Seite:Die Gartenlaube (1895) 518.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Verzeih, lieber Vater! sagte Rudolf langsam. Ich sehnte mich so sehr … Aber natürlich wollt’ ich Dich nicht stören; bin ganz leise hereingeschlichen – die Thür war nur angelehnt – und hab’ gehorcht, ob Du noch schläfst. Mir schien’s so, als wachtest Du schon. Ich wußt’ es aber nicht gewiß.

Ja, ich wachte schon, erwiderte Volkmar. Was hat’s gegeben, mein Junge? Du kamst nicht zu Tisch –

Das wollt’ ich Dir zunächst erklären, Vater; mich entschul­­digen. Mir ging so was – ganz Besonderes im Kopf herum; ich hätt’ nicht so ruhig dasitzen können neben Tante Sophie und Dir. Ich mußt’ es auch erst zu Ende denken … Da bin ich zu den Tannen und zum Jäger hinausgelaufen –

In dem Schneetreiben?

Es war nicht mehr so schlimm. Und wenn’s auch noch so gewesen wäre – mir war’s grade recht. In mir trieb und jagte es auch; aber so wunderbar –!

Er lächelte und hob die Augen.

Junge! sagte Volkmar, sich aufrichtend. Wie siehst Du aus. Furchtbar blaß –

Das thut nichts, lieber Vater. Mir ist sehr – sehr gut. Beim Jäger haben sie mir ein paar Eier gekocht; ’s war auch Schinken da. Dann stürmte ich wieder in die Stadt, zur Schule; noch zur rechten Zeit. Und nun –

Er zauderte, er stockte. Er hatte etwas in den Augen, das dem Vater auf die Nerven ging.

Was willst Du mir sagen? fragte Volkmar.

Bitte, sag Du mir erst … Wär’ Dir’s recht, Vater, wenn ich mir einen andern Beruf wählte, weil’s mich dazu treibt? – Das heißt, was hab’ ich denn? Ich hab’ ja noch keinen Beruf. Ich will nur so zur Universität gehen und herumversuchen. Ich gelte für besonders begabt, so im allgemeinen; vielleicht bin ich’s gar nicht. Und jeder soll thun, nicht wahr, wozu es ihn im Innersten treibt –

Wozu treibt es Dich?

Glücklich zu machen, Vater. Etwas wahrhaft Gutes zu thun –

Wem?

Bitte, hör’ mich ruhig an. Ich fühle – ich fühle so tief, daß es das Rechte ist. Einem genialen Menschenkind, das aber wie gefangen ist – das hoch, hoch empor will, aber sich allein nicht helfen kann – dem mit allen Kräften helfen, Vater!

Thea Schüler! dachte Volkmar plötzlich; es ging wie ein Schlag durch ihn hin. – Er verlor aber die Fassung nicht. Was wär’ das für ein Menschenkind? fragte er mit äußerer Ruhe.

Nicht erschrecken, Vater. Thea. – Ja, ich weiß, was Du denkst: verliebt! – Glaub’ mir, von dem kommt’s nicht. Bei meinem Gott, dem ich meine Seele – – bei meiner Liebe zu Dir – ich will nur meine Pflicht thun, Vater; denn ich hab’ die Ueberzeugung: das ist meine Pflicht! Ich will ihr mein sogenanntes Lebensglück zum Opfer bringen, um sie zu erretten. O hätt’st Du sie auch gesehen und gehört, als ich heut bei ihr war … Es ist so viel Unglück in ihr – aber auch ein so hohes Streben. Sie sitzt wie im Käfig. Wenn jemand kommt und ihr aufmacht, so kann sie emporfliegen – etwas Großes werden, etwas Herrliches – für die Menschen, Vater – und auch für den Einen. Und er hat dann seine Pflicht gethan … Steh mir bei, lieber Vater! Du bist so still; Du sagst mir nichts; Du schaust mich nur an. Laß mich Thea helfen!

Volkmar starrte auf seinen Sohn, dem nun endlich die bleichen Wangen etwas röter wurden, und dann in die Luft. Ja, dachte er, indem es ihn überlief – so geht’s den Vätern! Es kommt über jeden; so oder so. Ueber diesen schwärmerischen Sohn kommt ein solcher Unsinn … Nur nicht die Ruhe verlieren. Nicht wild werden; nicht mit Gewalt … Mein Gott, wie ein Rausch, wie ein Wahnsinn sieht’s ihm aus den Augen. Um wen? Um solch ein Geschöpf!

Vater! wiederholte Rudolf jetzt. Steh mir bei! Ich kam mit solcher Hoffnung zu Dir. Laß mich Thea helfen!

Wie wolltest Du ihr denn helfen? fragte Volkmar und stand auf.

Wie? – Sie von diesem Theater wegnehmen –

Du?

Bitte, hör’ mich noch ’ne Weile an! – Denk’, sie würde auch Dein Kind – Deine künftige Tochter, mein’ ich – Deine Schwiegertochter. Wir heiraten natürlich erst nach Jahren, Vater … Du reistest vielleicht mit uns – sie und mich zu bilden – einen besseren Bildner und Lehrer als Dich gäb’s ja nicht für uns. Dann ginge sie zu einem großen Meister ihrer Kunst – und nicht eher wieder zur Bühne, als bis sie von allen Besten das Beste gelernt hätte –

Und Du?

Ich würf’ mich auf irgend was, das mich in ein paar Jahren so weit brächte, mich zu ernähren, und wenn’s noch not thät’, auch sie!

Und wovon lebtet ihr bis dahin?

Ich rechnete auf Deine Güte, Vater. Nein, auf Deine Liebe. Soll ich das nicht mehr? – Es ist ja auch eine Summe da, die ihr mir nach und nach geschenkt habt – zuerst noch meine Mutter – dann Du. Wohl an viertausend Mark. Wenn Du mir die während dieser ersten Jahre – neben meinem „Wechsel“ –

Viertausend Mark! Guter Junge! Was sind viertausend Mark für so Eine wie Die!

Vater! rief Rudolf aus.

Volkmar faßte sich wieder; die Erregung hatte ihn fortgerissen. Er ging geflissentlich langsam durchs Zimmer, um die beiden Tische herum, die in der Mitte standen. Als er wieder zu Rudolf kam, legte er ihm eine Hand auf die Schulter; Rudolf zuckte leise. Wir wollen das in Ruhe besprechen, sagte er; und wie Freund und Freund. Nur daß ich der ältere bin, mehr Erfahrung habe – und keinen Spektakel hier in der Brust. Thea Schüler! – Nehmen wir einmal an, sie hätte viel Talent. Nehmen wir auch an, sie hätte auch Ehrgeiz und Charakterkraft genug, um an sich zu arbeiten, bis sie fertig ist. Aber Du weißt doch wohl – – zum mindesten gilt sie für eine „leichte Person“. Für die „Freundin“ des Herrn von Fellenberg – und wer weiß, wessen sonst noch. Kurz, mir deucht, mein geliebter Junge, zur Schwiegertochter taugt sie nicht!

Rudolf war heftig errötet; als thäte er’s für Thea, als dächte er, sie stände dort neben ihm. Vater! sagte er nun, mit etwas bebender Stimme. Sie „gilt“ dafür … Wie oft hast Du selbst gesagt: Niemand wird so tüchtig verleumdet wie Die vom Theater! Die leben eben herzhaft drauf los, kümmern sich nicht viel um den Schein und um das Kopfschütteln der Philister! – – Aber freilich – hier übergoß ihn eine neue Röte – wie die wohlerzogenen Mädchen, ganz so ist sie nicht. Sie hat mir ja selber gesagt – rührend offen, Vater – daß in ihrem Leben „eine große Dummheit ist“ … Gott weiß, daß ich wollte, sie wär’ nicht darin! Als ich draußen in den Tannen ging, mir war plötzlich so, als müßt’ ich mich in den Schnee werfen und nicht wieder aufstehn … Aber das war schwächlich. Künstlerinnen wie Thea, darf man denn die mit der Bürger-Elle messen? Haben sie nicht auch wie die Studenten eine Art von Vorrecht? Sind sie nicht wie Studenten? Und wenn sie das Eine durch ein großes Leben wieder gutmachen will, soll man ihr nicht helfen und sie nicht erretten?

Ist Herr von Fellenberg ihre „große Dummheit“? fragte Volkmar.

O nein. Die war früher. Alles andre, was man sagt, von dem glaub’ ich nichts. Denn sie selber sagt: „es war die einzige“ … Und die ist zu stolz, um zu lügen, Vater!

Mag sein, Rudolf; aber vielleicht sind ihr all die andern kleinen Romane keine „Dummheiten“. – Doch nehmen wir einmal an, Du hättest recht, und die Leute verleumdeten sie. Was ist Thea dann? Eine hübsche, lustige, auch anmutige kleine Schauspielerin, mit etwas Leichtsinn, etwas mehr Talent und noch mehr – Gemütlichkeit; die daher das, was man erarbeiten muß, nie erreichen kann; und die ein sehr viel besserer Mensch durch ein riesiges Vergrößerungsglas betrachtet – und der das thut, ist mein Sohn! – Rudolf! Herzenssohn! An so ein Mädel Dein Leben hängen! – Ich will jetzt von Deinen neunzehn Jahren nicht reden – noch nicht einmal neunzehn sind’s – und daß Du nichts bist, nichts kannst –

Weiß ich denn das nicht, Vater? rief Rudolf mit schmerzhafter, erregter, hoher Stimme aus. Nur um ihr helfen zu können, will ich ja –

Willst Du Dein junges Leben an das ihre ketten!

Weil sie es wert ist, Vater! Weil sie – – Du bist doch sonst nicht wie die Andern, Vater. Aber jetzt – Du kennst sie nicht – Du hast sie ein einzig Mal spielen sehn – aber ruhig

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_518.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)