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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

eben bei Morsbronn in der Rechtsschwenkung begriffen, sieht die Reiterscharen auf sich losbrausen; rasch ballen sich die Compagnien, die Halbbataillone zusammen, schleudern auf nächste Entfernung den in wilder Jagd daherstürmenden Kürassieren ihr vernichtendes Schnellfeuer entgegen – und alsbald stürzen Rosse und Reiter übereinander, in wilder Hast jagen die zerschmetterten Geschwader von dannen, doch nur, um den schneidigen Husaren Nr. 13 in die Hände zu fallen, die mit Macht auf die Flüchtlinge einhauen.

Nun dringen in lebhaftem Gefecht die Regimenter des 11. Corps durch den Niederwald vor, ihnen zur Rechten schließen sich die Streiter des 5. an, das brennende Elsaßhausen wird erstürmt, das Gehölz südlich Fröschweiler genommen. Auch die Bayern gehen von neuem mit Nachdruck zum Angriff vor, mehr und mehr werden die Verteidiger bedrängt. Noch einmal sucht Mac Mahon durch kräftigen Vorstoß sich Luft zu schaffen; aber die einen Augenblick zurückgedrängten Angreifer werden sofort wieder vorgeführt und stürmen unaufhaltsam vorwärts. Die Kavalleriedivision Bonnemains wirft sich mit dem Mute der Verzweiflung auf die deutsche Infanterie, wird aber von demselben Geschick ereilt wie vorher die Brigade Michel. Jetzt, am späten Nachmittage, rücken von Süden her auch die Württemberger an und stürzen sich mit schwäbischer Tapferkeit in den Kampf; General von Bose, obwohl erheblich verwundet, sammelt die verfügbaren Abteilungen seines 11. Corps und führt sie zum Sturm auf das brennende Fröschweiler – – jetzt ist kein Halten mehr: in der Mitte durchbrochen, beide Flügel umfaßt und geworfen, ergreifen die Franzosen die Flucht und wälzen sich im wüsten Durcheinander der Flucht auf Reichshofen und Niederbronn. Keine Möglichkeit, den zurückflutenden Massen eine bestimmte Richtung anzuweisen, fast alles strömt auf Zabern zu. Eigentümlich berührte es uns Deutsche, daß die französischen Flüchtlinge beim Passieren eines Dorfes unaufhörlich nach „Zuckerwasser“ riefen. Bayern und Thüringer würden ihren Durst auf andere Weise zu löschen wünschen.

Hätte die deutsche Kavallerie rechtzeitig zur Stelle sein können, so wäre Mac Mahons Armee völliger Vernichtung anheimgefallen. Aber auch so verlor sie 12 000 Tote und Verwundete und ließ 200 Offiziere, 9000 Mann als Gefangene in den Händen der Sieger, außerdem 33 Geschütze und 2000 Beutepferde. Die Deutschen hatten den entscheidenden Sieg mit einem Verlust von fast 500 Offizieren und 10 000 Mann erkauft.

Trotz Chassepots und Mitrailleusen, trotz des „élan“ der Zuaven und des Geheuls der Turkos hatten die Deutschen gesiegt. Unzweifelhaft hatten sich die Franzosen tapfer geschlagen; aber das einheitliche Zusammenwirken der von allen Seiten herbeieilenden deutschen Heeresabteilungen hatte die Entscheidung herbeigeführt. Der Tag von Wörth war der erste glänzende Triumph der deutschen Kampfeseinigkeit: Preußen, Thüringer, Hessen, Bayern und Schwaben hatten sich in brüderlichem Wettstreit die Hand gereicht. In opferwilliger Waffenbrüderschaft waren Führer und Truppen ohne Zaudern dem Schlachtfelde zugeeilt, folgend dem eigensten Antriebe, auf den Kanonendonner losmarschierend, gehorchend dem Kampfruf der Kameraden. Die Schlacht bei Wörth, improvisiert durch die Kampflust der Truppen, wurde zum Siege durch das verständnisvolle Eingreifen der Führer und durch die geniale obere Leitung, die zu rechter Stunde mit klarem Blick die Zügel erfaßte und den Kampf, den sie anfangs nicht beabsichtigt, zum glücklichsten Ausgang führte.

Der Sieg von Wörth, der daheim im deutschen Vaterlande jubelnde Begeisterung erregte, war nicht nur ein glänzender Erfolg der deutschen Waffen, gab nicht nur dem deutschen Heere und dem deutschen Volke frohe Siegeszuversicht, sondern er hatte vor allem auch die folgenschwere Bedeutung, daß nunmehr Süddeutschland gesichert war gegen den Einbruch des Feindes. Rheinpfalz, Baden und Schwaben brauchten jetzt nicht mehr zu fürchten, daß Turkos und Gums als „Kulturträger“ der großen Nation sich bei ihnen einstellten; im Gegenteil war jetzt die Mahnung des Dichters: „Alldeutschland in Frankreich hinein!“ volle Wahrheit geworden, zumal an demselben Tage auch bei Spichern ein ruhmvoller Sieg errungen ward, so daß beide Flügel der deutschen Heere festen Fuß gefaßt hatten in Feindesland.

Ueberwältigend, niederschmetternd wirkte die Kunde von Weißenburg, von Wörth, von Spichern in Paris. Noch am 6. August hatte eine falsche Siegesnachricht die Pariser in einen Freudentaumel versetzt, so daß wieder einmal die Marseillaise aus voller Brust gesungen wurde. Da kam wie ein kaltes Sturzbad die Schreckensbotschaft und Schmerz und Wut bemächtigten sich der Bevölkerung. Die fremden Barbaren unaufhaltsam hineinströmend über die Grenzen, überflutend den Boden des Vaterlandes, wohl gar auf Paris vordringend, auf Paris, die heilige Metropole der civilisierten Welt! Im Gesetzgebenden Körper brach ein furchtbarer Sturm los, das Ministerium stürzte und die Kaiserin als Regentin berief als Retter in der Not den Grafen Palikao, der sollte helfen. „Alle Mann zu den Waffen, Paris in Verteidigungszustand!“ lautete das Feldgeschrei – so schlug der deutsche Sieg von Wörth seine Wellen bis in das Herz Frankreichs hinein.

Wir aber gedenken dankerfüllten Herzens der deutschen Tapferkeit und Waffenbrüderschaft, die uns jenen Siegeskranz geflochten, gedenken schmerzbewegt der schweren Opfer, die der blutige, ruhmvolle Kampf uns auferlegt, gedenken in tiefer Wehmut und nie verlöschender Verehrung und Bewunderung des unvergeßlichen Siegers von Wörth, des uns allzufrüh entrissenen Kaisers Friedrich, dessen herrliche Gestalt dem deutschen Volke allezeit wie eine Verkörperung des lichten Siegfried der Heldensage erscheinen wird, gleichwie unser Heldenkaiser Wilhelm I. im Volksgemüt die Stelle Barbarossas eingenommen hat, doch überlegen dem staufischen Kaiser in seiner schlichten Pflichttreue und beispiellosen Selbstlosigkeit. P. v. S.     


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Ein tirolisches „Haberfeldtreiben“.

Von Arthur Achleitner.

So oft zur Habererzeit Mitteilungen über irgend ein besonders „solenn“ verlaufenes „Treiben“ in die Oeffentlichkeit gelangten, erregte es meine Verwunderung, daß man in der nächsten Nachbarschaft, z. B. jenseit des Inn auf tirolischem Boden, niemals etwas hörte von einem ähnlichen Femgericht. Wenn auch politisch getrennt und zwei verschiedenen Staatswesen angehörend, haben die Unterinnthaler in Sprache, Sitte und im gegenseitigen Verkehr so viel Berührungspunkte, so viel Gleiches im Leben, daß es seltsam wäre, wenn die tirolischen Unterinnthaler so gar nichts Gemeinsames mit den bayrischen Unterinnthalern auch in Bezug auf nächtliche Femgerichte haben sollten. Wohl wird, wie ich in Nr. 2 dieses Jahrgangs berichtet habe, im bayrischen Unterinnthale ab und zu „getrieben“ und die tirolischen Nachbarn nehmen an solchen Veranstaltungen großes Interesse, aber daß sie selber sich an solchen Nachtspektakelscenen beteiligen, hat man nicht gehört.

Und dennoch existiert eine tirolische Abart des oberbayrischen Haberfeldtreibens, richtiger gesagt, sie hat existiert. Der betreffende, kulturhistorisch hochinteressante Brauch ist in der Kufsteiner Gegend, der sog. Ebbser Schranne (Gemeindegebiet), zu einer Zeit üblich gewesen, als die Dörfer an den Jnnauen gegen die bayrische Grenze zu noch die Stätten regen Gewerbfleißes waren und es neben Hufschmieden hier zahlreiche Nagelschmieden, Kupfer- und Pfannenschmieden, ja sogar Waffenschmieden gab. Der Pferdebeschlag erfolgte stets in Ebbs, dessen Hufschmiede weitum im tiroler Land großen Ruf genossen, und mancher Fuhrmann wartete mit dem Neubeschlag, bis er das freundliche Dorf Ebbs erreichte, das durch den Zuzug fremder Gesellen bald zu einem lärmenden Gemeinwesen wurde, insbesondere dadurch, daß die Dorfburschen jedes Eindringen fremder Elemente in ihren Kreis abwehrten und dabei rasch von den Fäusten Gebrauch machten. Zu jener gewerbsfrohen Zeit, die längst vorüber ist und eine Kirchhofsruhe in diesen Jnndörfern zurückgelassen hat, bestand auch das Sittengericht auf tirolischem Boden in Uebung: die Puchlmusik, das tirolische Haberfeldtreiben.

Das Dialektwort Puchl stammt von puchen, und dieses heißt so viel wie pochen, stampfen, sich trotzig aufblähen, auflehnen. Der „Puch“ bedeutet Stolz, Trutz, daher Puchlmusik so viel wie Trutzspektakel: der Brauch besitzt die Tendenz einer Rüge für eine das allgemeine Sittlichkeitsgefühl verletzende Handlungsweise. Dieser Brauch der Puchlmusik ist besonders im Gebiete der Ebbser Schranne üblich gewesen, allmählich aber erstorben, wenigstens tritt er längst nicht mehr so stark in den Vordergrund wie zur Verzweiflung der Beamten das Haberfeldtreiben auf bayrischem Boden.

Die Puchlmusik ist die lärmendste Veranstaltung tirolischer Sittenrichter gewesen.

Ebenso wildlärmend wie das oberbayrische Haberfeldtreiben ist eine „Katzenmusik“, mit welcher man Wucher und Geiz, unmoralischen Lebenswandel rügt oder Solchem Feme ansagt, der eine allseits mißbilligte Ehe eingeht. Nach altem Brauch ist die Puchlmusik immer am Abend eines Bauernfeiertages oder an Sonntagen abgehalten worden, und Aenderungen gehörten zu den Ausnahmen. Die Veranstalter eines Puchlkonzertes lieben recht dunkle Nächte ohne Sternenschein, und je schärfer der Wind von den Felsen des „Zahmen Kaisers“ herabstreicht, desto lieber ist es den Puchlern. Wenn die Uhr vom Ebbser Kirchturm in langsamen feierlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_526.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)