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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

mit einem Versuch zum Scherz meinte: „Halten Sie mich etwa für ein nervenschwaches Frauenzimmer, das in Ohnmacht fallen könnte? Nein, nein, setzen Sie ruhig Ihren Weg fort, ich gehe die wenigen Schritte durch den Park allein zurück!“

Er bestand nicht weiter auf seinem Vorschlag, da er wußte, daß sie es nicht liebte, ihre einmal ausgesprochene Absicht gekreuzt zu sehen; aber er blickte ihr mit unwillkürlicher Besorgnis nach, und es kam ihm vor, als sei ihr Schritt nicht ganz so sicher und fest wie sonst.

Hella ging langsam nach dem Hause zurück und begab sich in ihr Zimmer, dessen Thür sie hinter sich verschloß. Dort sank sie mit einem unartikulierten rauhen Laut zu Boden, die Arme auf den Sitz eines Diwans werfend und das Gesicht darin vergrabend. Ein krampfhaftes Zittern durchschauerte ihren Körper, ihr Stolz rang mit Aufbietung aller seelischen Kräfte gegen den Jammer, der über sie hereinbrach. Es nützte nichts mehr, Verstecken vor sich selbst zu spielen – ja, was sie zu Lilis rascher Entfernung bestimmt hatte, das war häßliche brennende Eifersucht! Was sie eben noch veranlaßt hatte, mit Wildenberg zusammenzutreffen, das war das leidenschaftliche Verlangen ihres Herzens gewesen, den Eindruck zu verwischen, den ihre Worte in jener Nacht auf ihn gemacht haben mußten, und ihren Hochmut bei dem ersten entgegenkommenden Wort von seiner Seite zu den Toten zu werfen!

Hella schlug die Hände vor das Gesicht, wie um die zornige Schamröte zu verbergen, die über ihre Züge flammte, und sprang auf. Wie? Ihr ganzes Leben, alle die Grundsätze, zu denen sie sich bisher bekannt hatte, sollten nichts als Komödie gewesen sein? Sie sollte aus keinem andern Thon geknetet sein als alle die andern Frauen, auf die sie stets mit so viel Ueberlegenheit herabgeblickt hatte?

Wer ihr zwei Stunden später begegnete, hätte keine Spur mehr von dem Sturm bemerkt, der in ihrer Seele getobt hatte. Ruhig ging sie ihren Obliegenheiten nach, beriet mit ihren Beamten und bewies eine geistige Klarheit und Urteilsschärfe, die diesen Bewunderung abnötigte. Nur eine gewisse Starrheit des Gesichtsausdrucks fiel an ihr auf, und Herr Boße äußerte seiner Frau gegenüber vertraulich, die Trennung von Lili scheine der Gnädigen doch näher zu gehen als man gedacht habe, sie sei sehr verändert gewesen. Spät am Abend noch ließ sich Wildenberg bei ihr melden, wurde aber nicht empfangen. Die Gnädige sei nicht wohl, hieß es. Er bedauerte das lebhaft, denn er hatte eigentlich von ihr Abschied nehmen wollen; er hatte den plötzlichen Entschluß gefaßt, am folgenden Morgen in der Frühe abzureisen. Es blieb ihm nur übrig, ihr schriftlich Lebewohl zu sagen, und er that es in warmen herzlichen Worten, ohne indes den Grund zu nennen, der ihn forttrieb.

Hella ahnte diesen Grund, las ihn zwischen den Zeilen und ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen. Wie sehr sie in ihrer Vermutung recht gehabt hatte, bewies ihr ein Brief, den sie wenige Tage darauf von Lili erhielt.

„Ich bin sehr glücklich, Tante Hella,“ hieß es darin. „Und Du sollst die erste sein, der ich davon Mitteilung mache. Wildenberg ist hier, und ich bin seit wenigen Stunden seine Braut. Stelle Dir vor, daß der einfältige Mensch behauptet, er habe es ohne mich nicht länger in Strehlen ausgehalten. (Ich wollte es natürlich nicht glauben, denn da er Dich dort hatte, so brauchte er mich eigentlich gar nicht.) Papa gab, nachdem Hans mit ihm eine längere Unterredung gehabt, seine Einwilligung. Ich habe nur etwas Herzklopfen, wenn ich an Dich denke. Wieviel Zeit und Mühe hast Du an mich verwandt, um mich für meinen Beruf vorzubereiten, und nun lasse ich alles im Stich und werde eine ganz gewöhnliche Gutsfrau. Aber ich bin überzeugt, Du freust Dich viel zu sehr über mein Glück, um mir meine Fahnenflucht zu verübeln. Man muß eben ein Ausnahmemensch sein wie Du, um in der Freiheit und Selbständigkeit Befriedigung zu finden. Hans läßt sich Dir bestens empfehlen. Der Elende hat die Stirn, mir zu sagen, er wäre sich seiner Liebe zu mir erst bewußt geworden, als ich davongefahren sei! Da muß ich Dir wohl noch ganz besonders danken, daß Du mich fortschicktest, sonst wäre ihm dieser glückliche Einfall wahrscheinlich gar nicht gekommen. Er meinte auch, Du hättest alles gemerkt. Nun, auf jeden Fall sind wir Deiner Billigung sicher, und das ist die Hauptsache. Ueber den Hochzeitstag haben wir natürlich noch nichts festgesetzt, darüber schreibst Du uns vielleicht noch Deine Bestimmung.“

Hella ließ den Brief sinken und biß die Zähne zusammen. Das klang alles so selbstverständlich und heiter, ihr wurde so vollständig die Rolle der mütterlichen Beschützerin zugeteilt, als könne es nicht anders sein. Die kleine Schreiberin lief mit ihren jungen leichten Füßen sorglos dem Glück entgegen, ohne eine Ahnung, daß sie ein anderes Herz zu Boden trat.

Und ein paar Wochen später kam wiederum ein Brief: „Wünsche uns Glück, Tante Hella, morgen ist unser Hochzeitstag!“

Die Empfängerin sah nach dem Datum – es war vom vorhergehenden Tage. Also jetzt, während sie den Brief hielt, war es voraussichtlich geschehen, hatte die Trauung stattgefunden! Langsam, wie geistesabwesend ging sie durch die Säulenhalle in den herbstlichen Park hinaus, durch raschelndes welkes Laub, das der Nordwind vor ihr Hertrieb, nach der Pforte, welche auf die jetzt kahlen Felder führte. Es fröstelte sie; das Vorgefühl der mit dem Herbst beginnenden unaufhaltsamen Verödung legte sich erdrückend schwer auf ihre Seele. Zum erstenmal empfand sie das Bewußtsein, inmitten derselben ganz allein zu sein, wie eine körperliche Pein. Und sie lehnte die Stirn gegen den Stamm des fast entblätterten Ahornbaums, neben dem sie stand, und fing an zu weinen.

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Blätter und Blüten


Auf dem „Gefährt“. (Zu dem Bilde S. 581.) Rotblühende Heideflächen, Wacholdergebüsch, hier und dort eine vom Wind zerzauste Kiefer oder weißstämmige Birke, dann moorige, von langem Riedgras umsäumte Wasserbecken, Wiesenpläne, teils mit Wallhecken umhegt, Erlengestrüpp – in der Ferne zwischen hohen Schwarzpappeln ein Kirchturm und über dem von Kiefernwäldern eingerahmten Bilde ein melancholisch grauer Wolkenschleiwr, das ist das Revier, auf welchem ich im September mit meiner Luska nach jungem Birkwild suche. Es ist zwar keine Jagd, bei der es fortwährend lustig knallt wie in den Zuckerrüben und Kartoffelbreiten, wenn es den Hühnern gilt, aber das scheue, edle Wild und die menschenleere und doch so reizvolle Landschaft ziehen mich alljährlich mächtig hin in das weite hannoverische Heideland. Wie eine Elfe, so leicht und anmutig gaukelt in flüchtigster Zickzacksuche die edle Langhaarige über die blühende Heide unermüdlich vor mir hin und her. Jetzt wirft sie die Nase in die Luft und hundert Schritt weit geht es direkt gegen den Wind in immer langsamer werdendem Trabe, bei dem der Körper mehr und mehr erstarrt, bis sich endlich keine Muskel mehr bewegt und die Hündin, regungslos wie ein Steinbild, den Kopf weit vorgestreckt, in die Ferne stiert. Dann wendet sie langsam den gierig die süße Witterung kauenden Fang, ob ich auch komme. Bald bin ich neben ihr: „Vorwärts!“ Rasch geht es nachziehend 50 Schritt voran – – dann liegt sie auf dem Boden, dreht den Fang nach links, nach rechts, gerade aus und kriecht wie eine Schlange durch die lange rote Heide – – hier hat das „Gesperre“ gelegen – aber es hält nicht, es ist 200 Schritt weit gelaufen und dort hinten, viel zu weit zum Schuß, steht es auf und streicht nach den Wallhecken hin. Auf ihnen werden wir es wiederfinden. Jetzt steht meines Freundes Kurzhaariger. Meine Hündin äugt es und sofort steht auch sie – sie sekundiert, sagt der Jäger. Aber langsam zieht sie hin zu ihm und beide arbeiten jetzt gemeinschaftlich das „Gefährt“ (nicht „Geläuf“, weil der Birkhahn zur „hohen Jagd“ gehört), die Spur des Birkhahns, wie es unser Bild zeigt. Das muß flink gehen. Birkwild läuft sehr rasch und weit und mit zu langsam nachziehenden Hunden ist hier nichts zu machen – aber auch mit keinen, die rascher und immer rascher dem „Gefährt“ folgen und schließlich, wie es so oft bei Hunden der Fall, welche die Birkhahnjagd nicht kennen, zu hitzig werden, aus der Hand gehen und das edle Wild heraushetzen. So schnell wir gehen können, folgen wir den sicheren Hunden, die hin und wieder nur eine Sekunde lang vorstehen, um auf uns zu warten, dann aber wieder dem „Gefährt“ in allen seinen Schlangenwindungen nachziehen, nach hohem Gestrüpp – Possen, sagt man in der Heide – und „Machandelbüschen“ hin. Die Hunde werden vorsichtiger – wir sind unserem Wilde näher – jetzt heißt es aufgepaßt. Bald ist der Kurzhaarige vorn, bald die Langhaarige – Schritt für Schritt geht’s weiter. Endlich stehen sie fest vor, 30 Schritt vor einem dichten Erlenhorst. Rasch gehe ich in weitem Bogen um den Busch – mein Freund bleibt neben den Hunden. Jetzt kracht und klatscht es im Geäst und 40 Schritt neben mir streicht der schwarze Hahn mit schnellem Schwingenschlage leicht wie eine Taube dahin – – es knallt, die Federn stieben, und schräg nach unten schießend, ist er im Gestrüpp verschwunden. Karl Brandt. 

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_595.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)