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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Seitdem hat sie nichts wieder gehört von ihm, doch lange hat ihr die Freudigkeit in ihrem Thun gefehlt. Aber endlich ist dennoch ein Friede geworden, der sie ganz glücklich macht, soweit Glücklichsein mit Arbeit, Aufopferung und gänzlichem Vergessen seiner selbst identisch ist. Sie kann jetzt den Schloßturm von Dombeck sehen ohne Herzklopfen und ruhig davon reden hören, daß sein Herr – ein Gerücht, das immer wieder auftaucht in der Umgegend – daß Rothe nun bald zurückkehren werde, um die Bewirtschaftung des schönen Gutes wieder selbst zu übernehmen. In ihren Zukunftsträumen leuchtet einer hervor, der öfter wiederkehrt, der von einem freundlichen Verkehr zwischen Beetzen und Dombeck, der liebliche Traum von einer Freundschaft zwischen Ditscha und Rothe, mit wehmütig lächelnder Erinnerung an ein kurzes Glück, mit unbegrenzter Hochachtung beiderseits. – – – Sie sind ja nun alt genug, um Freunde zu werden, und er wird milder denken, und stiller in den Herzen ist’s auch geworden, und klarer blaßblauer Herbsthimmel steht über ihrer Welt.

Der Junge aber, der soll alles haben und genießen, was ihr versagt wurde, der gute kleine Mensch; er ist wirklich prachtvoll geworden und Ditscha ist ganz stolz auf dieses Resultat ihrer Erziehung. Ernst, ideal denkend und doch so schneidig, so aufgebracht über alles Gemeine und Unedle, so ritterlich und ein kindergutes frohes Herz dabei, ein vornehmer Mensch mit einem Worte.

Und sie nimmt noch einmal seinen Brief aus der Tasche, da fallen ihre Augen auf ein Postskript, das sie vorhin übersehen.

„Eben habe ich in der Manege die Bekanntschaft von Mrs. und Miß Perth gemacht. Ditscha, ich sage Dir – prachtvoll, das heißt die Letztere; ich habe nie geglaubt, daß es solch eine Schönheit giebt, und bekam etwas wie einen Schreck, als ich sie sah. Erschrick Du nicht auch vor dieser meiner Begeisterung, es hat nichts auf sich.“

Ditscha seufzt plötzlich. Ach nein, diese da erschreckt sie nicht, aber es wird doch einmal die Zeit kommen, wo sie das Einzige, das ihr gehört auf dieser Welt, mit einer Andern teilen muß – und wie teilen! Sie wird sich begnügen müssen mit einem winzigen Bruchteilchen seiner Liebe.

Sie haben es schon hundertmal ausgerechnet, wie es werden wird dereinst auf Beetzen. Daß er, dessen Gesundheit der möglichsten Schonung bedarf, keinen andern Lebensplan wählt, als den Boden seiner Väter zu bebauen, das ist natürlich; der Pachtkontrakt, der nächstes Jahr abläuft, wird deshalb auch nicht wieder erneuert werden. Den Flügel des Herrenhauses, den seine Mutter innehatte, wird er bewohnen, bewohnt ihn jetzt schon. Die Räume werden auch genügen, wenn er sich verheiratet. Ditscha will Tante Klementinens Zimmer nehmen, er mag zwar nichts davon hören, aber sie wird es durchsetzen, denn sie möchte nicht im Wege sein, und von da oben herab kann sie noch helfen und raten genug, wenn man ihren Rat will; und von dort oben ist eine so schöne Aussicht ins Land hinein bis nach Dombeck hinüber.

Und immer soll Friede sein im Hause Beetzen und gegenseitiges Vertrauen, und schenkt Gott dem alten Stamme frische Knospen, so sollen sie eine Jugend haben so sonnig und blau wie ein Frühjahrstag, das hat sich Ditscha vorgenommen. Sie dürfen einstmals nicht an solchen Erinnerungen kranken wie sie.

Sie lächelt jetzt über die Begeisterung, mit der er von dieser Miß Perth schreibt, und sie denkt, was wohl diese junge Dame über den schönen schlanken Mann sagen mag. Ei, er wird ihr schon gefallen, eine solche Partie! Aber das ist ja alles gleichgültig, Miß Perth kommt gar nicht in Betracht für einen Kronen! Und sie geht nach oben und schreibt einen langen Brief an ihren Jungen, dann sucht sie Hanne auf, die, sehr korpulent geworden, in ihrem Stübchen im Sorgenstuhl sitzt und mit ihren alten Fingern Strümpfe stopft für den Junker. Hanne muß natürlich jeden Brief, ganz oder doch teilweise, hören, auch das von der schönen Miß natürlich.

„Ach Gott bewahr’ gnä’ Fröln Sophie,“ sagt die Alte, „das gefällt mich gar nich’, ich kann die ollen Amerikaners nich’ leiden, seitdem die Grete Buschen da auch ’nüber gegangen is’! Da lauft alles Slechte zusammen, ich danke vor die Amerikaners.“

Ditscha schüttelt den Kopf und sieht sie amüsiert an.

„Ich kann da abslut nichts bi finnen to’n Koppschütteln,“ meint Hanne verdrießlich, „un’ ich hab’ immer Ahnungen un’ Träumens, un’ in de’ verblichene’ Nacht hab’ ich ’was geträumt von große Wäsche un’ von trüben Smutzwasser, un’ wenn ich das thue, da giebt’s allemal ’n Unglück.“

Ditscha klopft der alten Frau auf die Wange. „Das Unglück lassen wir nicht wieder ein,“ sagt sie, „jetzt kann nur noch Glück kommen, Alterchen.“ Sie sieht so strahlend aus, ordentlich jung mit ihren vierzig Jahren.

„Gott steh’ mich bei – versünnigen Se sich nicht, gnä’ Fröln,“ wehrt die Alte ab. „Unglück släft nich!“

„Doch!“ sagt Ditscha, „ich habe das Gefühl, daß alles Schwere hinter uns liegt, Hanne, und nun mach’ mir die Pferde nicht scheu mit Deinem Gekrächze – verstanden, Du Unglücksrabe?“

„Und vor dem Tod is’ keiner nicht glücklich,“ beharrt Hanne und sieht der schönen Frauengestalt nach, die elastisch aus dem Zimmer schreitet. „Verdienen thut sie schon, daß alles eitel Glück is’ bis an ihr Grab, aber – o Herr Gott, schallst’s ja wissen.“

Vierzehn Tage später kommt ein Brief aus Dresden, in dem sehr viel steht, was Ditscha wenig interessiert, denn die Miß Perth figuriert darin mehr, als ihrem Geschmack zusagt. Der Jung ist mit dem schönen Mädchen ausgefahren, geritten, gegangen, er hat mit ihr getanzt auf einem Gartenfeste und nennt sie ein süßes Geschöpf. „Wenn Du sie doch sehen könntest, Ditscha!“

Ditscha erwähnt in ihrer Antwort Miß Perth nur sehr flüchtig, aber sie erwähnt sie doch, denn sie kann ihren Liebling nicht kränken. Sie will auch die Sache ganz objektiv betrachten; obgleich sich in ihrem Herzen eine leise Unruhe bemerkbar macht. Schließlich, warum sollte er nicht einmal für ein schönes Mädchen schwärmen?

„Hast Du etwas zu bestellen an unsern Jungen?“ fragt sie Onkel Joachim, der fröstelnd in seinen Wolldecken im heißen Maisonnenschein auf der Terrasse sitzt und ins Leere starrt. Hanne, die den Posten einer Art von Krankenwärterin bei ihm versieht, sitzt mit dem Strickstrumpf in respektvoller Entfernung dabei.

„Soll nicht zu lange warten,“ murmelt er, „sonst sterbe ich ohne Trost.“

Er bleibt immer derselbe. Es ist, als ob das schwache Flämmchen seines Lebens nur noch Nahrung saugt aus dem heißen Verlangen, seinen Stamm nicht aussterben zu sehen.

Hanne hat mit ihrer Herrin einen Blick gewechselt. „Ich denke, er wird bald wiederkommen,“ sagt letztere fröhlich, „und dann soll uns der Jung’ hier ordentlich auf die Brautschau gehen.“

„Bei den Finkenbergs sind ihrer sieben,“ meint er und wendet den Kopf zu Ditscha, „müssen jetzt herangekommen sein. Keine Schönheiten, aber gut – gut und klug. Alle Achtung vor der Mutter, Ditscha, und die Mütter, die Mütter sollen die Jungens ansehen, wenn sie zu freien kommen.“

„Dat’s ’n wahr’ Wort, Herr Baron!“ nickt Hanne.

Ditscha kritzelt drinnen im Eßsaal noch ein paar Zeilen hin: „Bleib’ nicht zu lange mehr, Joachim, Onkel ist recht kümmerlich jetzt; nicht daß augenblickliche Gefahr vorhanden wäre, aber er vergeht in Sehnsucht nach Dir – Du weißt ja, was die Sonne für ihn und für ganz Beetzen ist.“ Dann kommt sie wieder hinaus und sitzt auf der Terrasse neben dem alten Herrn und der alten Dienerin und spricht in ihrer stillen freundlichen Weise von dem, was dem Alten das Liebste ist, von der Zeit, wo der junge Schloßherr hier regieren wird.

„Er soll wieder Fohlen ziehen,“ sagt der alte Herr, „war ein kapitaler Schlag, den wir hier hatten.“

„Un die Melkwirtschaft beim Pachter, die paßt mich nu schon ganz und garnich, Herr Baron, die neumodigen Schweizers; die sin nich vör uns’ Vieh. Wo? Da ward doch kein Schweizerkäs von, denn uns’ Futter is doch nich so as das in de Berge.“

„Alter Klugschnack!“ brummt Joachim von Kronen, „Wenn’s nächstens Kinder zu püschen giebt, kannst mitreden, aber hier sei still!“

„Ja, Se hebben recht, Herr Baron,“ nickt die Alte ohne eine Spur von Empfindlichkeit und strickt weiter. Und durch die Luft wogt Blütenduft, die Blätter und Sträuche schimmern im lichten Grün und vom Kirchlein klingt die Vesperglocke; blau ist der Himmel, keine Wolke –.

Am andern Morgen ganz in der Frühe wandert Ditscha mit dem Schlüsselkörbchen am Arm durch die Zimmer ihres Jung’. Sie hat alle Fenster aufsperren lassen, denn es kann ja sein, daß er bald, sehr bald kommt; und sie freut sich über jedes Möbel, über jedes Bild. Sie bleibt in seinem Arbeitszimmer stehen, das jetzt durch eine Thür, die man durch die Mauer gebrochen, mit der

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