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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

das Fräulein Ditscha uns Geld versprochen hat, wenn wir still sind, mein Mann und ich, und nichts nich von die Geschichte verraten –“

„Von welcher Geschichte?“

„Nu, damals, als sie hat mit Herrn von Perthien – gnädiger Herr wissen ja –“

„Ist mir ganz neu! Was war denn das eigentlich?“ fragt er mit derselben belegten Stimme, und seine zitternden Finger tasten auf der Platte des Schreibtisches umher.

„O, mein Mann hat ihr und mich auf die Station gefahren damals, als sie mit Herrn von Perthien davon wollte, und was ich bin, so bin ich durch dick und dünn mit ihr gegangen und habe ihr immer die Briefchens getragen und ihr geholfen, Herrn von Perthien zu sehen und zu sprechen; und jetzt, jetzt läßt sie mich davonweisen, das gnä’ Fräulein Ditscha, als wär’ ich ein altes Pracherweib.“

„Also Du hast immer die Briefe getragen?“

„Jawoll, Herr Baron.“

Die zitternden Finger des alten Mannes haben jetzt, wie spielend, eine Reitpeitsche vom Tisch genommen, mit der er die Hunde in Raison zu halten pflegt, nun biegt er sie wie einen Kranz zusammen und fragt:

„Und dafür willst Du Deinen Lohn, meine Tochter?“

„O Gott, Herr Baron, ich verlange ja keinen Lohn – ich meine nur, und mein Mann meint es auch, ein büschen Erkenntlichkeit könnt’ doch wohl am Platz sein, und wenn wir ’mal hilfreich gewesen sind, könnte Fräulein Ditscha uns doch auch ’mal helfen? Ihr kommt’s ja nicht an auf so’n paar hundert Thalers, und was kann ich dafür, daß mein Mann das Geld, was sie uns damals gab, verjuxt hat?“

„Also, sie gab Euch schon?“

„Ja, vor acht Wochen ohngefähr. Und viel wollen wir ja auch diesmal gar nicht, man bloß so viel, um nach Amerika zu kommen, Herr Baron, und wenn man so slecht behandelt wird, da wird man obstinatsch, und was mein Mann is, der is gar nich zu halten, der geht zu Herrn Rothe, der wird dann woll wissen, was er zu thun hat.“

„Daran zweifle ich nicht,“ sagt der Baron plötzlich laut und tritt einen Schritt näher zu der Person, „daran zweifle ich nicht! Aber, wozu ihn erst bemühen? Ich weiß es ja auch.“

Sein altes Gesicht ist leichenblaß, wie er jetzt mit Blitzgeschwindigkeit zuschlägt, quer über Grete Buschens Wange ist der Streich gegangen. „So, mein Deern,“ sagt er keuchend, „da hast Deine Bezahlung und nun verschwinde – verschwinde – sag’ ich Dir, und wage nicht zu schreien, oder ich laß Dich und Deinen Schuft von Kerl verhaften wegen Erpressung und Verleumdung.“

Der grelle Aufschrei Gretes ist verstummt. Mit hochrotem Gesicht, über dessen linke Seite sich jetzt ein dicker roter Streifen zieht, sieht sie den alten Herrn an, die Hände zu Fäusten geballt, keines Wortes mächtig.

„Hast verstanden?“ donnert er, „marsch! Seid Ihr nicht mit dem nächsten Dampfer, der Hamburg verläßt, unterwegs, so lasse ich Euch verhaften. Die Polizei in Hamburg und den Gensdarm benachrichtige ich sofort. – Auf der Stelle hinaus!“

„Das will ich Ihnen gedenken,“ zischt Grete Busch und verläßt das Zimmer.

Der Baron fällt schwer in seinen Sessel, wirft die Peitsche in einen Winkel und sitzt da wie gebrochen. „Also das, das war es, arme Deern, arme Ditscha? Und kein Wort gesagt, alles für sich allein ausgekämpft, den tollsten Gemeinheiten ausgesetzt! Da ist’s kein Wunder, daß sie dem Rothe absagt. Und warum? Weil wir uns nicht um sie gekümmert haben – ach! – –“

Er hat ein Weib geschlagen, aber er wäre erstickt, hätte er es nicht gethan. Wie teuer der Schlag noch bezahlt werden könnte, daran dachte er nicht.

„Onkel,“ flüsterte eine Stunde darauf Ditscha hinter seinem Stuhl, „Onkel!“

Er fährt herum. „Du, mein’ arme Deern?“

„Onkel,“ schluchzt sie, „wenn uns Achim nur bleibt, dann bin ich nicht arm, dann will ich nie wieder murren, dann soll ein neues Leben aufgehen für mich. Ich will nur noch an ihn denken, für ihn sorgen, so lange ich lebe; für mich verlange ich nichts mehr, nichts.“

„Gott wird’s nicht wollen, Ditscha,“ murmelt er, „er kann mir den Jungen nicht nehmen – wir müssen ihn behalten.“

Und er streichelt ihre Hand; sie sieht so elend, so verwacht, so abgehärmt aus, um zehn Jahre älter, als sie ist.

„Wir bleiben bei Dir, Onkel,“ sie schmiegt ihr blasses Gesicht an seine Wange, „ganz friedlich, ganz still bleiben wir bei einander, Du, Achim und ich.“

„Ja, mein liebes Kind!“ Und er zieht das rotseidene Taschentuch und schnaubt die Thränen zurück. „Gott wird’s nicht wollen!“ wiederholt er.




Nein, Gott hat’s nicht gewollt; sie haben ihn behalten, und er ist groß geworden unter Ditschas unermüdlicher, liebevoller Pflege.

Ditscha hat nun längst ihren kindlichen Namen abgelegt, niemand darf sie mehr so nennen, ausgenommen der Junge, für alle andern ist sie „Sophie“, „gnä’ Fräulein“ – je nachdem. Ihre Gestalt hat sich womöglich noch gestreckt, sie ist eine stattliche schöne Dame geworden, der ein ernstes verantwortungsvolles Leben etwas Sprödes, Herbes gegeben hat. Nur bei einem Namen zuckt noch ein Weh um ihre Lippen und verdunkelt sich ihr ruhiges Auge – von Kurt Rothe kann sie auch heute noch nicht sprechen hören. Bei einem andern Namen aber vermag sie zu lächeln, der ist: Joachim, Achim, ihr Bruder. Dann verklärt sich ihr Gesicht, dann werden ihre Augen feucht wie eben jetzt, wo sie dem alten hinfälligen Onkel Jochen, den die Gicht nun schon seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt hält, einen Brief ihres Lieblings vorliest, der seit einigen Tagen in Dresden bei seiner Mutter zu Besuch weilt, zum ersten Male seit er großjährig geworden.

„Dresden, d. 3. Mai 1889. 
 Meine Ditscha!
Zwei Tage länger als sonst habe ich Dich warten lassen, verzeihe nur! Tausendmal habe ich angesetzt zum Schreiben, aber Du kannst Dir nicht vorstellen, wie unruhig Mamas Haushalt und wie unruhig überhaupt eine solche Dresdener Mietswohnung im englischen Viertel ist; gegen die heilige Stille in den Gemächern unseres lieben Beetzens der reine Jahrmarkt. Ueber mir übt eine Engländerin Geige, unter mir spielt eine Amerikanerin Klavier, dazu Mama, die mich überall hinschleppen möchte und mich allen ihren Bekannten, die sie besuchen, zeigen will.

Ditscha, lange halte ich das nicht aus! Der erste Maiensonntag gestern, wie grundverschieden war er von denen, die wir zusammen verlebten, der Onkel, Du und ich, oder wir beide allein, in unserem stillen Beetzen, das so köstlich ist im Frühjahr, oder dort unten an der Riviera oder gar in Aegypten und ein paarmal im Schwarzwald, wohin Du mich angehenden Schwindsuchtskandidaten überall so treu begleitet hast. Ditscha, wie soll ich Dir eigentlich danken für alle Deine Liebe? Ich bin hier bei meiner Mutter – ja, sie kann den Namen beanspruchen – gewiß, aber wo meine rechte, meine treu sorgende, wahrhafte Mutter ist, weißt Du das?

Ich küsse Dir die Hände, meine Mutter, und danke Dir für alles, was Du gethan an mir. Und das ist viel, Ditscha, viel mehr, als alle Leute ahnen. Ich sehe Dich den Kopf schütteln, es ist aber doch so, Ditscha! Oder meinst Du, ich wisse nicht, was Du entbehrt hast an dem eigenen Leben durch den kränklichen Jungen? Wieviel Nächte Du gewacht, wieviel Thränen Du geweint, wieviel Geduld Du gehabt hast? So ist’s, Ditscha, und ich kann es Dir nie vergelten, und gäbe ich auch mein Leben für Dich hin.

Und nun willst Du hören von Mama und dem sogenannten Papa? Papa hat ein bissel Gicht und ist genau so langweilig wie früher, auch heute noch ist die Rangliste seine Lieblingslektüre. Mama ist niedlich, rundlich, rosig und zieht sich gern bunt und hübsch an, allerhand luftige Schleifen flattern um sie her; der kleine Pinscher klingelt lebhaft hinter ihr drein mit dem silbernen Glöckchen am Halsbande, wenn sie durch die Zimmer läuft. Sie hat noch immer alle Schlüssel verlegt, lacht noch ebenso herzlich darüber wie früher und hat eine ganze Schar junger und alter Verehrer um sich, die sich köstlich über ihr drolliges Wesen amüsieren. Aber, Ditscha – ich könnte so ein Leben nicht führen, in dem alles sich nur darum dreht, sich zu vergnügen.

Was haben wir heute vor? ist die Parole am Frühstückstisch. Papa denkt dabei an Whist oder Skat, Mama an ihre Theaterabende, Diners, Soupers, Konzerte etc. – Was haben diese Herrschaften für dauerhafte Nerven, Ditscha! –

Das Klavier der Amerikanerin macht mich rasend. Ich habe soeben mein Schreiben unterbrochen, bin zu Mama gelaufen und habe gefragt: ‚Wie kannst Du das ertragen?‘ Sie lachte. Sie sagte, wenn ich Miß Perth erst gesehen hätte, würde ich mich nicht mehr beklagen.

‚Bist Du mit ihr bekannt, Mama?‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_434.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)