thorheiten von damals gebeichtet, hat vielleicht in ihrer Unschuld eine Bedeutung hineingelegt, die ihnen gar nicht zukommt, die sie selbst nie beabsichtigte, und der Konflikt, der unlösbare – schön gesagt – war da.

„Angenehmer Posten, Familienoberhaupt zu sein – der Teufel hol’ das ganze Leben – wenn nur der Junge, der Junge nicht draufgeht!“ Die Sorge um das Kind läßt den alten Herrn wieder aufspringen. Er will hinüber, er will dem Kleinen in das fieberglühende Gesicht sehen, er hält’s hier nicht aus, so allein unter dem Druck kommenden Unheils. Er schleicht durch den Korridor und tritt in die Halle, um nach dem von Cilly bewohnten Flügel zu gehen. Es ist so still in dem alten Hause, als sei der Todesengel schon eingezogen. Auf der Treppenstufe kauert eine Gestalt, wie der Baron sie näher ins Auge faßt, richtet sie sich empor, eine modisch gekleidete Frau in großem federgeschmückten Rembrandthut. Sie kommt dem sie Anstarrenden bekannt vor, aber er weiß nicht, wer sie ist, und bleibt stehen, in der Meinung, sie warte auf einen Diener, der sie melden soll. Endlich erkennt er in dem damenhaft zugestutzten Wesen die Teufelsdeern, die Grete Busch.

Sie knixt und bittet den gnädigen Herrn um Verzeihung, sie wolle nur zum gnä’ Fräulein Sophie.

In diesem Augenblick kommt Hanne und sagt, mit Verachtung in jedem Zuge ihres Gesichtes: „Gnä’ Fröln is nich zu sprechen vor Sie!“

Die Augen der kleinen runden Person sprühen plötzlich Feuer und Flamme. „Dann bestellen Sie man gefälligst, daß ich stantepeh von hier zu Herrn Rothe gehe, um ihm ’mal ’was zu erzählen,“ schreit sie erbost. Ich brauch’ mich doch am Ende nich behandeln zu lassen wie eine Betteldeern, wo ich doch früher gut genug war, die Kastanien vor ihr aus’m Feuer zu holen, damals, als sie – wie sie – –“

„Was meinst?“ fragt der Baron zurückkommend, der bereits im Korridor des linken Flügels verschwunden schien.

„O gnä’ Herr, ich mein’ – ich mein’, daß es ’ne Sünd’ und Schand’ is, wenn gnä’ Fräulein mich so slecht behandelt, indem ich doch immer bereitwillig geholfen habe damals –“

„Komm doch ’mal mit, mein’ Tochter,“ sagt der Baron sehr ruhig, sie kurzer Hand duzend wie früher, „hier ist der Platz nicht, um derartiges zu verhandeln, und mich interessiert das doch auch sehr, was Du da ‚meinst‘.“

Er hat die Erschreckte am Aermel ihres pelzbesetzten Jäckchens gefaßt und zieht sie ohne weiteres durch den Gang in sein Zimmer, dort schließt er die Thür hinter sich und ihr, setzt sich auf den Lehnstuhl, dreht die Lampe auf und fragt: „Was wolltest Du eben doch gleich sagen, mein’ Tochter?“

Grete, die vor Haß und Bosheit die Besinnung halb verloren hat, beschließt, einen Coup zu wagen – vielleicht bezahlt der Alte. „O es ist man, Herr Baron, nehmen Sie’s man nicht übel, weil

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_431.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)