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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Hafen gesandt, um zu erfahren, ob ein Schiff für Cadiz vor Anker läge. Nein. Der nächste Dampfer sei erst in sechs Tagen fällig. So entschloß ich mich zu dem Umweg über Gibraltar, wohin der „Neptun“ bereits in ein paar Stunden abging.

Ich kehrte ins Hotel heim, bezahlte meine Rechnung, packte schnell meine Siebensachen und begab mich noch vor Morgengrauen nach dem Hafen.

Das Einschiffen war so unbequem wie einige Wochen vorher das Landen. Wenn man während eines Sturmes, wie er sich an jenem Morgen erhoben, auf einer wahren Nußschale nach einem Dampfer überfährt, verwünscht man die Romantik südlicher Häfen, die für das Einlaufen größerer Schiffe noch nicht eingerichtet sind. Vorn ein Laternchen, denn es war noch finstere Nacht, hüpfte unser kleines Boot wie ein Irrwisch über die Wellen. Als ich endlich am „Neptun“ anlangte, mußte ich mir den Platz an Bord noch durch eine akrobatische Leistung an der schwanken Strickleiter erkaufen, deren ich heute noch mit Schrecken gedenke. Oben angelangt, sank ich auf eine Bank, von welcher aus ich dann bei Tagesanbruch die afrikanische Küste verschwinden sah.

Die Seefahrt schien mir lang und schwül. Erst gegen zwei Uhr liefen wir im Hafen von Gibraltar ein, dessen weiße Kreidefelsen die grelle Mittagssonne in einer für die Augen unerträglichen Weise zurückwarfen.

Trotz der Empfehlung des belgischen Konsuls gab’s Weitläufigkeiten, ehe ich von der Militärbehörde eine Aufenthaltskarte für die achtundvierzig Stunden erhielt, die ich hier auf den Dampfer für Cadiz warten mußte. In ungemütlichster Stimmung – unschlüssig wohin? – keine bekannte Seele nahe, die ich anrufen konnte, schleppte ich mich in afrikanischer Brathitze über blendenden Sand nach der Stadt. Gepeinigt wurde ich noch dazu von einem schrecklichen Gedanken, der mir erst kurz vorher auf dem Schiff gekommen war, nämlich: Was wird aus mir, wenn mein Geldvorrat zu Ende geht, ehe ich Deutschland erreiche? Leider wußte ich aus Erfahrung, daß eine ebenso thörichte, wie unüberwindliche Scheu es mir unmöglich machte, mich in Fällen der Not, wie sie in der Fremde und bei einer gewissen Unerfahrenheit vorkommen, selbst an solche zu wenden, bei denen ich Kredit hatte. Was finge ich erst unter Fremden an, wenn der Krieg mich von der Verbindung mit den Meinen abschnitte? Vorderhand war ich glücklicherweise noch auf einige Zeit gedeckt. Meine Devise sollte von nun ab höchste Sparsamkeit werden, Sparsamkeit bis zur Knauserei. Eine englische Banknote, die ich bei mir trug, schien mir vorteilhaft hier, auf englischem Boden, zu wechseln, zu welchem Zweck ich in ein ansehnliches Bankhaus trat. Da ereignete sich etwas so Außergewöhnliches, Wunderbares, daß ich zuerst an eine übernatürliche Einwirkung in mein Schicksal glaubte.

Im Begriff nämlich, das gewechselte Geld an mein Portemonnaie zu thun, trat ein Herr – offenbar der Chef des Hauses – der mich schon eine Weile fixiert hatte, an mich heran und fragte: „Nicht wahr, ich habe Miß Biller vor mir?“

Als ich aufs höchste überrascht bejahte, streckte er mir beide Hände entgegen, schüttelte die meinen und rief: „Nun, da seien Sie mir herzlich willkommen. Sie erlauben, daß ich Sie sogleich meiner Frau vorstelle, denn solange Sie in Gibraltar bleiben, sind Sie selbstverständlich unser Gast!“

Ich liebe die englische Sprache nicht sonderlich, in dem Augenblick aber klang sie mir wie die herrlichste Musik. Nur war mir die Anrede so verblüffend, so märchenhaft, daß ich es nicht gleich wagte, trotz des zutreffenden Namens, sie auf mich zu beziehen. Indes, alles ging mit natürlichen Dingen zu.

Englische Mitglieder meiner Familie hatten nämlich meinen Soloabstecher nach Afrika mit einer gewissen Besorgnis verfolgt, besonders als ich beiläufig einmal schrieb, ich hätte nicht übel Lust, mich einer Karawane nach Fez anzuschließen. Es war da der Gegenvorschlag gemacht worden, doch lieber das nahgelegene Gibraltar zu besuchen, zu dem man in Beziehungen stehe. Mein Schwager hatte zugleich einem ihm dort befreundeten Bankier meine Personalbeschreibung geschickt mit der Bitte, falls ich mich ihm vorstelle, mich wie ein Glied der Familie aufzunehmen. Da ich auf Gibraltar nicht einging, war dieses Briefes gegen mich nicht erwähnt worden. So fügte es nun ein glücklicher Zufall allein, daß ich das gastliche Haus und teilnehmende Menschen fand, im Augenblick, wo ich mich so lebhaft danach sehnte. Mit echt englischer Gastfreundschaft wurde ich aufgenommen. Mr. G. und seine Gemahlin machten mich mit dem interessanten Gibraltar bekannt, wobei mir besonders der Rassenunterschied zwischen Süd- und Nordländern auffiel. Die hochgewachsenen, blonden Engländer, in hellen Uniformen und weißen Mützen, die in gemessener Haltung marschierten und klanglos redeten, auf einer Seite, und auf der andern die kleinen, sonngebrannten Spanier in dunklen Kapas, mit ihrem Sprühfeuer, der drastischen Geste und vollklingenden Sprache.

Den Abend brachten wir in einem englischen Klub im Freien zu, wo fast ausschließlich der Krieg den Unterhaltungsstoff lieferte. Die letzte Sensationsnachricht war eben eingetroffen: Rußland rüste gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, um den Franzosen nötigenfalls gegen uns beizustehen – eine Ente, die von Frankreich geflattert kam. Es wurden auch Wetten gemacht – für, wie gegen uns; ein berühmtes Rennpferd mit Namen Puck war in Bismarck umgetauft worden.

Mein Gastfreund begleitete mich am dritten Tage aufs Schiff, um mich dem Kapitän zu empfehlen, dessen Dampfer – ein französischer – zwischen Genua und Havre verkehrte und auf den Zwischenstationen Passagiere aus– und einschiffte.

„Sie sind Engländerin?“ fragte er, nachdem Mr. G. sich entfernt hatte.

„Nein, Deutsche.“

„Vielleicht aus Oesterreich?“ forschte er weiter mit teilnehmender Neugier, wie um sich meiner Nationalität aufs genaueste zu versichern. – „Nein, ich bin Preußin.“ – „Prusienne – une prussienne!“ rief er nun so laut, als wollte er alle Mitreisenden von der Anwesenheit einer Feindin auf seinem Schiff unterrichten. Natürlich wandte sich jeder auf dem Deck nach mir um.

„Aus Preußen also!“ fuhr er unbarmherzig fort. „Nun, da sind Sie allerdings sehr zu beklagen! Ihr Land ist so gut wie verloren!“

Ich bat ihn, sein Mitleid einstweilen zu sparen, bis Grund dazu vorhanden sei. Er aber lächelte überlegen und holte seinen „Figaro“ herbei; und da stand es auch bereits gedruckt, daß die Sympathien Europas mit Frankreich gingen, ja, daß selbst Bayern und Württemberg schon gerüstet wären, um mit den Franzosen ihre nordischen Unterdrücker zu bekämpfen.

Auf einem französischen Schiff ließ sich gegen eine Autorität wie die des „Figaro“ wenig vorbringen, trotzdem hätte ich mir vielleicht den Mund verbrannt, wenn mich nicht zugleich mit dem „Figaro“ die Seekrankheit angegriffen hätte. Da zog ich mich resigniert in meine Kajüte zurück und war froh, als wir am anderen Morgen in Cadiz landeten. Im Hafen hatte man geflaggt – Militärmusik klang von der Alameda. Ich brachte das sogleich in Verbindung mit einem französischen Siege; vielleicht gingen auch die Spanier mit dem verwandten Stamm – das hätte mir ans Herz gegriffen.

Aber so schlimm war’s nicht – im Gegenteil! Musik und Fahnen aber feierten San Jago, den Schutzpatron von Andalusien. Mein erster Besuch galt einem teilnehmenden Freunde, Herrn Konsul Kropf, dem ersten Deutschen, dem ich seit der Kriegserklärung begegnete. Der faßte die Lage freilich etwas anders auf wie der „Figaro“, und wenn er auch nicht im voraus von unsern Siegen renommierte, sah er doch mutig der Zukunft entgegen. Er hielt es übrigens für geboten, daß ich von nun an mit einem richtigen Paß reise, und verschaffte mir ihn.

Die nun folgende Reise war übrigens die unbequemste und anstrengendste, die ich je gemacht habe. Aus den bereits erwähnten Sparsamkeitsrücksichten nahm ich die dritte Wagenklasse, die in Spanien – damals wenigstens – der unseren sehr weit nachstand. Sich darin während der Mittagshitze im Juli durch Andalusien schleifen zu lassen, erinnerte an die Bleidächer Venedigs.

Bald rechts, bald links, je nach der Wendung des Zugs, sengten uns die Sonnenstrahlen durch gardinenlose Fenster. Alles Metall der Wagen strömte Glut aus. Staub, wie ihn nur eine monatelange Trockenheit erzeugt, drang zu jeder Oeffnung ein; die Augen schwollen und entzündeten sich. An jeder Haltestelle gab’s einen wahren Kampf um die ausgebotenen Wassermelonen. Und trotzdem wetteiferte das Kriegsfeuer mit der Sonnenhitze. Alle Gespräche hatten den bevorstehenden Krieg zum Mittelpunkt, und zwar waren – soweit meine Erfahrung reicht – die Sympathien ganz auf unserer Seite. Ja, es schien, als ob der alte Groll, den der erste Napoleon während seiner Besetzung Spaniens hinterlassen,

frisch erwacht sei – als ob man frohlocke, daß endlich den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_540.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2019)