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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Trotzdem das alles offenbar scherzhaft gemeint war, hatte seine Stimme einen weichen erregten Klang. Das Alleinsein mit der schlanken blonden Frau wirkte wie berauschend auf ihn und ließ ihn allerlei Thorheiten sprechen, die er bei nüchterner Ueberlegung unterdrückt haben würde. Er vergaß in seiner glücklichen Unbefangenheit den praktischen Dingen des Lebens gegenüber, daß sie die Besitzerin von Strehlen war, von altem Adel, eine der besten Partien des Landes; für ihn war sie in diesem Augenblick nur ein reizvolles, begehrenswertes Weib, dessen Gegenwart ihm allmählich seine Sinne zu verwirren begann. Hella aber reizte der vertrauliche, fast siegesgewisse Ton, den er anschlug, nur noch mehr. Sie lachte spöttisch auf.

„Was Sie mir da sagen, hat nicht ganz den Reiz der Neuheit. Mit einigen Abweichungen habe ich Aehnliches schon von den meisten Herren der hiesigen Gegend gehört.“

„Können Sie sich darüber wundern? Ich finde es nur zu begreiflich, daß alle, die in Ihren Zauberkreis geraten, ein wenig von ihrer Vernunft einbüßen und Thorheiten sprechen.“

„Ja, ich wundere mich allerdings darüber, denn wer mich kennt, muß auch wissen, daß ich für dergleichen nicht empfänglich bin. Doch die Herren glauben ja immer, jede Frau, in erster Linie die unverheiratete, müsse sich von jeder, selbst der abgeschmacktesten Huldigung, die ihr pflichtschuldigst dargebracht wird, beglückt fühlen.“

Er schwieg, verletzt durch diese höhnische Erwiderung auf seine warmen Worte.

„Ich sage ‚pflichtschuldigst‘, weil es hier in der Gegend zum guten Ton gehört, mir den Hof zu machen,“ fuhr sie achselzuckend fort. „Und doch hätten die Herren der Nachbarschaft allmählich merken können, daß ich nicht gesonnen bin, meine Freiheit gegen eine sehr viel schlechtere Lage einzutauschen, ganz abgesehen davon, daß mein Name und meine gesellschaftliche Stellung mir gewisse Standesrücksichten auferlegen, welche ich auf keinen Fall außer acht lassen will. Glauben Sie mir, die Selbständigkeit ist für eine in jedem Sinn unabhängige Frau von zu großem Wert, um sie für eine Illusion hinzugeben.“

Es that ihm in der Seele weh, daß sie so unweiblich, so rücksichtslos von oben herab sprach. Er hätte sie so gern auf der Höhe erhalten, auf der sie bisher für ihn erhaben über alle anderen stand. „Eine Illusion?“ wiederholte er mechanisch, bemüht, den aufsteigenden Groll zu überwinden.

„Ja, eine Illusion! Oder ist diese sogenannte Liebe, die mir zuwider ist, etwas anderes als eine Einbildung, gerade lebendig genug, um die Gefühlsseligen und Thörichten über sich selbst zu täuschen?“

Wildenberg vermied es, sie anzublicken; er schritt eine Weile schweigend neben ihr her und sagte dann leise: „Glauben Sie mir, es wird eine Zeit kommen, in der Sie bereuen werden, einer leidenschaftlich vorgefaßten Meinung das Glück geopfert zu haben, das wir alle nur in der Gemeinschaft mit einem anderen geliebten Menschen finden.“

Sie warf den Kopf zurück. „Bin ich etwa unglücklich?“

„Die Stunde, in der Sie es sein werden, kommt unfehlbar!“

„Ich zweifle daran, daß Sie das erleben werden.“

„Wohl möglich, da ohnehin meines Bleibens hier nicht mehr lange ist! Aber ich bin sicher, daß Sie sich dieser Stunde und dieses Gesprächs noch einmal erinnern werden.“

Sie hatten inzwischen den Park erreicht und Hella trat durch die Gitterpforte ein, um ihren Weg direkt nach dem Schloß zu nehmen, während Wildenberg nach dem Gutshof hin links abbiegen mußte. Er lüftete den Hut und verbeugte sich. Vielleicht hatte er erwartet, daß sie ihm die Hand reichen werde, aber sie konnte sich nicht dazu entschließen, sondern neigte nur den Kopf und wandte sich dann parkeinwärts. Nach wenigen Schritten jedoch blieb sie unschlüssig stehen und machte eine Bewegung, als wollte sie ihn zurückrufen, aber er sah sich nicht mehr um, sondern schritt rasch davon.

Zu erregt, um sich niederzulegen, änderte Wildenberg nach kurzem Besinnen seine Richtung und bog in die Dorfstraße ein, die im Zwielicht des düstern Septembermorgens schweigend und menschenleer vor ihm lag. Die Leute, erschöpft von der nächtlichen Anstrengung, hatten sich niedergelegt und die Morgenarbeit für heute hinausgeschoben. Hier und da nur schimmerte aus dem Fenster eines der niedrigen Häuschen der Schein eines Lichtes oder des flammenden Herdfeuers. Die einsame Wanderung that ihm wohl und beruhigte seinen fieberhaften Pulsschlag. Vor dem Pfarrhause blieb er stehen und sah hinauf. Die Läden waren geschlossen, offenbar schlief hier noch alles. Doch nein, das letzte Fenster des Erdgeschosses dort zur rechten Hand stand offen, und zwischen dem Weingerank kam ein kleiner dunkler Kopf zum Vorschein.

„Fräulein Lili! Sie sind es?“ rief er froh überrascht.

„Ich konnte nicht schlafen,“ gab sie in eifrigem Flüsterton zurück. „Als das Feuer gelöscht war und die Leute zurückkehrten, gingen die andern zu Bett, aber ich war zu aufgeregt und hätte doch kein Auge schließen können. Unser Kutscher, der auch mit dabei war, hat erzählt, daß Sie in das brennende Haus eingedrungen seien und das arme Kind gerettet hätten – o, das war gut, das war edel von Ihnen!“

„Sie dürfen von dieser That nicht so viel Aufhebens machen, Fräulein Lili. Hätte ich’s nicht gethan, so wäre wohl im nächsten Augenblick ein anderer vorgegangen. Ich war nur zufällig der erste, dem nach dem Schrecken die Geistesgegenwart zurückkehrte.“

„Ja, aber die andern hatten eben nicht die Geistesgegenwart! Es soll Ihnen nicht gelingen, Ihre Heldenthat zu verkleinern. Großer Gott, wenn Sie nun verbrannt wären!“ Ein Schauer überlief sie unwillkürlich.

„Dann würde mich außer meiner alten Mutter wohl schwerlich jemand betrauert haben.“

„Und wir alle? Tante Hella und ich? Und der Herr Pfarrer?“

„O, Fräulein Hella würde sich bald getröstet haben!“ sagte er nicht ohne Bitterkeit.

„Aber wir hier nicht. Doch gottlob, da stehen Sie ja frisch und gesund! Nur etwas bleich sehen Sie aus – Sie sind doch nicht krank?“

Er lächelte. Ihr besorgter Eifer und der warme Ton ihrer Stimme thaten ihm wohl. „Es fröstelt mich ein wenig,“ sagt er, „und ich bin nach den Erlebnissen dieser Nacht begreiflicherweise etwas abgespannt, aber die kalte Morgenluft hat mir gut gethan.“

Der dunkle Kopf verschwand vom Fenster, gleich darauf erschien Lili in der Thür.

„Kommen Sie rasch herein! Das ganze Haus schläft zwar noch, aber ich weiß Bescheid und koche Ihnen schnell eine Tasse heißen Kaffee. Sie sehen wirklich sehr schlecht aus!“

Er zögerte einen Augenblick, dann folgte er ihr in das dämmerige Haus und nahm in des Pastors Lehnstuhl am Fenster Platz. Die Müdigkeit kam nun doch plötzlich über ihn, und halb im Traum, den Kopf zurücklehnend, folgte er mit den Augen der schlanken zierlichen Gestalt, die geräuschlos hin und her huschte, und Zucker und Milch herbeischaffte, während auf dem Tisch das Spirituslämpchen einen bläulichen Schein verbreitete und das Wasser mit singendem Ton zu sieden begann. Der heiße Trank, den ihre geschäftigen Hände ihm reichten, durchströmte seinen Körper mit wohliger Wärme. Wie teilnehmend und herzlich sie war und wie hausmütterlich um ihn bemüht! In dem halbwachen Zustand, in dem er sich befand, gingen ihm allerlei sonderbare Vorstellungen durch den Sinn. Es war ihm, als sei er daheim im eigenen Hause, als sei sie, mit der er sich hier so traulich im Morgendämmern allein befand, die Seine. Allmählich verflossen die Züge dieser Frau vor seinen Augen in undeutlichem Nebel; bald war es Hella, die er zu sehen glaubte, bald wieder Lili. Er konnte die beiden in seinem Herzen nicht voneinander trennen. Dieses Doppelgefühl wurde ihm mehr und mehr zur Qual in diesem Augenblick, in dem eine bleierne Müdigkeit sich auf ihn niedersenkte und er vergebens sich mühte, zum Bewußtsein seiner selbst zu kommen. Der Pfarrer, der zwei Stunden später nichts ahnend in sein Studierzimmer trat, fand zu seinem Erstaunen einen fest schlafenden Gast in dem Lehnstuhl, welcher sonst seiner eigenen beschaulichen Ruhe geweiht war.

Zu derselben Stunde saß Gräfin Lotti im Schlafzimmer ihrer Cousine und ließ sich von ihr die Erlebnisse der Nacht schildern. Aber Hella war merkwürdig zurückhaltend und verwies die Gräfin an Wildenberg und den Oberinspektor, als diese das Nähere über die heldenmütige Rettung des Kindes zu hören wünschte.

„Du sträubst Dich dagegen, ihm Deine Anerkennung zu zollen,“ bemerkte die Gräfin trocken. „Das ist ein schlimmes Zeichen.“

Diesmal war Hella im voraus gewappnet und entgegnete kühl: „Ich sträube mich durchaus nicht dagegen, aber es ist mir zuwider, durch allzu viel Lob den Wert einer That abzuschwächen. Uebrigens ist inzwischen etwas vorgefallen, was meine Aufmerksamkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_591.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2022)