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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

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Blätter und Blüten


Die neue Gedächtnishalle für die Königin Luise im Schloßgarten von Neustrelitz. (Zu dem nebenstehenden Bilde und dem auf S. 469.) Daß die edle Königin Luise von Preußen, die Mutter des späteren Kaisers Wilhelm I., am 19. Juli 1810 im Schloß zu Hohenzieritz bei Neustrelitz verschieden ist, und daß im Auftrage ihres trauernden Gatten, des Königs Friedrich Wilhelm III., der Bildhauer Christian Daniel Rauch eine herrliche liegende Statue der Königin für deren letzte Ruhestätte in Charlottenburg angefertigt hat, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Rauch selbst fand sich durch sein vielgepriesenes Werk aber nicht ganz befriedigt, er meinte, es entspreche noch nicht ganz dem künstlerischen Ideal, das ihm von seiner edlen Wohlthäterin vorschwebte. Er ging deshalb nach Rom und fertigte dort in aller Stille ein zweites, wohl noch vollkommneres Werk an. König Friedrich Wilhelm III. kaufte es und ließ es in der Nähe des Neuen Palais bei Potsdam in einer Sammlung von Kunstgegenständen aufstellen, wo es sich noch heute ziemlich verborgen befindet. Von diesem Original giebt es überhaupt nur zwei Gipsabgüsse, deren einer sich in der Sammlung der Abgüsse Rauchscher Werke befindet; der andre, von Rauch dem Großherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz geschenkt, ward in einem Gartenhäuschen im Schloßgarten zu Neustrelitz einstweilig aufgestellt und hat jetzt seinen Platz im Sterbezimmer der Königin Luise in Hohenzieritz, wohl für immer, gefunden.

Der Sarkophag der Königin Luise in der Gedächtnishalle zu Neustrelitz.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph H. Krull in Neustrelitz.

Der jetzt regierende Großherzog Friedrich Wilhelm, der Neffe der Königin Luise, faßte aber vor einigen Jahren den Entschluß, dies herrliche Kunstwerk Rauchs in Marmor nachbilden und in einem in griechischem Stil zu erbauenden Mausoleum aufstellen zu lassen. Mit der Ausführung der Arbeit ward der inzwischen verstorbene, zeitweise in Rom weilende Professor Albert Wolff, ein Schüler des Meisters Rauch und Neustrelitzer von Geburt, betraut. Der Bau der Gedächtnishalle ward dem Hofbauamt, bezw. dem Hofmarschall Grafen Schwerin und dem Baurat Müschen in Neustrelitz, übertragen, das ihn nach einem vom Großherzog selbst festgestellten Plan in edelstem Stile unter Zuziehung des Baumeisters Sehring in Charlottenburg ausgeführt hat. Die Gedächtnishalle für die Königin hat die Gestalt eines griechischen Tempels; sie ist aus schwedischem Granit und schlesischem Sandstein erbaut und hat auf einer vom Großherzog dazu erwählten, vor vielen Jahren künstlich aufgetragenen Höhe im Neustrelitzer Schloßgarten ihren Platz erhalten. Vier Stufen führen zu den vier Säulen hinan, die das Dach tragen und durch die man an eine eiserne Gitterthür mit Glasscheiben gelangt, die einen Blick in das Innere gewähren. Zunächst fällt der Blick auf das herrliche Monument der Königin, das dem im Charlottenburger Mausoleum völlig ebenbürtig ist, von manchen Kunstverständigen ersterem sogar vorgezogen wird. An der Wand, zu Häupten der hehren Frau, befindet sich eine Marmortafel, auf der in goldnen Buchstaben geschrieben steht:

Edle Frau aus edlem Stamme,
Ruhe sanft in ewgem Frieden
Nach des Lebens wilden Stürmen.

Die Wände im Innern der Gedächtnishalle sind mit gelbem italienischen Marmor (Giallo di Siena) bekleidet, der Fußboden ist mit schwarzem Granit und gelbem und grauem Marmor belegt. Das Ganze gewährt einen wohlthuenden, äußerst würdigen Anblick. Allsonntäglich, mittags von 1 bis 3 Uhr, ist das Mausoleum dem Publikum geöffnet. P–n.     

Freund Sepp. (Zu dem Bilde S. 477.) Wohl haben Alter und Armut dem alten Mann die kräftige Statur etwas zu beugen vermocht, aber mit gemütlichem Behagen blickt er in die Welt. Doch nicht in der Freiheit der Berge, wie es seine Tracht glauben macht, sondern mitten im Großstadtleben Berlins hat sich der Alte da vor uns die behagliche Lebensstimmung, die seine Züge beseelt, errungen und erhalten. Der Maler Leo Arndt hat in diesem Bilde die Erscheinung und das Wesen eines Berliner „Modells“ wiedergegeben, das bis zu seinem vor einiger Zeit erfolgten Tode sich in der Berliner Künstlerwelt besonderer Beliebtheit erfreut hat. Das Urbild des „Freund Sepp“ hatte einst bessere Tage gesehen; der Mann war in jüngeren Jahren ein wohlbegüterter Gasthofsbesitzer gewesen. Widrige Umstände hatten ihn um sein Vermögen gebracht; das Interesse, das sein prächtiger Charakterkopf bei Malern erregte, führte ihn später dazu, seinen Lebensunterhalt sich durch Modellstehen zu verdienen. Immer war er guter Laune, die Last seiner Jahre – er zählte deren 84 als unser Bild entstand – schien ihn nie zu drücken. Die Gewohnheit, als Modell etwas anderes, oft auch Besseres vorzustellen als er selber war, hatte in seinem Innern offenbar die Neigung entwickelt, auch sein eigenes Los in einem verklärenden Lichte zu schauen.

Vorsichtiges Spiel. (Zu dem Bilde S. 481.) Ja, wenn die Ueberraschungen nicht wären! .. Papa spielt grundsätzlich mit äußerster Vorsicht und nimmt sich zu jedem Zuge Zeit, fünf, unter Umständen auch zehn Minuten, da dauert die Sache regelmäßig viel länger, als dem Töchterlein lieb ist, und auch die zum Abholen kommenden Freundinnen haben keine andere Wahl, als der interessanten Partie noch eine Weile zuzusehen. Schweigend selbstverständlich, denn der Herr Oberst a. D. duldet keine zerstreuende Unterhaltung! Desto größer ist ihre Schadenfreude, wenn, wie eben, ein plötzliches Ende mit Schrecken bevorsteht. Dem sorgsam erwägenden Papa ist ein böses Uebersehen passiert: noch ein Zug und dann matt! Das ist so sonnenklar, daß es sogar der leichtfertige Backfisch auf dem Diwan lachend einsieht, während die glückliche Siegerin ein gemäßigtes Lächeln halb hinter dem Fächer verbirgt. Unerhört! … Schrecken und Zorn furchen die Stirne des so schmählich Ueberrumpelten, aber es ist nicht anders: der weiße Springer und die Königin bieten heimtückisch Schach, während er mit seiner schwarzen einer tiefangelegten Kombination auf der andern Seite allzu eifrig nachging! … Die Situation scheint rettungslos, es müßte denn sein, daß einer unserer schachturnierenden Leser einen Ausweg sähe und dem alten Herrn zur Hilfe beispränge. Aber eilen muß er sich damit, denn es ist höchste Zeit! Bn.     


Kleiner Briefkasten.

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Inhalt: Vater und Sohn. Wahrheit und Dichtung. Von Adolf Wilbrandt (1. Fortsetzung). S. 469. – Schloß Hohenzieritz. Bild. S. 469. – Die Einweihung des Kaiser Wilhelm-Kanals. Bild. S. 472 und 473. – Die Eröffnung des Kaiser Wilhelm-Kanals. Von Paul Lindenberg. S. 474. (Mit dem Bilde S. 472 und 473.) – Kleine Künstler. Von Professor Dr. Lampert. S. 476. – Freund Sepp. Bild. S. 477. – Haus Beetzen. Roman von W. Heimburg (14. Fortsetzung). S. 479. – Vorsichtiges Spiel. Bild. S. 481. – Blätter und Blüten: Die neue Gedächtnishalle für die Königin Luise im Schloßgarten zu Neustrelitz. S. 484. (Zu den Bildern S. 469 und 484.) – Freund Sepp. S. 484. (Zu dem Bilde S. 477.) – Vorsichtiges Spiel. S. 484. (Zu dem Bilde S. 481.) – Kleiner Briefkasten. S. 484.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_484.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)