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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

liefen jetzt ohne weiteres davon, ohne auf Marenz zu achten, die uns mit zitternder Stimme einige Dankesworte nachrief.

Einige Tage später trug sie aber das neue Kleid und sah viel ordentlicher aus als sonst. Sie konnte aber jetzt wirklich nicht mehr verhindern, daß auch andere Leute sie die braune Marenz nannten.

Sie lachte darüber, wie sie denn überhaupt niemals lange ernsthaft sein konnte.

„So’n komischen Namen!“ sagte sie eines Tages zu mir, als sie mir mit ihrem kleinen Brotwagen begegnete. Zweimal in der Woche, gerade so oft wie Oltens backten, mußte Marenz aufs Land, um das Brot in den Dörfern zu verkaufen.

„So’n drolligen Namen!“ wiederholte sie noch einmal. „Wo ich doch Emmerentia Kathrine getauft bin, und gar nix Braunes an mich is!“

Und sie strich sich die goldfarbigen Haare hinter die Ohren.

„Du hast hübsche Namen!“ bemerkte ich und sie nickte.

„Vater is auch mit’n Drehorgel gegangen und hat ein Bild gehabt, mit’n Brudermord auf!“ sagte sie nicht ohne Stolz. „Und was mein Mutter war, die hat allens, was bei die Mordthat passiert is, gesungen. Wunderhübsch is es gewesen und mannichein hat dabei geweint, wenn er die Geschichte gehört hat und is auch hinterher graulich gewesen. Die Leute ins Armenhaus haben mich das verzählt, wo Vater und Mutter auch gestorben sind. Mutter is noch ganz jung gewesen; abers sie is doch totgeblieben und ich bin allein nachgeblieben!“

„Du mußt Dir Geld sparen!“ begann ich in ermahnendem Tone. Eine Tante von mir, die ich um einen Schilliug für Bonbons gebeten hatte, hatte mich kürzlich mit dieser Antwort abgefunden und ich fand es jetzt an der Zeit, sie zu verwerten.

Marenz nickte vergnügt.

„Ich hab was!“ sagte sie geheimnisvoll. „In mein Strumpf in Bettstroh steckt es! Willst mein Geld mal sehen?“

Natürlich wollte ich dies. Am liebsten wäre ich gleich mit Marenz umgekehrt; aber sie mußte aufs Land fahren und hatte keine Zeit mehr für mich. In den nächsten Tagen sollte ich aber einmal nachmittags kommen. Dann schlief Frau Olten, konnte uns also nicht stören und Marenz wollte mir ihren Schatz zeigen.

An den folgenden Tagen hatte ich irgend etwas verbrochen und durfte nicht ausgehen. Es dauerte also ungefähr eine Woche, ehe ich Marenz besuchen konnte, und meine Brüder Jürgen und Milo begleiteten mich. Jürgen, weil er mit seiner gewohnten Ungläubigkeit an Marenz ihrem Strumpfe zweifelte, und Milo, weil er niemals einen Strumpf voll Geld gesehen hatte und diese gute Gelegenheit, seine Wißbegierde zu befriedigen, doch nicht vorübergehen lassen konnte.

Wir waren alle drei in ziemlich feierlicher Stimmung und Marenz, die allein im Laden saß und nähte, sah uns ganz überrascht an.

„Nu, Kinners, wo seht Ihr aus? Habt Ihr einen begraben?“

„Wir wollen Deinen Strumpf sehen,“ sagte ich. „Deinen Strumpf voll Geld.“

Marenz lachte etwas verlegen.

„Besten Kinners – ich hab keinen Strumpf voll Geld!“

„Aber damals –“ begann ich vorwurfsvoll, doch sie unterbrach mich eilig.

„Ja dazumal! Dazumal hatt ich ein büschen Geld in mein Strumpf – nu is das allens natürlichenweise fort! Wo kann man sein Geld auch so lang verwahren! Geiz is die Wurzel von allen Uebel! sagt der Pastor in die Konfirmatschonsstunde!“

„Was hast Du denn mit dem Gelde gemacht?“ fragten wir nicht wenig enttäuscht und sie sah uns alle Drei mit glänzenden Augen an.

„Soll ich Euch mal weisen, was ich mich gekauft hab for mein Geld? Denn kommp man snell mit mich nach oben, abers ganz leise, daß meine Ohlsch nich aufwacht!“

Wir huschten hinter ihr die steile Bodentreppe hinauf und standen bald in einem ärmlich eingerichteten Stübchen. Dort auf dem elenden Bett lag ein sehr buntes Kleid. Ich glaube, alle Farben vom Regenbogen hätte man darin finden können.

„Das is mein Ballkleid!“ sagte Marenz mit vorstellender Handbewegung. „Morgen abend geh ich zu Ball mit Johann Kühl! Er hat mir eingeladen und will mir freihalten, denn da is Angträ bei das Ball. Herrens zwölf Bankschillinge und Damens die Hälfte! Und weil ich doch nich in das braune Kleid tanzen kann, hab ich mich ein Ballkleid gekauft. Is es nich prachvoll? Alle Farbens auf einmal ein, und denn noch ganzen billig, weil kein ein es haben wollte und Kaufmann Ohrts es nich loswerden konnte! Oh – was freue ich mir auf den Ball und auf das feine, feine Kleid!“

Sie schlug die Hände immer wieder zusammen vor Freude, und dann mußten wir das Kleid befühlen und sagen, daß es ein schöner Stoff sei und daß er aussähe wie Seide, obgleich es nur Kattun war.

Aber wir fühlten uns doch enttäuscht, weil wir den Strumpf mit Geld und kein Kleid hatten sehen wollen, und Jürgen gab seinen Gefühlen Ausdruck:

„Weißt Du, Marenz, es wäre doch besser gewesen, wenn Du das Geld behalten und Dir später etwas dafür gekauft hättest!“

Marenz machte große Augen.

„Warum soll ich mich nu nix kaufen, wo Johann Kühl mir freihalten will und ich noch niemalen auf’n Ball gewesen bin? Auf’n Ball mit Angträ und Punsch und Kuchens und mit Musik? Ins Armenhaus war niemalen ein Ball und wo ich die Gösselns hütete, auch nich! Und jeden Tag muß ich um Klock vier aufstehen und hab so viel zu thun – kann ich da nich mal auf’n Ball gehen, wo Johann Kühl mir freihält?“

Hierauf wußten wir nun nichts zu erwidern und bewunderten noch einmal das Kleid, ehe wir fortgingen. Aber als wir zu Hause erzählten, wie Marenz ihre Ersparnisse angewandt hatte, da gab es doch Leute, die ihren Leichtsinn sehr tadelten und ihr nichts mehr schenken wollten. Besonders eine ältere Tante, die bei uns zum Besuch war, konnte sich gar nicht über den Leichtsinn der heutigen Jugend beruhigen und sagte, wir dürften nicht mehr mit Marenz umgehen.

„Dürfen wir denn gar nicht mehr mit ihr sprechen?“ klagte ich.

„Nein!“ sagte Tante Klementine mit großer Entschiedenheit; Mamas Herz aber war gottlob noch nicht ganz hart geworden. Sie meinte, wenn Marenz uns anredete, sollten wir ihr nur immerhin antworten; es wäre aber besser, wenn wir sie nicht mehr besuchten.

„Im Armenhaus hat sie niemals tanzen können!“ murmelte ich noch einmal – aber mir wurde gesagt, daß ich schweigen solle.

Als ich nach einigen Tagen Marenz begegnete, begrüßte ich sie also mit einiger Zurückhaltung. Sie aber nickte mir fröhlich zu.

„Oh Kind, was is das Leben schön! Was war es fein und wie hab ich getanzt! Von abends Klock sieben bis morgens Klock fünf und denn mußte ich wieder an die Arbeit! Nee doch! Was zu schön is, das is zu schön!“

Ihre Augen funkelten vor Lebenslust und ich konnte unmöglich ernst bleiben.

„War Dein Kleid denn hübsch?“ fragte ich, und sie sah mich fast verächtlich an.

„Hübsch? Das war einfach großartig – kein Engel im Paradies konnt feiner sein! Johann Kühl sagt das auch!“

„Der hat Dich freigehalten, nicht wahr?“

Die braune Marenz nickte. Dann lachte sie ein wenig und wurde rot.

„Denk Dich – der mag mir leiden!“

„Wirklich? Will er Dich noch einmal freihalten?“

„Ja – das auch woll – abers er mag mir leiden! Er möcht woll, daß ich sein Frau würde. Noch nich, weil er nix hat – abers, wenn er mal was hat!“

„Du hast ja auch nichts, Marenz!“

„Nee –“ sie schüttelte den Kopf und seufzte. „Nee – haben hab ich nix – abers wir könnten ja warten! Hannes Bergmann sagt, warten is slimm!“

„Wer ist Hannes Bergmann?“

„Nu – das is Hannes, der so viel mit mich tanzte, was Johann nich mochte. Hannes kann so prachvoll Galopp tanzen! So ganzen prachvoll! Und er hat ein silberne Uhr, ganz von echten Silber und er hat mich gesagt, wenn ich ihm nähme, denn dürfte ich auch die Uhr jedweden Tag aufziehen! Nachts hängt sie an die Wand und ich kann ihr ankucken so lange ich will!“

„Will Hannes Dich denn auch heiraten?“ fragte ich.

„Er sagt sowas – ich glaub, er macht Witzens!“ erwiderte Marenz lachend. Dann schlug die Uhr vom Kirchturm und sie griff nach der Deichsel ihres kleinen Handwagens.

„Du liebe Zeit, da slägt es all vier und ich soll noch Brot nach zwei Dörfers bringen!“

Jürgen, dem ich unter dem Siegel der Verschwiegenheit diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_608.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)