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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Kleine Künstler.

Von Professor Dr. Lampert.

Warm und kräftig scheint die Sonne in das Zimmer; ihre Strahlen, die wir während der langen Wintermonate so oft herbeigesehnt, fangen schon an, lästig zu werden, und wir schicken uns an, den Vorhang herabzulassen. Aber was ist das? Von den rechts und links an der Fensternische befindlichen Hülsen, in welche wir den Eisenstab des Vorhangs einschieben wollen, erscheint die eine mit Lehm verstopft und völlig verschlossen; wir bohren die Erde heraus und zu unserer Verwunderung sehen wir, daß es sich nicht um einfachen trockenen Lehm handelt, sondern wir finden eine braune schmierige, süßlich riechende, klebrige Masse. Während wir noch damit beschäftigt sind, die Hülse zu reinigen, fällt unser Blick auf eine Biene, die soeben abgeflogen und in die Hülse der anderen Seite hineinschlüpfte; bald kommt sie wieder heraus, schaut sich einen Augenblick um, aber ehe wir sie ergreifen können, hat sie sich schon wieder erhoben, um hinaus zu fliegen in den goldigen Sonnenschein und unseren Blicken zu entschwinden. Wir halten Umschau an den anderen Röhren, alle sind sie verstopft, ja erkundigen wir uns weiter, so erfahren wir, daß es keine Eigentümlichkeit unserer Wohnung ist, sondern daß fast in jedem Hause die Röhren der Fenstervorhänge in gleicher Weise zugebaut sind.

Der Verfertiger dieser geheimnisvollen Bauten hat sich bereits verraten; wir haben eine Biene als die Künstlerin kennengelernt. Unwillkürlich denken wir bei diesem Wort an unsere Honigbiene, die uns als die typische Vertreterin dieser Insektenordnung erscheint, und mit Erstaunen werden wir vielleicht von einem zoologisch weniger gebildeten Freunde gefragt, wie denn eine einzelne Biene dazu komme, in die Röhre eines Fenstervorhanges ihre Wabe zu bauen. Ist uns doch gerade die Biene das geläufigste Beispiel eines Staaten bildenden Insekts; von Jugend auf ist es uns ja bekannt, wie in einem Bienenstaat Tausende von Individuen in musterhafter Ordnung unter dem absoluten Regiment einer Königin dahinleben; wie in diesem großen Gemeinwesen jede Thätigkeit, Erwerb der Nahrung, Aufzucht der Nachkommenschaft, Instandhaltung der Wohnung genau geregelt ist und pünktlich ausgeführt wird; wie auch in diesem Tierstaat jedoch nicht eitel Friede und Freude herrscht; wie für die Arbeitsbienen die Köstlichkeit des Lebens Mühe und Arbeit heißt, während die Lebensaufgabe der Drohnen im Genuß der schönen Sommertage besteht, bis ihnen in der großen herbstlichen Drohnenschlacht der dies irae der Tag des Untergangs, anbricht.

All dies ist uns so geläufig, daß es der Laie als Norm, als Regel für die Hautflügler gelten zu lassen geneigt ist. Außer den Ameisen sind jedoch nur wenige Repräsentanten der reichen Insektenabteilung der Hautflügler zu einer so hohen sozialen Gesellschaftsordnung gelangt wie die Honigbiene. Denken wir der Hummeln, so sind zwar auch sie bis zur Staatengründung vorgedrungen, allein eine rauhe Herbstnacht macht allem ein Ende, und die stolzen Wespenbauten, die wir, ihre zum Teil ungewöhnliche Größe bewundernd, in unsern Sammlungen aufbewahren, sie sind das Werk eines Sommers. Nur wenige der vom Zoologen zu der Familie der Blumenwespen oder Bienen vereinten Hautflügler gründen Staatengebilde, die auch unserer winterlichen Witterung Ungunst überstehen, und viele gehen ganz einsam durchs Leben; kurz ist ihre Lebenszeit bemessen, gering sind ihre persönlichen Bedürfnisse, sie bauen keine großen Wohnungen, in denen sich Zelle an Zelle drängt, die Behausung vieler Hunderte und Tausende; sie sorgen nicht für Wintervorräte, die ihnen das Leben fristen, wenn Schnee und Eis die erstorbenen Fluren bedecken; ihr ganzes Leben hat nur einen Endzweck: die Erhaltung der Art. Eine passende Wohnung zu bauen, in welcher die dem Ei entschlüpfende winzige Larve Futter vorfindet zum weiteren Wachstum, in welcher sie, soweit es überhaupt möglich, geschützt ist vor äußeren Feinden, das ist der Lebenszweck einer solchen „Solitärbiene“, wie die Wissenschaft diese Gruppe bezeichnet; hat sie diese mütterlichen Pflichten erfüllt, so stirbt sie wie die ungeheure Mehrzahl ihrer Schicksalsschwestern im großen Reich der Insekten. Sie erlebt es nicht mehr, daß die dem Ei entschlüpfte Larve unbeachtet von der Außenwelt heranwächst, daß sie sich zur Puppe verwandelt und bald dann zum geflügelten Insekt; die jungen Larven der Einsambienen wachsen heran, ohne daß sie, wie bei der Honigbiene, ihre Nahrung sorgsam und durch die treue Aufopferung der erwachsenen Genossen zugeteilt erhalten.

Es lohnt sich, auch auf den Lebensgang dieser Solitärbienen einen Blick zu werfen!

Unser Spaziergang hat uns auf eine kleine Anhöhe geführt; zu unseren Füßen liegt der Spiegel des klaren Gebirgsees, und unfern erheben die Berge der bayerischen Alpen ihre Häupter in den Himmel; traumbefangen nehmen wir das stimmungsvolle Bild in uns auf und es dauert eine Weile, bis unser Blick, sonst wohl gewohnt, das kleinste Insekt am Boden zu entdecken, sich wieder der nächsten Umgebung zuwendet. Auf dem kiesbestreuten Fußpfad zu unseren Füßen treiben große, glänzend blauschwarze, bienenartige Tiere ihr Wesen; was haben sie hier zu suchen? Mit Erstaunen bemerken wir, wie sie kurze Zeit im Boden umherwühlen, um sodann mit einem kleinen Steinchen in den kräftigen Kinnladen wieder davon zu fliegen. Schon Plinius war dieses Gebahren bekannt; er hielt die Tiere für Honigbienen, die bei starkem Wind sich mit Steinchen beschweren, um erfolgreicher gegen die Kraft des Sturmes bei ihrem Flug ankämpfen zu können. Heute aber weht kein Lüftchen, heiß brennt die Sonne herab auf die zu unseren Füßen arbeitenden Bienen; sie geben uns leichte Gelegenheit, uns zu überzeugen, daß Plinius sich im Irrtum befindet. Unweit unseres Kiespfades findet sich eine Mauer, die einen geräumigen Garten umgiebt; an ihr sehen wir wiederum unsere Bienen in Thätigkeit. Ununterbrochen fliegen sie an, die eine faßt hier, die andere dort festen Fuß an der Mauer; schauen wir aufmerksamer zu, so sehen wir bald, daß alle in lebhafter Bauthätigkeit begriffen sind. Alle kommen mit Steinchen in den Kinnladen angeflogen; mit Speichel angefeuchtet, wird Steinchen auf Steinchen gefügt, bis eine inwendig geglättete, fingerhutartige Zelle fertiggestellt ist.

Nun ändert sich die Thätigkeit der Baumeisterin; der Kiesweg wird mit der blumigen Wiese vertauscht und statt der Steine als Baumaterial wird nun Stoff zum Futterpollen, der Nahrung der künftigen Larve, zugetragen. Ist hiermit die Zelle genügend gefüllt, so wird oben auf den Futterbrei ein Ei gelegt und möglichst rasch die Zelle geschlossen. Ohne sich Ruhe zu gönnen, beginnt das fleißige Tierchen sofort den Bau einer neuen, an die erste sich anschließenden Zelle. Zuletzt werden alle nebeneinander, teilweise auch übereinander liegende Zellen in der Weise verbunden, daß der ganze Komplex einem halbkugelförmigen, an die Mauer geworfenen und daselbst angetrockneten Erdballen gleicht, der nicht im geringsten ahnen läßt, daß er das mühsame Produkt der Thätigkeit eines Insekts ist. Es ist natürlich, daß derartige Bauten in ihrer wahren Natur leicht verkannt werden; nachdem wir sie einmal kennengelernt haben, sehen wir fast mit Erstaunen, daß die ganze Mauer voll derselben ist.

Unsere Maurerbiene, welche die Wissenschaft mit dem Namen Chalicidoma muraria belegt hat, gehört nicht gerade zu den häufigen Tieren, wo sie aber einmal sich findet, da begegnen wir ihr oder ihren Bauten auch in großer Zahl. Sie wählt für die Anlage ihrer Nester rauhe, nicht geglättete Steine; wir fanden sie somit hie und da an Wegsteinen, häufiger an Leichensteinen der Kirchhöfe, eine besonders reiche Fundquelle aber waren uns häufig Mauern oder Gebäude aus rauh behauenen Steinen ohne Bewurf derselben, eine Bauart, wie sie vielfach die Bahngebäude kleinerer Stationen zeigen. Als der Bahnhofsvorstand einer kleinen fränkischen Station in einer ästhetischen Anwandlung das Gebäude von den „häßlichen Anwürfen“ hatte reinigen lassen, traten sie sofort im nächsten Jahre in großer Zahl wieder auf.

Bald regt sich in der geschlossenen Zelle junges Leben; dem Ei entschlüpft eine winzige junge Larve, die sich mit Behagen über den ihr fürsorglich bereiteten Futtervorrat hermacht und bei dieser reichlichen, guten Nahrung bald zu einer feisten Made heranwächst; nach kaum 2 Monaten hat sie ihre normale Größe erreicht und spinnt sich in eine glasige Hülle ein, um sich dann in die Puppe zu verwandeln; erst im nächsten Frühjahr aber durchbricht die junge Biene mit kräftigem Gebiß und unterstützt von der das Gefüge der Steine lockernden Feuchtigkeit ihr steinernes Gefängnis, um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_476.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)