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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

wenig: so freute er sich an seinem Sohn. Nein, sagte er, ich kann’s nicht! – Wie gut hat sich aber Dein Wille bewährt: zuerst wollte die Zunge gar nicht, nun thut sie doch schon so ziemlich ihre Schuldigkeit. Und der Kopf, der „benebelte“, auch. Das ist die Herzenskraft: die hat nicht geruht, bis – – Mein geliebter Junge! Wie dank’ ich Deinem guten Herzen. An mir zweifle nicht. Müßt’ ich nur ganz so gewiß, daß auch Du geheilt bist!

So wahr ich hier sitze, Vater. Seit einer Woche war schon viel geschwunden – in all’ meiner Sorge um Dich – nun ist es hier totenstill! – – O wie schäm’ ich mich. Wie hatt’ ich mich verirrt. Wieder wie in dem Tagebuch – auf das ich so herabsah. Wieder wie ein Kind!

Volkmar trat zu ihm, legte ihm leise streichelnd eine Hand auf den dunkelblonden Kopf. Mein teurer Sohn, sagte er, mit heiter glänzenden Augen, es wird noch nicht Deine letzte Dummheit sein. Wenn sie alle so gut enden, dann ist’s noch nicht schlimm! – Ich muß Dir nun aber noch ein Geständnis machen; da Du mich so genesen anschaust, hab’ ich schon den Mut. Ich bin doch auch einmal falsch gegen Dich gewesen; „Erziehungsjesuiterei“ – die verachtete. Ja, zuweilen ist’s wahr: der Zweck heiligt das Mittel; so, dacht’ ich, in diesem Fall! Was hatte Dich gegen Thea so blind und so opfermutig gemacht? Nur Dein edler Sinn – Dein schwärmerischer – und darum gefährlich. Wenn ich diesen edlen Sinn nun herüberzog – die Liebe zum Vater darin zur großen Feuersbrunst machte, die in alle Winkel leuchtete und brannte … So ungefähr dacht’ ich mir’s, in meiner Vatersnot. So ist’s auch geglückt!

Rudolfs Augen, wieder umschleiert und fast ohne Blick, stierten zu Volkmar hinauf. Ich versteh’ noch nicht –

Kind, was war mir Thea! Ich hab’ sie besucht, ja, in der vorigen Woche jeden zweiten Tag; ich hab’ sie studiert, ihr „den Hof gemacht“, artig mit ihr geplaudert, sogar eine Rolle mit ihr durchgelesen; – an ihre kleine Hand oder ihr großes Herz hab’ ich nie gedacht. Es war eine Lüge, mein Junge, um Dich aufzuwecken; – sie ward mir schwer, glaub’ mir’s. Gott sei Dank, das ist nun vorbei. Du verzeihst mir, Rudolf. Du hast den Herzensverstand, der mit einem Schlag begreift, was ein anderes Herz gedacht! Ich mußte Dich aus dem Wasser ziehn – bin auch dabei naß geworden. Du aber – – wie stehst Du nun da. Das liebe „verschwierte“, umnebelte, tapfere Gesicht. Hast Deinem Herzen einen Preis getrunken, ’s ist Dein Ehrentag!

Vater –! stieß Rudolf nur hervor; er war aufgestanden; er mochte jetzt nicht sprechen. Diese Enthüllung, und dieses Lob, und dieses Glück – – ihm war’s wie ein Traum. Er fühlte wohl, so viel auf einmal könne sein schwerer Kopf nicht fassen. Doch griff er, in seiner grenzenlosen Liebe, nach Volkmars Hand und küßte sie. Volkmar ließ es geschehen, er wußte es kaum; dann zog er aber den Sohn an seine Brust, und wie zwei Männer hielten sie sich umschlungen. – –

Nun solltest Du aber schlafen gehn, sagte der Vater nach einer Stille. Du hast’s nötig, Rudolf. Wir wissen alles; und alles ist gut. In drei Tagen prüfen sie Dich. Also gute Nacht!

Ja, ja, flüsterte Rudolf. Es that ihm noch wohl, sich im Traum zu fühlen; die Geister des Weins gaukelten wieder in ihm – nun, da alles gut war – und die jungen Augen fielen ihm zu. Es schien ihm aber doch unmöglich, zu gehn, ehe er dem Vater noch Eines gesagt hätte: Dabei bleibt’s! fing er an, wenn auch mit müder und wieder schwerer Zunge. Wir beide trennen uns nie! – Wie wir’s neulich besprachen und abmachten: wir beide trennen uns nie!

Doch wohl! erwiderte Volkmar wehmütig lächelnd. In ein paar Wochen ziehst Du mir davon; als Student der Philosophie.

Ja – aber im Sommer sehen wir uns wieder! – Und dann – dann freilich noch mein Freiwilligenjahr –

Irgendwo da draußen; – und noch ein fröhliches Semester am Rhein, das Du Dir gewünscht hast –

Ja, vielleicht auch das noch. Ich hatt’ es eben nicht im Kopf. Ich war – nur ganz einfach glücklich. Glücklich wie noch nie! – – Vater! Aber dann! Nach zwei Jahren wieder zusammen – und dann nie mehr Trennung! Hier oder in Berlin, in München, wenn sie Dich inzwischen berufen; es ist ja im Werk. Ich glaube jetzt an jedes Glück. Ich war nie so glücklich … Oder sagt’ ich das schon?

Ja, antwortete Volkmar lächelnd.

Nie, nie mehr Trennung! – Du mein bester Freund!

Du meiner auch; – ich bin aber doch auch noch Dein Vater und schick’ Dich zu Bett. Diese Nacht kannst Du ruhig und zufrieden schlafen –

Und frei !

Also gute Nacht!


12.

Es kam der große Tag; Rudolf erschien im Speisezimmer, seinen Morgenkaffee zu trinken, angethan mit dem neuen Prüfungsfrack und der weißen Binde; dann, mit dem feierlich heiteren Segen des Vaters, wanderte er zur Schule fort. Toni stand auf der Treppe und begleitete ihn bis zur Hausthür; sie entließ ihn zärtlich, was sie nicht oft that. Eine wohlthuend aufregende, dramatische Spannung lag ihr auf der Brust. Ihre Schule begann heute erst um neun; wenn der „lange Bengel“ vom mündlichen Examen freigelassen wurde, so konnte sie noch seine Rückkehr erleben. Sie lief daher unruhig treppauf, treppab, immer aus einer Wohnung in die andere; als könne sie so die Entscheidung etwas „fixer“ machen. Sie stieg auch in die Turnringe hinauf und schwenkte sich hin und her. Endlich sah sie Volkmar (der wohl auch nicht ganz ruhig war) in der Speisezimmerthür erscheinen, die zum Vorplatz führte. Sie kletterte aus den Ringen hinunter, lief zu ihm und faßte mit den beiden hurtigen Händen die Knöpfe seines Sammtrocks.

Du, wie lang’ das dauert! sagte sie mit einem vorwurfsvollen Seufzer. Diese alten Ueze, die Lehrer!

So respektlos schimpft man nicht, erwiderte Volkmar und zupfte ein wenig an ihrem Zopf. Lieber übt man sich in Geduld.

Ach, nun wirst Du auch so „gelahrt“! Wie Fräulein Müller I in unsrer Schule – sie sprach ihr mit gespitzten Lippen und überfeinertem Stimmchen nach: „Nur immer hübsch Geduld, meine kleinen Fräuleins! Und alles mit Grrrazie! – Mit Grrrazie, mit Grrrazie!“ wiederholte sie. Auf einmal lehnte sie sich an den Oheim an und ihre redlichen braunen Augen sahen mit drollig listiger Neugier zu ihm hinauf. Da wir grad’ allein sind, Onkel … Seit anderthalb Wochen, denk Dir, möcht’ ich Dich was fragen – und ganz komischerweise hab’ ich nicht den Mut. Jetzt will ich aber doch; dalli! – Was war das eigentlich, Onkel Albert, – als Rudolf an dem Sonntag Morgen in seinem Zimmer sang und dann plötzlich losschrie? Und dann kamst Du und gingst zu ihm, und Helene und ich liefen fort. Warum hat er denn so geschrieen?

Das ist sehr einfach, mein Herz, sagte Volkmar, ihr die Wange streichelnd. Seit ihr beide Dramendichter geworden seid, ist über Rudolf die Lust gekommen, zum Theater zu gehen. Darum fing er damals an, sich im Heldenschrei zu üben. Auch im tragischen Sturz.

Die Kleine sah ihm zweifelnd, dann mißbilligend ins Gesicht. Ach, das sagst Du nur so. Das glaub’ ich Dir nicht.

Das glaubst Du nicht?

Nein. Was Du Dir alles ausdenkst … Und was Du Dir alles mit mir erlaubst!

Volkmar lachte auf. Ja, es ist entsetzlich, Toni! – Gut, ich werd’ Dir sagen, wie es wirklich war –

Sie horchte auf.

Aber erst wenn Du heiratest; an Deinem Hochzeitsmorgen. Mein Wort darauf!

Ach, Du bist schlecht. – Ich heirat’ ja nie!

Helene! rief sie jetzt und sprang fort. Helene kam die Treppe herauf, in Mantel und Hut, ihre Schulbücher im Arm; ein Paar Schneeglöckchen hielt sie in der Hand. Da! sagte sie zu Toni; eine davon schenk’ ich Dir. Ich wollte Dich abholen, zur Schule; und hören, wie es mit Rudolf steht?

Ach, es steht noch gar nicht, antwortete Toni, an ihrem Schneeglöckchen riechend. Aber was hast Du für große Augen, Helene? Bloß um diesen Laban?

Ach, Du! sagte Helene. Wenn ich große Augen habe, wie Du sagst – das ist ganz was andres. Denken Sie, Herr Professor! Toni, halt’ Dich fest und fall’ nicht vom Stengel! – Sie ist fort! und wie!

Wer? fragte Volkmar.

Thea! Durchgegangen ist sie! – – Eben kam eine Tante und hat’s uns erzählt. – Mit Hinterlassung eines Briefchens an den Herrn Direktor. ... Toni schüttelt den Kopf. Gott, wie wird

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_551.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2022)