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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

mußte sich krümmen wie Schlangen und Teckelbeinchen, sein schönes tiefes Braun war unter weißem Lack verschwunden.

Mit blinkenden Nadeln und klirrenden Scherchen reihten sich die Damen des Hofes um die Tafeln, flimmernde Rosetten auf den gepuderten Toupets, Gold- und Silberspitzen an den Röcken und in fischbeinstarrenden Schnebbenleibchen.

Die Herren gingen und standen in kunstvollen Positionen um sie herum und machten die Cour, was wie ein ernstes Geschäft angesehen wurde.

Gegen die farbenschillernden seidenen Prachtgewänder der Hofgesellschaft stachen düster die dunklen Kutten der beiden Mönche ab, die an einem besonderen Tisch saßen, den Wachspfannen, Paletten, Pinsel und Farbenmuscheln bedeckten.

Auf einer erhöhten Stufe thronte in ihrem mit Purpurdamast bezogenen Sessel Augusta Dorothea, ein Hermelinmäntelchen um die noch schönen Schultern geschlagen, nadelspitze Stöckel unter den schmalen Füßchen, auf dem Haupt die Fontange, wie der aus Spitzen und Schleifen sich türmende Kopfputz nach seiner Erfinderin, einer Geliebten Ludwigs XIV., genannt wurde. Durch ihre juwelengeschmückten Finger glitten die vor ihr ausgebreiteten Zeichnungen und Gemälde: Entwürfe Severins für die Wachsfigurendarstellungen.

Kiliane chassierte lächelnd herein, begleitet von Konrad, dem noch die Lippen leise bebten, heißes Rot auf den Wangen glühte.

Tief verneigten sich beide.

Mit flüchtigem Nicken dankte Augusta Dorothea, und ein Wink ihrer dunklen Augen, deren Ausdruck zwischen Ueberspanntheit und Hinterhältigkeit wechselte, schob gleichsam die jungen Sendboten mit ihren Eröffnungen den obersten Hofchargen zu. Ihro wünschte nicht gestört zu sein.

„Das Fräulein kommt ohne Bild?“ fragte in tadelndem Tone die Oberhofmeisterin, welche an der Tafel der Hofleute den Vorsitz führte. „Ist der Herr Superintendent seiner Herrschaft nicht zu Diensten gewesen?“

„Der Herr Superintendent vermochte mir nicht sofort Auskunft zu geben,“ berichtete Kiliane; „aber er war begeistert für die erlauchten Frauen dieses Fürstenhauses und gedenkt seine Meinung von der Kanzel herab noch mehr zu bekräftigen.“

„Hoffentlich ist der Junker geschickter gewesen,“ wandte sich der Hofmarschall an Eichfeld. „Wie steht’s mit dem Wein, den Pferden, dem Geld?“

„Auch ich komme mit leeren Händen,“ stammelte verlegen Eichfeld; „der Herr“ – „Sekretarius Struve“ schwebte auf seinen Lippen.

„Der Herr Kanzler,“ fiel Kiliane ein, „wird die erhaltenen Aufträge seiner Zeit seinem gnädigsten Herrn unterbreiten.“

„Die Reden des Fräulein von Heymbrot sind überzuckerte bittre Mandeln,“ seufzte die Oberhofmeisterin, während Kiliane an ihren Platz unter den Hofdamen glitt. „Von dem Superintendenten haben wir uns eine seiner Strafpredigten zu gewärtigen.“

„Der sonst so gefügige Kanzler säumig!“ sagte der Hofmarschall den Kopf schüttelnd. „War er allein?“ fragte er Eichfeld, der sich ebenfalls zurückziehen wollte.

„Der Sekretarius Struve war bei ihm,“ erwiderte Konrad zerstreut und folgte Kiliane.

Der Hofmarachall zog die Luft durch die Zähne. „Natürlich – Struve! Der Aktenwurm, der sich immer unterfängt, ein Gesetzbuch dem Willen Ihrer Durchlaucht entgegenzustellen.“

Ein Lachen unterbrach ihn.

Severin nahm eben der ersten Hofdame die kleine Aebtissin von Wachs weg, welche dieselbe mit großen Hüftpolsterm versehen hatte, und schob ein verblichenes Gobelinstückchen hin. „Wollen sich die Damen nach diesen Gestalten richten,“ sagte er mit seiner gedämpften Stimme.

„Ohne Puder und Reifrock! Wie unanständig!“ tönte es entsetzt um die Tafel.

„In Dunkel gehüllt, nur wenigen bekannt scheint die fromme Sage zu sein, die wir hier bildlich vorführen wollen,“ bemerkte Timotheus mit gutmütigem Spott.

„Vielleicht gestatten Ihre Durchlaucht,“ sagte die Oberhofmeisterin, „durch eine Reihenerzählung – das neue Gesellschaftsspiel aus Braunschweig – Licht in das Dunkel zu bringen.“

Und als ein Lächeln um den launenhaft geschürzten Mund der Fürstin die Bitte gewährte, fuhr sie scharf fort: „Da das Fräulein von Heymbrot hente zum Fabulieren aufgelegt scheint, kann Sie beginnen.“

Kiliane sah einen Augenblick schweigend durch das Fenster nach den schattenhaften Umrissen der Kevernburg, die, vom Mond matt erleuchtet, jenseit der Gärten auftauchten. Dann hob sie an: „Dort, wo jetzt nur zerklüftete Trümmer aufragen, stand in alten Zeiten eine stolze Burg mit zinnigen Mauern und hohen Türmen. Von ihr aus beherrschte der erlauchte Ahnherr dieses fürstlichen Hauses das Land und Volk zu seinen Füßen. Er lebte in Glanz und Pracht. Die Wände der Gemächer bedeckten weiche seidene indische Stoffe; die Schatzkammer füllten silberne Schilde, goldene Spangen; Edelgestein funkelte an den Harfen, deren süßer Klang die Burg durchzitterte.“

Unmerklich hatte Severin ihr das schmale Gesicht zugewendet; aus den verschleierten Augen spann sich sein Blick zu ihr hin.

Sie fing ihn auf. Uebermütig hob sie das Köpfchen. „Und die Minnesänger sangen von Liebe vom ersten Nachtigallenschlag bis zum Morgengruß des Wächters auf der Zinne,“ fuhr sie mit ihrer hellen klingenden Stimme fort.

„Aber eitle Sinnenlust bethörte den Grafen dennoch nicht; er gründete das Walpurgiskloster auf dem benachbarten Waldberg,“ schnitt Timotheus ruhig die üppige Schilderung ab.

Severins Haltung war wieder wie vorher: unbeweglich, der fein geformte Kopf leicht gesenkt, die Augen niedergeschlagen.

Kiliane schwieg schelmisch lachend, und die alte Oberhofmeisterin erzählte weiter von einer schönen Hofjungfrau, Gertrudis genannt, die im Frauengemach saß und spann, während ihr Anbeter, der beim Grafen Rittertum erlernte, sein Pferd vor ihrem Bogenfenster tummelte.

„Aber es waren zwei Edelleute,“ verbesserte Kiliane, einen winzigen Spinnrocken mit schmalem Rosenband umwindend, „einer mit hellbraunem Haar und der andre mit schwarzen Augen und Bart – ein angenehmer Tollkopf.“

„Hoho! der Erste duldete den Zweiten nicht!“ rief Eichfeld.

Der erste Kammerherr, dem als Zeichen höchster Geckerei die Locken der Perücke bis auf den Degengriff fielen, lachte schadenfroh. „Aber der Zweite kam in galanten Strümpfen angestochen und trug zwei Uhren.“

„Die noch nicht erfunden waren,“ brummte Timotheus.

„Wenn die ehrwürdigen Väter alles so genau wissen,“ rief lachend Kiliane, „so mögen sie auch die Sage vollenden.“

Und bereitwillig erzählte Timotheus von einem großen Fest auf der Kevernburg und verlor sich in Schilderungen von Humpen, die immer riesiger wurden, je länger er sein chinesisches Täßchen mit Thee ansah.

Als er aber an die Liebesflamme kam, die in den Herzen der beiden Ritter für das schöne Fräulein aufloderte, da schnupfte er in der Verlegenheit so lange, bis Eichfeld aufbraufte:

„Es giebt in solcher Lage nur einen Ausweg: Einer ist zu viel auf der Welt. Der Edelmann mit dem hellbraunen Haar forderte den schwarzlockigen Unverschämten zum Kampf auf Leben und Tod.“

„Und wie ging es weiter?“ fragte gemütlich Timotheus. „Denn es muß doch der Wahrheit gemäß erzählt werden.“

Eichfeld schwieg. Das Ende war nicht nach seinem Sinn.

Da löste ihn Severin mit seiner gedämpften und doch so wundersam bestrickenden Stimme an: „Es war im Morgengrauen des nächsten Tages, als die beiden Ritter in dem stillen Thal am Fuße des Walburgisberges zusammentrafen. Die letzten Schläge des Glöckchens auf dem Kloster verhallten; sie hatten für und für die Nacht geklungen. Klirrend traten die beiden Kämpen sich gegenüber.

Da teilten sich die Zweige der Waldbäume des Klosterberges, und Gertrudis trat hervor im schwarzen Nonnengewand, den Schleier über dem Antlitz. Schweigend streckte sie die Hand zwischen die dräuend gehobenen Schwerter. Hinter ihr folgte der Zug der Klosterfrauen, und leise tönte der Sang, der bei der Einkleidung gesungen wird: ‚Dem Reich der Welt entsagte ich.‘

Die sündigen Edelinge beugten sich. Unwiderruflich entrückt war ihnen die Gottesbraut. Die Nonne kehrte zurück in ihre Klause und ging ein in den ewigen Frieden.“

Fast nur flüsternd fielen seine letzten Worte von den fein geschnittenen Lippen, als dürfe die einschlafende Unrast des Lebens nicht geweckt werden.

Es war totenstill geworden.

An Kiliane allein glitt der Zauber der Rede machtlos ab. Mit fast grausamer Kälte forschte ihr Blick in dem Antlitz Severins, auf dessen Stirn ein düstrer Zug brütete.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_582.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)