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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Ein Donnerstag an der Expedition der „Gartenlaube“. Wer kennt unsere „Gartenlaube“ nicht? In Europa kennt man sie und in anderen Weltteilen: aber in Leipzig heißt die „Gartenlaube“ nicht bloß die Zeitschrift, sondern auch das von Ernst Keil gebaute stattliche Haus, in dem sie zur Ausgabe gelangt. Im Jahre 1862 fand hier der Richtschmaus statt und im folgenden Jahre entfaltete sich darin bereits die volle Thätigkeit der Journalistik und des Buchhandels.

In der Expedition der „Gartenlaube.“

Welch ein Unterschied gegen das Stübchen, aus dem 1853 die ersten Nummern der „Gartenlaube“ hinausflatterten und sich an das Licht wagten, und zu dessen Geschäftsbetrieb nunmehr gerade vor 50 Jahren von Ernst Keil der Grund gelegt wurde! Im ersten Stocke des Gartenlaubehauses hat sich dann Ernst Keil sein Heim eingerichtet; der zweite Stock hat im Laufe der Zeit manchen namhaften Mieter gesehen: hier wohnte Heinrich Laube zur Zeit seiner stürmischen Direktionsführung, hier schrieb der zu früh verstorbene hervorragende Geschichtschreiber v. Norden; doch im Erdgeschoß entfaltete sich das regste geschäftliche Leben, Jahr für Jahr mit dem gleichen unausgesetzten Pulsschlage. Hier stand Keil selbst von morgens bis abends an seinem Schreibtisch und die Mahnungen „Zeit ist Geld“ und „Fünf Minuten Aufenthalt!“, die an der Wand angebracht waren, schreckten allzugeschwätzige Besucher ab. Im langen Saal vor seinem Redaktionskabinett befanden sich die zahlreichen Mitarbeiter: Buchführer und Kassierer und Expedienten, damals wie jetzt, und damals wie jetzt herrschte am Donnerstag an der Expedition der „Gartenlaube“ das rege Leben, das wir auf unserem Bildchen sehen: rechts am Fenster der Expedition werden die einzelnen Nummern ausgegeben; in der Mitte sorgt der würdige Oberste der Markthelfer dafür, daß die größeren Stöße von Exemplaren richtig abgeliefert werden. Der graubärtige Kolporteur, der sich eben seiner Beute bemächtigt hat, steckt sie in seine Wandertasche; am Fenster steht eine Dame, eine Frau aus dem Volke und ein Herr, alle drei bereit, die neue Nummer ihres Lieblingsblattes in die Hand zu nehmen; doch bis zu Hause wartet man nicht auf den bevorstehenden Genuß; das junge Mädchen liest bereits im Fortgehen die Erzählung der Heimburg weiter, auf deren Entwicklung sie so gespannt ist, und zwei junge Leute haben bereits auf den zur Versendung fertigen Ballen der Zeitschrift die neueste Nummer aufgeschlagen und sich in die Betrachtung ihrer Illustrationen vertieft. Ein anderes Bild aber zeigt uns das Leben und Treiben vor der Durchfahrt an jenem Donnerstag, welcher der allwöchentliche Geburtstag der „Gartenlaube“ ist. Da sind die Markthelfer der Kommissionäre in voller Thätigkeit. Die Pakete werden drinnen aus dem Packraum ausgegeben und von jenen draußen in die Karren geladen. Von hier nimmt die „Gartenlaube“ ihren Lauf in die weite, weite Welt, und wenn wir ihr bei dieser Gelegenheit ein Glückauf zurufen und den Wunsch aussprechen, daß sie noch recht lange und recht viele Leser mit ihren Erzählungen, Aufsätzen und Bildern erfreuen möge, so wird man uns gewiß dies zugute halten. Unsere Bilder geben eine schwache Andeutung davon, wie viele Arbeitskräfte unser Blatt in Bewegung setzt, beim Beginn seines Rundlaufs um die Welt – und wie viele vorher und nachher – das weiß jeder, der die Thätigkeit der Schriftsteller, der Drucker und all des Hilfspersonals der Buchhändler und des ganzen Zeitungsbetriebes kennt.


Fatale Unterbrechung. (Zu dem Bilde S. 541.) O weh – ein Klecks! Auch für einen heutigen federgewandten Schreiber, der in einer Stunde sein Dutzend Briefe erledigt, ist ein vorwitziger Tintenfleck eine fatale Unterbrechung. Ganz anders aber wurde solch Mißgeschick in jener Zeit empfunden, da das Schreiben in Deutschland noch eine seltene Kunst, das Geheimnis jener fleißigen Benediktinermönche war, die ihre Klöster zu den ersten Pflegstätten der Wissenschaft auf deutschem Boden erhoben. Aus so manchem populären Bilderwerk wie aus den anschaulichen Schilderungen in Scheffels „Ekkehard“ dürfte auch dem ungelehrten Leser bekannt sein, mit welchem Aufwand von Mühe, Geduld und Geschicklichkeit vor tausend Jahren jene Pergamentblätter hergestellt wurden, welche für uns heute die Anfänge der deutschen Litteratur darstellen. Wer in den Bibliotheken, welche die kostbaren Denkmale aufbewahren, den Blick über diese meist mit farbigen Initialen und Zierleisten geschmückten Seiten wandern läßt, muß nicht ohne Bewunderung anerkennen, daß jene gelehrten Mönche das Schreiben wirklich als eine edle Kunst und mit der Andacht und Hingebuug echter Künstler betrieben haben. Und dabei bot ihnen das Material, die Rohrfeder und das Pergament, noch Schwierigkeiten, die der Gebrauch von Papier und Stahlfeder heute fast völlig ausschließt. Namentlich die Herstellung guten brauchbaren Pergaments fiel den Mönchen anfangs schwer, und es dauerte lange, bis es den Brüdern des heiligen Gallus gelang, die Häute wilder Tiere mit solcher Kunst zu behandeln, daß beim Beschreiben der „Buchfelle“ die Tinte nicht auslief und unschöne Flecken verursachte, wie man sie auf so mancher alten Handschrift noch findet. An diese Kalamität erinnert unser Bild. Der schalkhafte Maler desselben läßt uns zwar im Zweifel, ob das schlechte fließende „Buchfell“ oder der würdige Pater die Schuld trägt an den unwillkommenen schwarzen Ornamenten, die sich so keck und aufdringlich an die schönen Randverzierungen des Blattes herangedrängt haben, aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß der bestürzte Schreibkünstler dem Anfertiger des Pergaments, dem Pergamentarius des Klosters, die Schuld zumessen und sich selber so rein und fleckenlos fühlen wird, wie es die neue weiße Kutte ist, die seinen wohlgenährten Leib umhüllt.


Buchhändlerkarren vor dem Thor der „Gartenlaube“
Zeichnungen von Otto Gerlach.


Inhalt: Vater und Sohn. Wahrheit und Dichtung. Von Adolf Wilbrandt (5. Fortsetzung). S. 533. – Die Elmauer Haltspitze im Kaisergebirge. Bild. S. 533. – Auf ins Seebad! Bild. S. 536 und 537. – Als Deutsche in Paris. Erinnerungen aus dem Kriege. Von Klara Biller. S. 539. – Fatale Unterbrechung. Bild. S. 541. – Freiheit. Novelle von A. von Klinckowstroem. S. 543. – Auf der Pußta. Bild. S. 545. – Blätter und Blüten: Die Elmauer Haltspitze im Kaisergebirge. S. 547. (Zu dem Bilde S. 533.) – Auf ins Seebad! S. 547. (Zu dem Bilde S. 536 und 537.) – Auf der Pußta. S. 547. (Zu dem Bilde S. 545.) – Ein Donnerstag an der Expedition der „Gartenlaube“. Mit Abbildungen. S. 548. – Fatale Unterbrechung. S. 548. (Zu dem Bilde S. 541.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Vertag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_548.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)