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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Dombeck to, un ich sag’ noch, ich sag’: ,Gnä’ Herr, is dat nich toveel vor Ihre Konstituschon, denn de oll Frühjahrsluft nimmt en ollen Menschen so mit‘ – aber hei will, un wenn En’ will, denn kann man ja nix dabi don. Wi fuhren also los, un as wi an dat Wehr kamen von de Krumme Beetze, da wo’s an Herrn Rothen seinen Park herumgeht, da säd he to mi: ‚Hanne, mir is so slecht, Hanne – laß umkehren!‘ Un da lag he schon in de Küssens wie tot. – – Un nu, wat beginnen! Se wet’n, gnä’ Fröln, ick verlier’ nich so licht minen Kopp, aber diesmal – ich hev dacht, he is dot, reinemang dot, und wil dat wi nu dicht bi’t Dombecker Sloß woren, schrei ich oll Franzen zu, he süll int Dohr fahren un seihn, dat wi Hülp bekamen. Na – un da – –“ sie macht eine Pause – „na ja, un wor denn man good, daß g’rad’ de Herr to Hus is un uns’ armen ollen Herrn plegen kann. Un dat hat he denn ok dahn, as wär he sin leibhaftige Söhn, gnä’ Fröln, un Klock halvnegen, da hat he den ollen Herrn auf seine Armens die Trepp’ hendal dragen un in den Wagen, un is mit uns her fahren, un hat ihn hier ins Bett getragen un is hier bliven, bis de Herr Baron inslapen is, de Herr Rothe.“

Und die alten Augen sehen aus ihren Runzeln gespannt zu der Herrin hinüber, als wollten sie die leiseste Bewegung erspähen, die dieser Bericht in dem blassen Antlitz erwecken muß. Aber Ditscha kann sich beherrschen; sie bleibt völlig ruhig und sagt kein Wort, nur jeder Nerv zittert in ihr.

Sie sitzt auf der Chaiselongue ihres Schlafzimmers und sieht zum Erbarmen elend und erschöpft aus. Hanne steht auf, ordnet ein paar Kissen und holt eine weiche Decke. „Legen Se sich, gnä’ Fröln! So’n Perforcetour is nix vor Ihnen. So, un nu mach’ ich gleich dunkel in de Stuv, slapen Sie. – Wenn mar satt is und utslapen, hat mar gleich ’nen andern Glauben. So – un wenn uns’ jung’ Herr erst wieder hier is, denn wird’s allens besser, auch mit ’m alten Herrn.“ –

Es ist Theezeit, als Ditscha herunterkommt. Das alte trauliche Wohnzimmer ist von einer grauen, fast winterlichen Dämmerung erfüllt, im Kachelofen brennt ein Feuer. Ditscha, die aus einem kurzen unruhigen Schlaf erwacht ist, sieht man die vergossenen Thränen noch an, mit denen sie eingeschlummert war. Der alte Herr in seinem Stuhl, mit wollenen Decken verpackt, bemerkt es gar nicht. Er scheint sich kaum daran zu erinnern, daß Ditscha verreist war.

„Joachim läßt Dich grüßen, Onkelchen,“ sagt sie, „und in zwei Tagen spätestens ist er hier.“

„Hast Du ihn denn – ach, richtig – war er wohl und vergnügt? Bringt er seine Verlobung mit?“

„Noch nicht, Onkel, aber das hat ja noch Zeit. Nicht? Wie geht Dir’s denn heute?“

„Gut, gut, Kind; aber gestern – alle Wetter, ich dachte, nun ist Halali! Hanne hat Dir wohl erzählt?“

„Ja, Onkel.“

„Und denke Dir, wie denn wieder einigermaßen die alte Maschine in Gang gesetzt war, da haben wir uns allerlei erzählt. Hab’ auf dem Sofa gelegen in Dombeck und mich bedienen lassen wie ein Pascha. Ach, da hat man denn auch allerhand gehört. Das alte Mutterle ist tot, und eine Schwester tot, und er hat da oben in Ostpreußen so umher gesessen, meilenweit keine Nachbarschaft und im Winter total eingeschneit, Wolfsjagd und allerhand kleine Grenzabenteuer – ein ledernes Dasein! Schließlich, wie die alte Frau gestorben ist, hat sie ihm das Versprechen abgenommen, wieder hierher zu gehen, wenn er doch einmal das Ding nicht verkaufen will. Nun ist er da – sonderbarer Zufall, daß man einander gleich wieder in die Pfoten rennt. – Hm! Na, schließlich muß alles ’mal vergessen werden! Ich hab’ ihm auch von Dir erzählt und gesagt, Du wärst ganz fidel, ganz fidel, und beinah’ noch hübscher wie als junges Mädchen, und hättest einen Narren gefressen an dem Jungen; und ich sei doch teufelsmäßig froh, daß aus der Sache nichts geworden wär’ damals, ja, ja – denn ohne Dich wär’s nicht zum Aushalten – nicht, Ditscha?“

Sie hat Thee eingegossen, die Tasse klirrt ein wenig in ihrer Hand. „Und bleibt er wirklich immer hier?“ fragt sie leise.

„Wer? Der Rothe? Doch wohl, jedenfalls – hab’s so verstanden.“

„Sagtest Du ihm, daß ich verreist bin?“

„Ja, ich glaube – nein, ich weiß es gewiß. Ihr wolltet Kunst kneipen in Dresden, hab’ ich erzählt – sagtest Du nicht so?“

In diesem Augenblick meldet der Diener Herrn Rothe, und ehe noch Ditscha den Gedanken einer Flucht, der ihr blitzartig durch den Kopf fährt, verwirklichen kann, ist er schon im Zimmer. Die Arme sind ihr heruntergesunken, sie steht, das Gesicht dem Fenster zugewandt, blaß bis in die Lippen, die Augen groß geöffnet, den Mund zusammengepreßt wie im Krampf – doch im nächsten Augenblick hat sie sich gefaßt und mit einer Selbstbeherrschung ohnegleichen reicht sie dem Manne die Hand, in dessen Bart schon weiße Fäden schimmern, dessen sonnenverbranntes Gesicht das alte nicht mehr ist; es steht viel von in Einsamkeit und Leid verlebten Jahren darin.

„Ich hoffe, Sie nehmen an, gnädiges Fräulein, daß ich keine Störung beabsichtige. Ihr Herr Onkel sagte mir, Sie –“ er hält ein und betrachtet sie – „wie Sie unverändert sind,“ sagt er langsam, und sie entzieht ihm die Hand – „daß Sie verreist seien,“ vollendet er und wendet sich zu dem alten Herrn. „Wie geht es Ihnen heute, Herr Baron?“

„Danke, viel besser. Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Rothe?“

„Ich danke! Ich wollte mich nur überzeugen, daß Sie wieder wohlauf sind, Herr Baron, und ich sehe es ja, sehe, daß Sie sich in vortrefflicher Pflege befinden.“ Er schüttelt dem alten Mann die Hand und verbeugt sich vor Ditscha.

„Ich danke Ihnen für die Hilfe, die Sie Onkel gewährten,“ sagt sie und streckt ihm die Hand entgegen.

Er faßt sie leise in die seine. Es ist dasselbe Zimmer, in dem sie ihre Jugendträume geträumt haben; dieselben Bilder, dieselben Möbel, die nämliche Uhr tickt an der Wand, nur die Menschen sind nicht mehr dieselben.

„Sie sind glücklich?“ fragt er leise. „Ihr Herr Onkel sagte es mir schon, und Sie sehen auch so aus; ich weiß nicht, ob ich Ihnen das Gleiche von mir erzählen könnte. Also, es ist gut geworden für Sie, Sophie? Das macht mich ruhig und froh. Leben Sie wohl!“

„Wann kommen Sie wieder? Kommen Sie doch!“ ruft ihm der alte Herr nach.

Er zögert mit der Antwort.

„Bitte,“ sagt auch sie, „kommen Sie wieder! Onkel freut sich so sehr darüber; wir sind jetzt sehr einsam hier auf Beetzen.“

Eine stumme Verbeugung, und er ist verschwunden.

„Er kommt nicht wieder, Onkel,“ sagt sie ruhig. „Wer sucht auch gern peinliche Erinnerungen auf?“

Am andern Morgen, nach schlafloser Nacht, hat sie Joachims Zimmer selbst geordnet, seine Lieblingsblumen, seine Lieblingsspeisen, alles erwartet ihn. Er hat einmal eine kleine Uhr, die sie von einer Patin geerbt, so hübsch gefunden; sie trägt sie auf seinen Schreibtisch, sie zieht das Kleid an, das er gern an ihr sieht. Und nun hat sie ein paar Stunden Zeit, bevor der erste Zug aus Dresden in Bützow eintrifft. Sie sitzt dann an ihrem Schreibtisch und vor ihr liegt ein Buch; sie will, wie sie das stets gethan hat, in ganz kurzen Zügen ihre Erlebnisse eintragen. Und sie blättert zurück und vertieft sich in den Abschnitt ihres Lebens, der nur von Joachim handelt.

Es sind ganz nüchterne, trockene Notizen, aber welch’ eine Welt von Liebe spiegelt sich in ihnen ab. Da steht z. B.: Heute ist unser kleiner Patient zum erstenmal im Garten gewesen; ich schob seinen Fahrstuhl, er will es von niemand anders leiden. – Wie hat er sich gefreut über die knospenden Bäume! – Ein paar Jahre weiter liest sie: Heute ist meines Jungen Hauslehrer entlassen, und ich war mit ihm in der Stadt, um ihn zum Gymnasium anzumelden; es ist nötig, daß er zwischen Altersgenossen kommt. Bisher war ich sein Kamerad, nun hat er den ersten Schritt von mir hinweg gethan. Er kommt jeden Nachmittag heim, oft werde ich ihn abholen; unser Diner ist jetzt auf die fünfte Nachmittagsstunde verlegt. – Später liest sie: Heute hat unser Joachim das Abiturientenexamen bestanden!!

Sie erinnert sich noch so genau an diesen stolzen Tag. Sie hatte Achim natürlich abgeholt; in der Frau Gymnasialdirektor guter Stube hatte sie auf ihn gewartet. – Es war im Frühjahr, ein richtiges Aprilwetter, und Ditscha trug einen Schneeglöckchenstrauß in der Hand, als nun der Junge strahlend eintritt. „Durch!“ sagt er, weiter nichts, und sie weint vor Freude und küßt ihn und muß lächeln zu gleicher Zeit, so fremd und stattlich sieht er in seinem ersten Frack aus. Ach, und die Fahrt nach Hause, Onkel Jochens Seligkeit und Hannes Stolz! Und die kleine festliche Tafelrunde mit Pastors und der humoristischen Rede des geistlichen Herrn, der allerliebsten Gegenrede des Jungen. Wo sind die Zeiten hin!

(Schluß folgt.)

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