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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

steht zur ersten Scene (sie blickte auf ihren andern Bogen): „Unterredung über den Zweck von Kaiser Max’ Abreise nach Brügge.“

Ja, das muß das Publikum durch die Pagen erfahren, erwiderte Helene mit ihrem „gelahrten“ Gesicht; aber natürlich müssen sich die Pagen das nicht merken lassen, sie müssen ganz gemütlich miteinander sprechen.

Einer muß sich räkeln –

Ja, auf einem Diwan; der andere steht am Fenster. Waldemar liegt auf dem Diwan, denk’ ich; er kann ja auch wirklich eingeschlafen sein –

Toni nickte eifrig. Er ist überhaupt der Bequeme, der Faule; nicht? Es müssen doch verschiedene Charaktere sein. Er kann zum Beispiel so im Gespräch zu Toor sagen, der darüber flucht, daß sie als Pagen so viel Langeweile und so wenig zu thun haben: „nun ja, Du bist eben für die Abwechslung; ich finde es schöner, gemütlich zu leben.“

Ja, Toni, das kann er thun. Dabei müssen sie aber auch über Philipps bevorstehende Verlobung mit Johanna von Spanien sprechen; das ist ja doch die Hauptsache. Fangen wir nur an!

Sie schrieben die Pagenscenen; dann kam Philipp, Kaiser Maximilians Sohn. Auf Tonis Verlangen meldete ihn ein Diener an: „Herzog Philipp!“ was Helene zwar überflüssig fand, da nur die Pagen zugegen seien; aber Toni hatte das Gefühl, auf dem Theater müßten die fürstlichen Personen mit gehobener Stimme angemeldet werden, und Helene gab nach. Nun kommt aber der erste Monolog, sagte sie dann wichtig, die Feder an ihr kleines Ohr gedrückt; wenn Philipp die Pagen fortgeschickt hat, so hält er seinen Monolog (Toni nickte); und dann ist es gut, mein Herz, daß die Zuschauer gleich darauf vorbereitet werden, daß er sich sehr leicht verlieben wird – in Arabella, mein’ ich. Zuerst muß er sagen, daß dies sein Verlobungstag mit der spanischen Prinzessin sein sollte und warum noch nichts daraus geworden ist; und dann sollt’ er fortfahren, verstehst Du: „Gern hätte ich die für mich Auserwählte gesehen, da mir so viel von ihr vom Vater erzählt wurde (Helene machte dabei ein möglichst prinzliches, vornehmes Gesicht). Blond, von fürftlicher Anmut soll sie sein. Das ist eigentlich nicht wein Geschmack“ . . . Verstehst Du! – „Ich liebe diese weißen Milchgesichter nicht“ –

Aha! warf Toni dazwischen und reckte ihren Arm.

„Ich liebe diese weißen Milchgesichter nicht; mich verlangt’s nach einem glutvollen Weibe, einer dunklen Schönen. Doch da sie der Vater mir bestimmt hat“ – und so weiter.

Das ist famos! rief Toni bewundernd aus. Nun weiß man schon, was kommen wird. Und nun wundert man sich auch nicht, wenn es kommt. Den ganzen Monolog, den mußt Du diktieren; mach’ zu!

Helene diktierte, sie schrieben beide; wie fix das geht! murmelte Toni entzückt. Am Schluß sah Herzog Philipp nach der Uhr: „Die Mutter kann jeden Augenblick kommen“; jetzt meldete auch schon ein Diener: „Die Kaiserin naht mit der Prinzessin“. Vierte Scene. Sie begrüßen sich; die Kaiserin Maria giebt ein Zeichen, das Gefolge zieht sich zurück. Die dreizehnjährige Prinzessin Margarete geht bald ans Fenster; Mutter und Sohn unterhalten sich über den Aufstand in Brügge und daß die Prinzessin Braut nun bald kommen wird, und daß man den Brandstifter des Rathauses noch nicht gefunden hat. Toni ließ die kluge Helene das alles machen, sie schrieb, was die vorschlug; es kam aber eine Unruhe über sie, die von Zeile zu Zeile wuchs. Ihre langen, dunklen Brauen zogen sich finster zusammen, sie rutschte auf ihrem Stuhl. Na, was hast Du denn? fragte Helene endlich.

Nein, so geht es nicht, sagte Toni. Sie reden immer so eben fort. Es kommen keine Schlagworte. Es müssen Schlagworte hinein!

Schlagworte?

Ja; so was Bedeutendes – das man sich dann merkt. So besondere, schneidige Gedanken, weißt Du ...

Ich hab’ einen! rief sie plötzlich aus und hob ihren Finger, als meldete sie der Lehrerin in der Schule, daß sie etwas wisse. Wenn Maria zu Philipp gesagt hat: „nein, gefunden hat man den Brandstifter noch nicht“, dann lassen wir sie fortfahren: „doch vermutet man, daß es einer aus Rache gegen Max gethan hat. Welcher große Mann hätte weder Neider noch Feinde!

Helene nickte stumm. Sogleich stürzte sich Toni auf ihren Bogen Papier – sie war schon unten auf der dritten Seite – und schrieb dieses Schlagwort hin; vier Ausrufungszeichen setzte sie in ihrer Begeisterung hinzu. So! sagte sie dann aufatmend, nun kann’s weitergehn!

Nun kommt der Auflauf, bemerkte Helene. Den Margarete vom Fenster aus sieht, so wie Du’s gesagt hast.

Hurra, wir sind also schon beim Auflauf! schrie Toni.

Sie kamen in ein Feuer, daß die Worte und die Federn flogen; die Federn konnten nicht mit. Endlich stürzte die eigentliche Heldin auf die Bühne, Thea-Arabella; ihr Bruder Janko ward von den Bürgern hereingeschleppt: „Führt ihn vor die Kaiserin!“ – Jetzt giebt die Kaiserin der Prinzessin ein Zeichen, schlug Helene vor, worauf diese sich zurückzieht –

Warum? fragte Toni.

Ach, die dreizehnjährige Margarete, die stört jetzt nur. Die Kaiserin schickt sie fort; das thun die Mütter ja immer, wenn was los ist!

Toni nickte, und sie schrieben es hin. Ja, jetzt ging’s los! Von dem wütenden, drohenden, „die Häude schüttelnden“ Volk wird Janko als Brandstifter, Arabella als Hexe angeklagt . . . „Edel“ antwortet sie. O, sie sind so unglücklich; so unschuldig ... Herzog Philipp steht da „wie erstarrt“, „überwältigt von ihrer so fremdartigen Schönheit“. Sagen thut er noch nichts; aber „wie sie ihn ansieht, begegnet sie einem feurigen, auf sie gerichteten Blick, vor dem sie die Augen niederschlägt“ ...

Janko wird von der Kaiserin verhört; er verteidigt sich. Die Bürger glauben ihm nicht; nun denn, ruft Arabella endlich aus, so will ich mit ihm sterben! wenn keiner mit uns Mitleid fühlt! – Aber sie irrt. Philipp fühlt es. Er befreit den Janko. Er schickt die Bürger fort. Die Kaiserin wird abgerufen, denn es kommt Besuch. Nur Philipp und die Zigeuner bleiben auf der Bühne. Er nimmt Janko in seinen Dienst, schickt ihn zum Kaiser nach Brügge . . . Janko ab . . .

Toni that einen tiefen glückseligen Atemzug: endlich Philipp und Arabella allein! Nun will ich Dir was sagen Helene, fing sie mit gedämpfter Stimme, aber glühenden Wangen an: nun laß mich, bitte, den Philipp dichten und Du die Arabella. Lieben thun sie sich nun ja schon –

Natürlich! Die richtige Liebe kommt ja immer schnell!

Den Philipp, den kann ich gut, fuhr Toni fort. dabei denk ich, daß das nicht Arabella, sonderm Thea ist!

Meinetwegen, Toni. Aber Du mußt doch nie vergessen, daß es ein historisches Schauspiel ist. Und daß Du als Herzog Philipp

O Gott! rief Toni nur, als verstehe sich das von selbst. Fang’ Du nur an, altes Haus!

Ich kann nicht anfangen, sagte Heleue achselzuckend. Arabella ist ein junges Mädchen und „will nun auch gehen“ –

Das thut nichts! Herzog Philipp ruft: „Arabella!“

Ja, dann bleibt sie natürlich stehen. „Was wünscht Ihr, Herr?“

Darauf sagt Philipp etwas gekränkt: „Und Ihr habt kein Wort des Dankes für mich?“

Nun ist die Scene im Gang, murmelte Helene. Sie begann zu schreiben; Toni folgte ihr. Sie glühten jetzt beide wie die jungen Rosen; kritzelnd, sinnend, sprechend; die Augen immer größer und die Buchstaben auch; die Federn wie toll. Helene, an Rudolf denkend, für den sie seit einigen Tagen heimlich schwärmte, stierte aufs Papier. Arabellas Leidenschaft, fuhr sie fort, ist natürlich noch „verhalten“, denn sie ist ein Mädchen; sie antwortet also: „Kein Wort des Dankes? O, könnte ich alle Gedanken, die mein Herz bewegen, in Worte kleiden, wie glühend wollte ich Euch danken. Aber“ – dies sagt sie „bitter“ – „was kann Euch an dem Dank einer Zigeunerin gelegen sein? Denn was ist eine Zigeunerin für Euch?“

Jetzt brach Toni los. „Was Ihr mir seid, Arabella? Soll ich Euch sagen, wie teuer Ihr mir in dieser kurzen Zeit geworden? Ja, ich habe Dich lieb gewonnen, Arabella, Du bist mein Glück, mein Alles!“

„Du bin mein Glück, mein Alles“, wiederholte Helene, als sie das alles hingeschrieben hatte. „Arabella (leidenschaftlich) O Herr, Ihr vergeßt Euch!“

„Nein, Arabella, höre mich an. Ich weiß es, Du liebst mich, Du mußt mich lieben.“ – Jetzt nur zu, Helene jetzt muß sie mit der Sprache heraus!

Das soll sie auch, erwiderte Helene, ihren Schreibärmel in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_488.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)