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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

auf seinem weltfernen Edelsitz leben zu sollen, daß sie meint sterben zu müssen, wenn er sie verläßt.

Ein paar Thränen funkeln plötzlich in ihren Augen; er sieht sie nicht, er starrt an ihr vorüber auf das Sternenbanner.

„Und eigentlich,“ fährt sie leise und mit weicher Betonung fort, da er schweigt, „ist es doch hübsch in diesem Lande, wo man mit jedem Atemzuge Vergangenheit, glorreiche Vergangenheit einzieht. Die ganze Atmosphäre ist eine so süße, träumerische, selbst unsere alte deutsche Erzieherin in New York mutete mich so an. Denken Sie, Baron, sie hatte eine Porzellanvase auf ihrer Kommode stehen, darin waren getrocknete Blumen. Wenn ich sie darum bat, lüftete sie den Deckel und dann zog ein wunderbarer Duft daraus hervor, ein bißchen verwelkte Rosen und Lavendel, ein bißchen Staub, ein bißchen Moder, aber so geheimnisvoll, so feierlich war das, und sie sagte dann mit ernstem Gesicht: ‚Atmen Sie, Miß Ellen, das ist deutsche Luft!‘ – –

Ach, ich möchte gern in diesem Lande bleiben und ich weiß, auch Mama wünscht es, aber – es müssen dann auch die Leute um mich sein, die ich gern habe.“ Mehr kann sie nicht thun, um ihn festzuhalten, und er schweigt noch immer.

„Wann kommen Sie zurück, Baron?“ fragt sie jetzt halb erstickt.

Er richtet die Blicke auf das reizende Geschöpf und sucht nach einer Antwort. Er sucht noch immer, als das Rauschen eines Kleides und der keuchende Atem Mistreß Perth ankündigt; hinter ihr erscheint der Hausherr.

„Baron Kronen will sich verabschieden, Mama,“ sagt das junge Mädchen traurig, die nichts von allem ahnt.

Jochen ist aufgesprungen, Mistreß Perth lacht, ein nervöses, gereiztes Lachen, Mister Perth läßt sich in einen Schaukelstuhl fallen.

„Wann kommen Sie zurück?“ wiederholt Ellen, und ihre Augen glänzen ihn an, als funkelten sie in Thränen, „wir sind noch nicht auf gleich mit unserer Lawntennis-Partie.“

„Du mußt fragen: ‚wann erlaubt Ihnen das gnädige Fräulein Schwester die Rückkehr, Herr von Kronen?‘“ belehrt Mistreß Perth und lacht wieder.

„Was wissen Sie von meiner Schwester, Madame?“ erkundigt er sich in gereiztem Tone.

„Viel!“ sagt sie boshaft. „O, sehr viel!“

Er hat plötzlich sein hochmütigstes Gesicht aufgesetzt, nimmt seinen Hut vom Stuhl und verbeugt sich. „Es wird Zeit, daß ich Sie verlasse – ich habe die Ehre, den Damen einen guten Abend zu wünschen, Mister Perth, leben Sie wohl!“

Grete Busch steht noch in derselben kampfbereiten Haltung. Sie weiß, den Freier hat sie verscherzt für ihre Ellen, den, den sie der Tochter am liebsten gegönnt in ihrem dummen Hochmut, in ihrem Streben, Ditscha zu demütigen. Nach ihrer Meinung ist diese verhaßte Schwester vierundzwanzig Stunden zu früh gekommen – wäre die Verlobung perfekt gewesen, sie hätte auch fortbestehen sollen, dafür würde sie als Mutter gesorgt haben.

„Viel!“ betont sie jetzt nochmals laut und schrill, genug, um begreiflich zu machen, daß sie vollberechtigt ist, so stolz zu sein, wie sie sich gebärdet.

„Wiederholen Sie mir das noch einmal!“ fordert Joachim von Kronen sehr ruhig, „ich verstehe nicht recht.“

Grete Busch hat bereits die Herrschaft über sich verloren vor den drohenden Augen, die ihr aus dem leichenblaßen Gesicht des jungen Mannes entgegen blitzen.

„Sie ziehen vor, zu schweigen,“ sagt er, „aber sicher wird Mister Perth eine Aufklärung geben können, nicht wahr, Mister Perth?“

Mister Perth hält mit Schaukeln inne und blickt von der Zeitung auf. „Aber dear child!“ ruft er vorwurfsvoll, „was redest Du da! – Herr Baron, Mistreß Perth ist etwas sehr erregt heute, achten Sie nicht auf ihre Worte –“

„Sie, mein Herr, sind verantwortlich für das, was in Ihrem Hause geredet wird,“ beharrt der junge Mann. „Ich wende mich an Sie – was will Madame mit der eigentümlichen Redensart sagen?“

„Sie haben sich ganz an die richtige Stelle gewendet,“ schreit jetzt die erboste Frau, „ganz an die richtige Stelle! Kein Mensch kann Ihnen genauer Bescheid geben über die fragliche Dame als mein Mann.“

„Aber, Gretchen,“ ruft er heftig – „ich bitte Sie, Herr Baron – Kindergeschichten – Jugendthorheiten – –“ Er hat sich von seinem bequemen Stuhl erhoben und steht vor Achim von Kronen. „Nichts von Bedeutung, Herr Baron; die Damen urteilen so streng in gewissen Dingen, eh –“

„Weiter!“ sagt der junge Mann befehlend.

„Wenn Sie darauf bestehen – aber ich weiß nicht –“

„Ich bestehe darauf, ja!“

„Nun – ich hatte vor Jahren die Ehre, der Verlobte Ihres Fräulein Schwester zu sein – das ist alles.“

„Ellen, geh’ hinaus!“ ruft Madame. – Ellen ist bereits gegangen. – „Es ist nicht alles,“ fügt sie dann hinzu, und nun sagt sie etwas, sagt es mit dürren, kurzen, höhnischen Worten, daß der junge Mann zurücktaumelt und nach einer Stütze greift.

Wie Hilfe suchend, irrt sein Auge zu dem Mann hinüber, aber dieser zuckt die Schultern und macht eine bestätigende Gebärde, als wollte er sagen: „Sie haben es hören wollen, mein Herr!“

In Joachims Ohr klingt nur noch das eine Wort: „Davongelaufen.“ – „Sie sind ein Lügner, mein Herr!“ schreit er, „ein gemeiner Lügner!“

„Nun, er ist mein zweiter, lieber Mann geworden, nachdem er acht Jahre lang in unserer Manege Bereiter war, in Chicago,“ erklärt Frau Perth. „Fragen Sie nur Ihre Schwester nach ihm, sie kennt ihn, den Hans von Perthien.“

„Sie werden von mir hören, mein Herr,“ sagt Joachim.

„Ich verstehe vollkommen,“ ist die Antwort.

Im nächsten Augenblick befindet sich der junge Mann auf dem Wege zum Hotel, zu Ditscha. Dann ist er in ihr Zimmer getreten, seine Seele blutend, sein Heiligenbild beschmutzt, in den Staub getreten, so jammervoll, wie er sich noch nie gefühlt hat in seinem ganzen Leben. Es ist nicht wahr – es kann nicht wahr sein! Er hat nicht gewagt, es ihr anzudeuten, er hat sie immer nur angestarrt, die Ditscha, seine Ditscha – – es ist nicht möglich, es ist Wahnsinn! Und nun ist sie fort und ihn überkommt die Verzweiflung. Ganz früh, in der blaugrauen Dämmerung des Frühlingsmorgens kehrt er erst wieder heim.


Ditscha ist auf Beetzen angelangt. Von irgend einer Station hat sie telegraphiert, man solle ihr den Wagen schicken, und der Wagen erwartet sie auch wirklich. Es ist kühl und regnerisch geworden; man hat das Coupé geschickt, das Achim seiner Schwester schenkte, weil sie ihre Besorgungen in Bützow bei schlechtem Wetter nicht in der Halbchaise machen soll, wie bisher; sie hat sich im vorigen Jahre eine heftige Erkältung dabei geholt.

Es ist ein Wagen wie ein Schmuckkästchen, mit braunem Seidendamast ausgeschlagen, mit einem Täschchen für das Notizbuch, einer allerliebsten Uhr in braunem Sammtgehäuse, einem Spiegel und einem Gummiluftball, der dem Kutscher das Signal zum Halten giebt. „Ein Wagen, der viel zu schön für mich ist,“ hatte sie freudenrot gesagt, als er ihr geschenkt wurde, und der Bruder hatte erklärt: „Ditscha, es giebt gar nichts, was zu schön für Dich wär’!“

Heute weint sie, daß er, der so gern Freude bereitet, leiden muß, daß eine so widerwärtige Verkettung von Umständen und Verhältnissen seinen ersten Liebestraum so unselig kreuzt. – Ach, es ist ja auch geradezu unglaublich!

Zu Hause angekommen, erfährt sie, daß der alte Herr noch schläft. Sie sucht ihr Zimmer auf und läßt Hanne bitten, zu ihr zu kommen, und während sie sich umzieht, sitzt die alte treue Seele auf einem Stuhl, den ihr die Herrin freundlich geboten, und berichtet, was geschehen ist in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit.

„Ich und der gnä’ Herr sind spazieren gefahren,“ beginnt sie und hat dabei die Hände gefaltet, als erzähle sie ein Unglück.

„So?“ sagt Ditscha zerstreut, „trotz des Regens?“

„Nich ein Droppen, gnä’ Fröln! Abers ich wollt’, es hätt’ gegossen wie mit Mollens, dann wär’ die Tour ja woll unterblieben.“

„Warum denn, Hanne?“

„Weil uns’ oll Herrn Baron ’ne richtige Ahnmacht öwerkamen is.“

„Aber – Hanne!“

„Ja, dat was nich g’rad’ pläsierlich, un wenn auch – –“

„Wie ist denn das gekommen? So rede doch!“ ruft Ditscha.

„Wi sün um Klock drei von hier wegfahren, un Slag negen gestern abend sün wi nah Hus kamen, gnä’ Fröln.“

Ditscha sieht die alte Frau an, als ob sie zweifelhaft sei, daß sie ihren rechten Verstand habe.

„Ja, un das kam so – der Herr Baron wollt’ partuh nach

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