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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Schlägen die elfte Stunde verkündet, wird es zwischen den weitverstreuten Gehöften lebendig. Schwarze Gestalten huschen umher, immer dichter wird das Gewimmel nach einer bestimmten Richtung hin; aufgeschreckte Hofhunde schlagen an und heulen auf, wenn Steinwürfe sie getroffen.

Ein dichter Menschenwall steht vor einem Hause, dem Konzertplatz in finsterer Nacht, stumm, bewegungslos. Ein leises Kommando ertönt – dann fällt ein Schuß, der den nächtlichen Spektakel einleitet, Fackeln flammen auf, aus zahlreichen Gewehren wird ein regelrechtes Pelotonfeuer eröffnet, grollend verhallt der Geschützdonner in den Bergwänden. Ein entsetzlicher ohrenzerreißender Lärm bricht nun los: Ratschen kreischen, Windmühlen klappern in rasenden Drehungen, Kuhglocken bimmeln, Hafendeckel scheppern, Trommeln dröhnen, Böller krachen – die Hölle scheint los zu sein. Entsetzt eilen die Dörfler aus ihren Häusern: es wird gepuchelt! Aber die Vorposten lassen niemand in die Nähe des Platzes. Plötzlich schweigt die „Musik“, der Höllenlärm ist verstummt. Eine Fistelstimme verliest nun Knittelverse, ganz ähnlich wie es beim Haberfeldtreiben vom Baß des Haberermeisters geschieht, und jeder Absatz findet rasenden Beifall und wird mit Flintenschüssen begleitet. Der Sünder, welchem dieses gräßliche Katzenkonzert gilt, wird meist aus dem Hause geholt; ist er in Vorahnung flüchtig gegangen, so werden seine „Sünden“ dennoch verlesen. Immer fragt der Anführer, ob das alles auch wirklich „wahr“ sei, und der nächtliche Chorus brüllt das „Ja!“, worauf die Katzenmusik immer wieder beginnt. Den Schluß bildet die Anheftung des „Programmes“, der Abschrift des gereimten Sündenregisters, an die Hausthüre des Verfemten.

Daraufhin verschwindet die vermummte Schar spurlos und mit einer Geschwindigkeit, daß man glauben könnte, die Lärmmacher habe die Erde verschlungen; die Puchlmusik hat ein Ende …

Mit unverhohlener Freude aber wurde im Dorfe das Ereignis eines Puchlkonzertes dann besprochen, wenn das Rügegericht nach allgemeiner Auffassung dem Rechtsgefühl des Volkes Ausdruck gegeben hatte, wenn die nächtliche Katzenmusik die richtige Antwort auf thatsächliche Verfehlungen, unmoralischen Lebenswandel und namentlich Geiz und Wucher gewesen war.

So war es vor nicht zu langer Zeit in der Ebbser Schranne in Uebung.


Nachdruck verboten
Alle Rechte vorbehalten.

Unser Drückeberger.

Aus meinem Kriegstagebuch vom Jahre 1870.
Von Fred Vincent.

     (Schluß.)

Mit dem 28. Juli nahmen die Reisemärschc und die guten Quartiere ihr Ende, denn das kleine Rülzheim (in der Nähe von Germersheim) hatte unserer ganzen Brigade Unterkommen zu gewähren, und zwar bis zum 2. August. Dieser Zeitraum, in welchem sich der Aufmarsch der Dritten Armee vollzog, deren Oberbefehl der Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen am 30. Juli übernahm, wurde von uns gewissenhaft ausgenutzt: morgens Exerzieren, nachmittags Felddienst! So waren wir am 2. August abends soeben erst von einer solchen Uebung eingerückt, da jagte, „daß Kies und Funken stoben“, eine Husarenordonanz mit dem in solchen Momenten üblichen †††-Brief vor das Brigadestabsquartier und unmittelbar darauf bereiteten die vier Signalnoten „Das Ganze!“ unserem militärischen Stillleben ein jähes Ende.

Mit einbrechender Dunkelheit trat das Regiment seinen Marsch an; Artillerie, Kavallerie und andere Jnfanterietruppen, die neben der Straße aufgestellt waren, deren Abzeichen wir aber nicht mehr zu erkennen vermochten, schlossen sich an und in unabsehbarer Kolonne ging es auf steinigen Feldwegen in die Nacht hinaus, der französischen Grenze zu. Einzelne Ortschaften wurden passiert, deren Häuser erleuchtet waren, und vor den Thüren standen die Bewohner und sahen mit wachsendem Staunen auf die unendliche Reihe von Soldaten, Pferden, Geschützen und Wagen, die schweigend in dem engen Lichtkreis vor ihnen erschienen und ebenso wieder verschwanden. Kaum ein Kommando oder Zuruf wurde laut, weiter ging es, immer weiter – niemand außer den höchsten Führern kannte das Ziel des Marsches.

Mitternacht war vorüber, da zeichnete sich am helleren Horizont ein Walddunkel ab und zu beiden Seiten bogen die Truppen von der Straße ab, marschierten auf, und während einzelne Compagnien noch auf verschiedenen Wegen bis in den Wald vorrückten, wurden die Gewehre zusammengesetzt und das Gepäck neben denselben abgelegt. Wir waren in unserem ersten Kriegsbiwak in der Gegend von Rohrbach und nahe der Grenze angelangt. Eine Weile hörten wir noch hinter uns auf den Feldern das schwere Rollen der Geschütze, das vereinzelte Wiehern der Pferde, dann aber wurde es ruhig über dem dunkeln Lager – Feuer durften nicht angezündet werden – dem letzten Lager auf deutschem Grund und Boden.

Leuchtend klar stieg die Sonne am nächsten Morgen am blauen Augusthimmel empor und spiegelte sich in den Tausenden von blanken Helmen, in den blitzenden Waffen der gewaltigen deutschen Armee, die hinter dem dunkeln Grenzwalde aufmarschiert war, um den frevelhaften Angriff auf deutsche Ehre, auf deutsches Gebiet blutig zurückzuweisen. Und jeder einzelne in dieser Armee kannte nur einen Wunsch, nur einen Gedanken: Vorwärts! an den Feind! Um selbst zu erproben, ob der gefürchtete Elan der kriegsgewohnten Troupiers des Kaisers Napoleon deutscher Tapferkeit in Wirklichkeit so weit überlegen sei!

Allein der Befehl zum Vorgehen ließ auf sich warten. Immer höher stieg die Sonne und sandte ihre Strahlen auf die schattenlosen Felder herab, auf welchen wir noch immer im Biwak lagen und stundenlang der Wasserträger harrten, die von allen Seiten in langen Reihen zu den wenigen Brunnen der umliegenden Ortschaften gezogen kamen und nur nach langem Warten das erquickende Naß erlangen konnten. Mittag war vorüber und wir hatten abgekocht, Appell gehalten etc. und nur langsam schlichen die Stunden vorüber. Wohl ritten Kavallerie-Abteilungen auf den Wegen in den Wald vor uns hinein und kamen in kurzem Trab zurück, aber nichts verlautbarte, immer noch nichts! Der Feind ließ sich nirgends blicken und der Befehl für uns blieb aus. Am Nachmittag endlich hieß es, wir würden voraussichtlich bis zum nächsten Morgen in unseren Stellungen bleiben, und nun gingen wir daran, uns aus Aesten und Zweigen Schutzhütten zu bauen, denn nach dem heißen Tage begannen sich Gewitterwolken zu zeigen. Der Himmel umzog sich immer dichter, allein noch fiel kein Tropfen und da es auch nicht viel kühler wurde, so saßen wir noch lange in der schwachen Beleuchtung einzelner kleiner Kochfeuer, bevor wir unter unsere Laubdächer krochen.

Es war noch so dunkel, daß man nicht die Hand vor den Augen erkennen konnte, als es in unserem Lager anfing lebendig zu werden, denn wir hatten eine im Biwak wenig beliebte Zugabe erhalten – Regen. Daß aber gegen einen richtigen Landregen ein leichtes Laubdach auf die Dauer keinen ausreichenden Schutz gewährt, ist eine Erfahrung, die wir in den frühesten Morgenstunden des 4. August sehr rasch zu unserem Leidwesen machen mußten. Auch die Hütte, welche die sämtlichen Offiziersdienstthuenden unserer Compagnie mit Einschluß des Feldwebels beherbergte, machte von der allgemeinen Regel durchaus keine Ausnahme, vielmehr schienen die dicken auf den Blättern sich ansammelnden Tropfen mit unheimlicher Sicherheit stets den empfindlichsten unbedeckten Körperteil der Schläfer, das Gesicht, sich auszusuchen, um mit derbem Klatsch darauf hinabzustürzen. So traf auch den Feldwebel Schmidt ein solcher sogenannter Tropfen – „der reine Wasserfall“ klagte der Getroffene nachher – an einer Stelle, die ganz besonders empfindlich gegen Wasser war; er fiel dem Schnarchenden nämlich zwischen den leicht geöffneten Lippen hindurch direkt in den Hals. Die Wirkung war geradezu zauberhaft, denn laut pustend und schnaubend sprang der korpulente Herr mit ungeahnter Gewandtheit auf die Füße, und da er dabei an eine der Hauptstützen der Hütte anrannte, so entlud sich eine derartige Traufe auf uns andere, daß wir schleunigst seinem Beispiel folgten.

Es war gerade ein Uhr, als wir unser triefendes Obdach im Stich ließen, und die Situation in der stockfinsteren Nacht und im strömenden Regen zeichnete sich trotz der schwülen Temperatur nicht durch Gemütlichkeit aus, allein sie wäre ohne die Findigkeit von Tilmanns sicher noch ungemütlicher gewesen. Der Gefreite hatte sich am Abend eine Hofthüre „ausgebeten“ – die erste kriegsgemäße Umschreibung für das Requirieren aus eignem Antrieb in diesem an solch humoristischen Schlagworten so reichen Feldzug – um dieselbe als Dach gegen den erwarteten Regen zu benutzen. Als derselbe dann wirklich eingetreten, war ein in der Dunkelheit ruhelos Umherirrender auf das Dach und mit diesem auf den Gefreiten gefallen, der nun eingesehen, daß ihm ein weiteres gedecktes Dasein nicht gegönnt werden würde. Dennoch wurde die Thüre ihrer anfänglichen Bestimmung nicht ganz entfremdet, denn jetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_527.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2022)