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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

fahl unter der Schminke, die Augen zwinkern und öffnen sich dann weit – sie hat Ditscha erkannt und Ditscha sie. Ditschas eisige Miene beweist es.

Mistreß Perth ist Grete Busch!

Ditscha erhebt sich jetzt und verläßt den Zuschauerraum, Mistreß Perth folgt ihr; vor der Logenthür treffen sie zusammen. Die ehemalige Grete Busch hat ihr Gesicht in die süßesten Falten gezogen, deren es fähig ist; mit ausgestreckten Händen steht sie vor Ditscha.

„Ach, mein liebes teures Fräulein von Kronen, welche Ueberraschung!“ ruft sie in den Tönen höchster Freude.

Ditscha sieht scheinbar nichts von ihr, sie weicht nur zur Seite und geht an ihr vorüber. Ein paar Damen, die die kleine Scene beobachtet haben, sind amüsiert über die dicke, krampfhaft nach Atem ringende Person, die der schlanken vornehmen Gestalt mit wütenden Blicken nachstarrt.

Ditscha ist im Foyer angelangt. In dem Wogen und Drängen der plaudernden, promenierenden Menschen, die es erfüllen, wird es ihr schwer, den Bruder zu erspähen. Endlich sieht sie ihn neben dem schönen Mädchen, sein Gesicht strahlt, er spricht eifrig zu ihr. Mit Mühe gelangt sie zu ihm, legt, neben ihm schreitend, die Hand auf seine Schulter und sagt heiser: „Begleite mich ins Hotel, Joachim; ich fühle mich nicht wohl.“

Ein Blick in ihr verändertes Gesicht beweist, daß sie die Wahrheit spricht. Er ist sofort bereit, verabschiedet sich verwirrt von seiner schönen Gefährtin, die verwundert die ernste blasse Dame mustert, und fragt besorgt nach der Schwester Befinden.

Ditscha ist leichenblaß, spricht aber nicht, auch im Wagen nicht. „Soll ich mit hinaufkommen?“ fragt er, als sie vor dem Hotel aussteigen.

„Ich bitte darum,“ sagt sie.

(Fortsetzung folgt.)


Wolkenbrüche.

Wundervolle Sommertage sind es … Wir wandern durch die lieblichen Thäler des Gebirgs. Da grüßt uns das ernste Dunkel der tiefen Buchenwälder, über uns lachen in frischem Grün die prächtigsten Wiesen; wir ziehen durch reiche Obstgärten und wogende Kornfelder. Welche Fülle des Segens hat die Natur über die Thäler ausgestreut und wie wundervoll ist das Landschaftsbild durch wildzerklüftete Kalkfelsen eingerahmt, von deren Zinnen alte Burgruinen herabschauen. Festgegründet scheint hier das Glück der Menschen und die Scholle lohnt die fleißige Arbeit und gehorsam treiben Flüsse und Bäche die klappernden Mühlenräder!

Eines Tages steigen im Südwesten Gewitterwolken auf und eilen wie im Sturm gegen die Bergeshöhen. Wir fürchten sie nicht. Hundertmal, tausendmal sind Gewitter über diese Berge und Thäler niedergegangen und haben keinen besonderen Schaden angerichtet; im Gegenteil, ihre Regengüsse haben die Fluren erquickt und Brunnen und Quellen mit neuen Wasservorräten gefüllt. Und es blitzt und donnert, in Strömen ergießt sich der Regen … Stunden verrinnen und wie verändert ist die Landschaft! Von allen Bergen rauschen Wasserströme hernieder, mit unheimlicher Schnelligkeit schwellen die Bäche und Flüsse an; hoch und höher steigt das Wasser, wie es die ältesten Menschen nicht erlebt haben; es kommt unangemeldet, mit unheimlicher Geschwindigkeit, überflutet die Felder, dringt in Dörfer und Städtchen ein, und die Gewalt seiner Wellen führt Scheunen, Ställe und Wohnhütten fort – verschlingt Hab’ und Gut und teure Menschenleben!

Und wenn die Sonne wieder hinter den Wolken hervorschaut, so leuchtet sie auf ein Bild unaussprechlichen Jammers und Elends nieder; in eine traurige Stätte der Verwüstung ist das liebliche Thal umgewandelt worden, und das alles hat in so kurzer Zeit ein einziger Regenguß – ein Wolkenbruch vollbracht.

Wie oft hört man nicht von solchen schweren Prüfungen, die dieses oder jenes Gebiet betroffen haben! Auch in diesem Jahre haben Wolkenbrüche und die in ihrem Gefolge auftretenden Ueberschwemmungen weite Striche Süddeutschlands und Oesterreichs verwüstet, und da erweckt der Anblick des großen Unglücks lebhafter denn je die Gedanken an Mittel zur Abwehr, unwillkürlich fragen wir uns, ob denn diese Uebel unvermeidbar sind oder ob man der Wiederkehr solcher Katastrophen vorbeugen kann.

Die Wissenschaft hat sich seit langer Zeit mit dieser Frage beschäftigt, denn bei sehr vielen Unternehmungen müssen die Menschen mit der Möglichkeit rechnen, daß plötzlich sehr große Wasserfluten mit dem Regen niedergehen. Baumeister, die unsere Großstädte kanalisieren, andere, die Stromläufe regulieren, Eisenbahningenieure, die Dämme bauen, wollen darüber unterrichtet sein, welche Wassermengen binnen eines Tages oder einer Stunde mit dem Regen niederfallen können, um danach die Weite ihrer Kanäle und Abflüsse einzurichten. Aufgabe der Meteorologen ist es nun, diese Fragen zu beantworten. Ein Netz meteorologischer Beobachtungsposten umzieht ja die Erde, und im Laufe der Jahrzehnte sind höchst wertvolle Aufschlüsse über die Regenverteilung und Regenmenge gesammelt worden.

Die Witterungserscheinungen sind launisch und unbeständig, und auch der Regenfall macht davon keine Ausnahme. In der norddeutschen Tiefebene beträgt die jährliche Regenmenge etwa 700 mm; d. h. es fällt dort im Laufe eines Jahres soviel Regen, daß jeder Quadratmeter der Bodenfläche eine 700 mm hohe Wasserschicht erhält.[1] Diese Regenmenge verteilt sich jedoch nicht gleichmäßig auf Wochen und Monate des Jahres; trockene Zeiten wechseln ab mit regenreichen und dann können Güsse erfolgen, die in kürzester Frist ganz erstaunliche Wassermassen bringen. Prof. Hellmann hat in der Zeitschrift des kgl. preußischen Statistischen Bureaus nachgewiesen, daß im ebenen Norddeutschland überall binnen 24 Stunden ein Niederschlag von 100 mm Höhe eintreten kann.

Im Gebirge liegen die Verhältnisse noch ungünstiger. Dort regnet es überhaupt mehr als in der Ebene, und namentlich diejenigen Seiten der Gebirgsländer sind durch Regenreichtum ausgezeichnet, welche von einem feuchten von dem Ocean kommenden Luftstrom getroffen werden. So sind z. B. in der Schweiz Regenmengen von über 200 mm an einem Tage wiederholt beobachtet worden. In solchen Gebieten muß der feuchte Luftstrom an den Bergen emporsteigen, er kühlt sich dabei ab und der Wasserdampf verdichtet sich alsdann zu Regen. Darum sind auch Gebirgsländer, die aus unmittelbarer Nähe von Oceanwinden getroffen werden, die regenreichsten Striche der Erde und darum treten auch Wolkenbrüche am häufigsten an Abhängen der Gebirge auf. Zur gewaltigsten Entfaltung gedeiht diese Naturerscheinung in den Tropenländern. So erfolgte der stärkste bekannte und gemessene Wolkenbruch zu Cherapongi in Assam, wo an einem einzigen Tage 1036 mm Regen fielen. Wir werden in Deutschland glücklicherweise von solchen Sündfluten nicht heimgesucht, welche Gewalt aber Wolkenbrüche auch bei uns erreichen können, zeigt die in der Nacht vom 22. zum 23. Juli 1855 auf dem Büchenberge zwischen Wernigerode und Elbingerode gemachte Erfahrung. Dort gingen in 24 Stunden solche Wassermassen nieder, daß die gemessene Regenhöhe 248 mm ergab. Nach Angaben Hellmanns ist dies der stärkste Regenfall während eines Tages, den man in Deutschland beobachtet hat. Das Gebiet, über das sich dieser Wolkenbruch erstreckte, war verhältnismäßig gering, denn auf dem Brocken hatte man an jenem Tage nur 63 mm und im Selkethal nur 51 mm Regenhöhe und trotzdem wurde damals Wernigerode durch die größte und plötzlichste Ueberschwemmung in diesem Jahrhundert heimgesucht.

Regen, die gleichmäßig den ganzen Tag dauern, gehören jedoch zu den größten Seltenheiten. Die Wolkenbrüche vollziehen sich zumeist in kürzeren, nur stundenlangen Güssen. Es ist darum von besonderer Wichtigkeit, zu wissen, welche Regenmengen innerhalb kürzerer Zeiträume fallen können. Leider liegen nicht viele solcher Beobachtungen vor, weil auf den meisten meteorologischen Stationen die Regenmesser nur einmal am Tage abgelesen und selbstregistrierende Apparate erst in den letzten Jahren mehr und mehr eingeführt werden. Immerhin hat man hier und dort auch solche Beobachtungen während besonders heftiger Regengüsse angestellt. Die größte stündliche Regenhöhe in Deutschland wurde demnach am 14. August 1884 zu Waltershausen während eines

  1. 1 mm Regenhöhe bedeutet, daß auf 1 Quadratmeter 1 Liter Wasser mit dem Regen gefallen ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_466.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)