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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

zum guten Ton, große Brillen zu tragen. Die Mandarine, Beamten, wohlhabenden Geschäftsleute und die Compradores (Zahlmeister) der europäischen Kaufleute tragen gewöhnlich unförmig große Augengläser mit Krystallscheiben darin, welche ihr halbes Gesicht bedecken. Unsere europäischen Linsen können sie nicht gebrauchen, weil diese ihrer Ansicht nach viel zu klein sind. Deshalb bestehen in China eigene Schleifereien solcher Linsen, und da ihr Glas zu unrein ist, verwenden sie nur Krystall und schleifen die Linsen so lange, bis sie den betreffenden Augen entsprechen. Auf meiner Reise den Jangtsekiang aufwärts im vergangenen Frühjahr legte unser Schiff auch in Wuhu an, und begleitet von einem dort bekannten Theehändler, brachte ich mehrere Stunden in den dortigen Geschäftsvierteln zu. Auf dem Wege dahin begegneten wir einem dem Theehändler bekannten Chinesen, der eben zum Sekretär des Tao-Tais (Präfekten) ernannt worden, war. Durch unseren Dolmetscher ließ er uns mitteilen, er wäre eben im Begriff, zum Optikus zu gehen, um sich Brillen für seine schwachen Augen schleifen zu lassen. Offenbar schämte er sich vor uns, als Beamter noch keine Brille zu tragen. Thatsächlich sahen wir ihn bei einem Brillenmacher halten, und als wir zwei Stunden später zufällig wieder vorbeikamen, rief er uns lächelnd zu, die Linsen wären nun für sein Auge passend geschliffen. Der Neugierde halber blickte ich durch diese riesigen kreisrunden Gläser; sie waren flach wie Fensterscheiben.

Aus dem ganzen industriellen Leben der Chinesen konnte ich erkennen, daß sie mit Zähigkeit an ihren althergebrachten Werkzeugen und Herstellungsarten festhalten und ungemein schwer dazu gebracht werden können, sich die unsrigen anzueignen. Selbst im Auslande, wie z. B. in Kalifornien, wo sie, wie ich in meinem Buch über das Land (Leipzig, G. Weigel) geschildert habe, doch mitten unter den Amerikanern leben und arbeiten, haben sie ihre altchinesischen Handwerksmethoden beibehalten; ja, sie lassen sich ihren ganzen Bedarf an Kleidern, Gerätschaften, Werkzeugen etc. aus China bringen, statt die praktischen, billigen amerikanischen Artikel anzuschaffen. Nur Industrien, die sie vor der Berührung mit den Europäern nicht besaßen, nehmen sie willig an, vorausgesetzt, daß ihnen deren Nützlichkeit einleuchtet. So war es gar nicht schwer, den Gebrauch von Petroleum und damit auch Petroleumlampen bei ihnen einzuführen, aber die letzteren machen sie jetzt in Canton schon selbst und verschicken sie jährlich nach vielen Tausenden ins Innere. Ebenso unbekannt war ihnen unsere Eisenindustrie mit ihren großen Gießereien, ihren gewaltigen Stahlwerken, Maschinen aller Art. Es dauerte gar nicht lange, so besaßen sie an verschiedenen Orten Arsenale und Maschinenwerkstätten, geleitet von Europäern, die sie aber allmählich durch eingeborene Ingenieure und Mechaniker zu ersetzen bestrebt sind. Augenblicklich sind sie daran, den Eisenbahnbau von Europäern zu studieren, um seinerzeit ihre Eisenbahnen selbst bauen zu können.

Trotz der großen Erfindungen, welche die Geschichte den Chinesen des Altertums zuschreibt, sind die heutigen Bewohner Chinas kein erfindungsreiches Volk; dafür ist ihr Nachahmungsvermögen ungewöhnlich stark ausgeprägt. Haben sie einmal europäische Gegenstände, von deren Nützlichkeit sie überzeugt sind, und werden sie durch Europäer in die Geheimnisse ihrer Herstellung eingeweiht, so ist es ihnen ein Leichtes, selbständig zum Nachteil der europäischen Industrien weiter zu schaffen.

In Hongkong, Shanghai, Singapore und anderen Großstädten Ostasiens ist die Kleinindustrie fast ganz in die Hände der Chinesen übergegangen, denn der Europäer kann mit ihnen nicht konkurrieren. Der Bedarf an Kleidern und Schuhwerk für die dort ansässigen Europäer wird größtenteils von Chinesen geliefert, die sich auch in diesen Sachen als sehr flinke, verläßliche und äußerst anspruchslose Arbeiter erweisen. Für neue Kleider, Wäsche oder Schuhe Maß zu nehmen, ist nicht ihre Sache; aber sobald ich ihnen ein europäisches Kleidungsstück als Muster mitgab, verfertigten sie danach in der kürzesten Zeit genau das gleiche Kleidungsstück zu erstaunlich billigen Preisen. Ganze Anzüge aus guten europäischen Stoffen wurden mir in Shanghai und Singapore für zehn bis zwölf Silberdollars (nach dem gegenwärtigen Werte 20 bis 25 Mark) binnen vierundzwanzig Stunden geliefert. Nur muß in kleineren Orten darauf Bedacht genommen werden, diesen bezopften Kleiderkünstlern nicht etwa geflickte Kleider als Muster mitzugeben, weil das neue Kleidungsstück dann gewiß den gleichen Flickschaden an der gleichen Stelle zeigen würde.


– Der gute Kamerad. –

Ein Geburtstagslied für meine Frau.
Melodie: „Ich hatt’ einen Kameraden.“

Und wenn sich zwei gefunden,
Wie man’s beim Wandern thut,
Und sind zu allen Stunden
Einander treu verbunden,

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Da geht das Wandern gut.


Wohl über Stock und Steine
Geht’s da im muntern Lauf,
Und strauchelt auch der eine,
Er ist ja nicht alleine,

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Der andre hilft ihm auf.


An guten Tagen laben
Die zwei sich im Verein;
Sie teilen, was sie haben,
Um auch bei kleinen Gaben

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Noch doppelt reich zu sein.


Und ist ein Berg erklommen,
So schau’n sie gern zurück.
„Hab Dank, daß Du gekommen
Und hast mich mitgenommen,

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Zu unser beider Glück!“


„Ja, solchen Kameraden –
Wer nähme den nicht mit!
Du hältst auf allen Pfaden,
Den krummen und den graden,

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Mit mir den gleichen Schritt.“


Wie viele der Begleiter
Sind längst nicht mehr zu seh’n!
Gottlob, daß wir noch heiter
Die Lebensstraße weiter

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Und Arm in Arme geh’n!


Und wenn am Schluß der Reise
Auch uns der Abschied naht,
Dann klingt noch leise, leise
Die alte treue Weise:

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Mein guter Kamerad!

 E. Hermann.


Freiheit.

Novelle von A. von Klinckowstroem.

  (Schluß.)

[„]Sie haben die ganze Zeit über bei uns ausgehalten,“ begann Wildenberg in warmem Ton, der Hellas ohnehin gespannte Nerven erzittern ließ. „Das war schön, denn wenn die Leute sehen, daß ihre Herrschaft ein Herz für sie hat und in schweren Stunden zu ihnen steht, so nehmen sie noch einmal so willig ihre Arbeit auf sich.“

„Sie vergessen, daß dieser Brand vor allem meine eigenen Interessen geschädigt hat und daß daher schon der Eigennutz mich treiben mußte, zu sehen, wie weit der Schaden sich ausdehnen werde.“

„Nein, nein, verletzen Sie sich nicht selbst! Sie werden mir nicht weismachen, daß die Sorge um Ihren Besitz Sie die Nacht hindurch bei uns gehalten hat.“

„Und was denn sonst?“ unterbrach sie ihn herb.

Er lachte sorglos. „Als ob ich Sie nicht besser kennte! Die Sorge um die Bewohner der Mühle war’s, und auch ein wenig die Sorge um uns. Ja, meine Gnädigste, Ihr gutes Herz und Ihr Gerechtigkeitsgefühl haben Sie nicht ruhen lassen, während wir uns mühten, und es war gut, daß Sie uns durch Ihre Gegenwart bis zum letzten Augenblick angefeuert haben. Wer weiß, ob wir sonst so eifrig gewesen wären. Für mich wenigstens kann ich nicht stehen. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich so wohlgemut in das brennende Haus hineingegangen wäre, hätte ich nicht den dunkeln Drang gefühlt, in Ihren Augen ein wenig großzuthun. O, ich hätte nach dem Muster der mittelalterlichen Ritter noch ganz andere Dinge vollbracht um ein Wort des Lobes von Ihren Lippen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_590.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)