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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Hier is ein ganzen Thaler!“ sagte er würdevoll. „Gut, daß Du Dir noch bedanken magst! Heutzutage kann man lange gehen und auf Dank warten; da freut es mir, wenn Du weißt, daß Du mich Dank schuldest! Wo bist Du in Dienst?“

Aber Marenz war so sprachlos über das ihr in die Hand geschobene Geld, daß sie alles Antworten Jürgen und mir überließ. Erst, nachdem Herr Dorning Abschied genommen hatte, wobei er ihr ein wenig die Wangen streichelte, fand sie die Worte wieder. „Was’n Mann!“ rief sie bewundernd. „O, was’n Mann! Mich gleich noch ein Thaler zu geben, wo ich doch nix for ihm that!“

Dann schlug sie die Hände zusammen.

„Kinners, nu kann ich Ostermontag zu Ball! Mit Johann Kühl! Zweimal hatt er mir all eingeladen und ich konnt nich, weil daß meine Schuhens kaput waren! Nu kann ich mich neue kaufen!“

„Geht Hannes denn auch auf den Ball?“ fragten wir und Marenz zuckte die Achseln.

„Das kann woll sein! Mich is das einerlei – is er abers da, denn tanz ich mit ihn Galopp!“

Sie wiegte ihren schlanken Körper hin und her, während sie sprach.

„Magst Du Johann Kühl oder Hannes am liebsten leiden?“ fragte Jürgen, und Marenz wurde rot.

„Ach Kinners, da versteht Ihr doch nix von!“ rief sie eilfertig.

„Hannes hat eine silberne Uhr!“ bemerkte ich.

„Und er tanzt Galopp!“ setzte Jürgen hinzu, der Hannes sehr gern leiden mochte. Aber Marenz lachte nur.

„Ostermontag geh ich zu Ball mit ein Paar neue Schuhens!“ rief sie fröhlich; dann verschwand sie in unserer Hausthür, während wir draußen blieben und „Bankthaler“ spielten. Denn der schwere Abschied, den Herr Dorning von seinem Bankthaler genommen, hatte uns mit Wonne erfüllt.

Es blieb wirklich einige Zeit gutes Wetter, was in unserem Klima eine Merkwürdigkeit ist. Wir trieben uns daher viel im Freien herum, suchten Veilchen, beobachteten Vogelnester und hatten so manches zu thun, daß wir nicht viel an Marenz denken konnten.

Wir sahen sie auch wenig. Nur einmal, als ich Zwieback bei Olten kaufte, stand sie hinter dem Ladentisch und bediente. Aber sie konnte nicht mit mir sprechen, weil Herr Dorning im Laden war, der eifrig auf sie einredete. Was er sagte, konnte ich nicht hören; es war mir auch einerlei, ich lief sehr bald wieder fort und dachte nicht mehr an Herrn Dorning. Später holte Jürgen einmal etwas im Oltenschen Laden. Da war Herr Dorning auch dort gewesen. Er hatte aber nicht mit Marenz, sondern mit Frau Olten gesprochen, die einen Knix nach dem andern gemacht hätte. Früher war Herr Dorning niemals bei Oltens gewesen, wenigstens hatten wir es nicht gesehen; aber wir machten aus, daß das Brot von Bäcker Olten ihm wohl gut schmecke.

Einmal, als wir an einem windigen Frühlingstage am Hafen waren, sahen wir Johann Kühl. Er stand ans Bollwerk gelehnt und sah mit ernsthaften Augen in die Ferne. Er sah stattlich aus in seinem blauen Seemannsanzug und wir begrüßten ihn freundlich.

„Kannst Du eigentlich so gut Galopp tanzen, wie Hannes?“ fragte ich ihn und er sah mich finster an.

„Nee!“ sagte er dann; „so gut wie Hannes kann ich nich tanzen! Abers darum –“ er stockte plötzlich und murmelte nach einer Weile ein Wort, das wie „verdammter Jung!“ klang.

„Magst Du Hannes Bergmann nicht leiden?“ fragten wir. „Marenz mag ihn sonst gern; sie sagt, er tanze so schön Galopp!“

„Denn kann sie ihn ja heiraten und mit ihn Galopp durchs Leben tanzen!“ lautete die höhnische Antwort.

Ich war überrascht. Erstens deswegen, weil ich Johann Kühl noch niemals so böse gesehen hatte, und dann, weil ich doch auch dachte, daß man sich im Ehestande mit etwas anderm als Galopptanzen beschäftigen könne.

„Sie darf auch Hannes seine Uhr aufziehen und nach ihr sehen!“ berichtete ich weiter.

„Nu kuck mal an!“ rief Johann. „Denn kriegt sie ja das reine Paradies auf Erden!“

Wir hatten Johann noch niemals so unterhaltend gefunden und wir beschlossen, noch etwas länger mit ihm zu sprechen. Daher setzten wir uns auf ein umgestürztes Boot, das in seiner Nähe lag, und fragten ihn nach allen möglichen Dingen. Er antwortete aber schlecht und sah dabei so mürrisch aus, daß wir uns sehr über ihn wunderten.

„Hast Du eigentlich Ostermontag getanzt?“ fragte Jürgen und Johann nickte.

„Ging es gut mit Marenz zu tanzen?“ fragten wir weiter und der junge Seemann blickte finster nach dem blauen Festlande in der Ferne.

„Ich bin hingeslagen mit sie!“ sagte er plötzlich. „Mitten in Saal – alle haben mir ausgelacht!“ setzte er nach einer Pause hinzu und seine sonst so verschleierten Augen blitzten zornig.

„Mit Marenz bist Du hingefallen? Hatte sie denn nicht die neuen Schuhe von Herrn Dorning an?“ fragte Jürgen, und Johann richtete sich ein wenig höher auf.

„Die neuen Schuhens von Herr Dorning? Is das der dicke alte Kerl, der da ümmer bei Oltens herumlungert? Und von den läßt sie sich was schenken? Is sie all so weit? Na – denn –“ er murmelte einige unverständliche Worte und ging mit langen Schritten davon. Auf diese Weise erfuhren wir gar nicht, wie Johann Kühl es gemacht hatte, mit Marenz hinzuschlagen, was, wie wir sehr gut wußten, ein Beweis davon war, daß er nicht tanzen konnte. Wir nahmen uns vor, Marenz nach den Einzelheiten dieser traurigen Begebenheit zu fragen, aber wir sahen sie lange nicht.

Und dann, es war wohl im Mai, – kam Heinrich sehr erregt aus der Schule.

„Denkt Euch, es passiert etwas Merkwürdiges! Herr Dorning will die braune Marenz heiraten! Sie hat noch nicht Ja gesagt, aber Christoph Olten sagte, seine Mutter würde sie schon dazu kriegen. Gestern hat Frau Olten sie bereits eingesperrt und sie hat nichts zu essen bekommen, weil sie Dorning keinen Kuß geben wollte. Heute soll sie hungern, wenn sie sich nicht verloben will!“

Das war wirklich eine Neuigkeit, und die Erwachsenen, regten sich mehr über sie auf als wir Kleinen. Mit fliegender Eile hatte sich das Gerücht von Herrn Dornings Werbung um Marenz in der ganzen Stadt verbreitet und der Bäckerladen wurde nicht leer von Leuten, die „Stuten“ und „Maulschellen“ kaufen und dabei sich die glückliche Braut ansehen wollten. Aber die war nirgends zu sehen und wer nach ihr fragte, der erhielt von Frau Olten die mürrische Antwort, Marenz sei ein dummes Ding und gar nicht wert, daß man nach ihr früge!

Wir Kinder sprachen eifrig über diese Geschichte und jeder hatte seine besonderen Ansichten darüber. Besonders darüber, ob man lieber hungern oder Herrn Dorning einen Kuß geben wollte.

Wir waren für das letztere – denn hungern mochten wir nicht, aber da wir auch Schularbeiten zu machen hatten, so konnten wir nicht immer über solche Sachen nachdenken. (Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüten.


Die Berliner Veteranenfeier auf dem Tempelhofer Felde. (Zu dem Bilde S. 621.) Die Kriegs-Erinnerungsfeier der Kriegervereins-Verbände von Berlin, welche am Vormittag des 19. August gegen 15 000 Veteranen auf dem Tempelhofer Felde festlich vereinte, hatte sich der Gunst herrlichen Wetters zu erfreuen. Die Aufstellung der meist in bürgerlichem Festanzug erschienenen Teilnehmer erfolgte in offenem Viereck, das von der reichgeschmückten Tribüne für den Sängerchor der Kriegervereine geschlossen ward, vor deren Mitte sich eine Kanzel und ein von Lorbeer umgebener Altar mit Kruzifix und Leuchtern erhob. Gegen 150 Fahnen gaben der Aufstellung ein festlich-kriegerisches Gepräge. Im Vordergrunde, in der Nähe der Kanzel, hatten die Vertreter der Geistlichkeit und eine größere Anzahl von Ehrengästen, zahlreiche höhere Offiziere, Vertreter des Staats und der Stadt Platz gefunden, auch der Großherzog von Baden, der in der Uniform eines Generalobersten der Kavallerie erschienen war. Der Kaiser, welcher Generalsuniform trug und von großer Suite begleitet war, erschien gegen zehn Uhr und nahm links vor der Kanzel Aufstellung.

Den kirchlichen Teil der Feier eröffnete der Sängerchor, vom Spiel der anwesenden Gardekapellen begleitet, mit dem Choral „Nun danket alle Gott“, welchem Ansprachen des protestantischen Militär-Oberpfarrers Wölfling und des katholischen Militär-Oberpfarrers Vollmar folgten. Während weiterer Gesangsvorträge von patriotischem Inhalt vollzog sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_627.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2023)