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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Sie is nich Frau Dorning?“ Der Südwester war Johann vom Kopf gefallen und sein blondes dichtes Haar wehte ihm ums Gesicht – er merkte es aber nicht.

„Marenz is nich verheiratet?“ wiederholte er noch einmal.

„Nein, sie ist nicht verheiratet, aber Christoph Olten sagt, sein Vater will sie haben!“

Johann sprang auf. „Nu slag ein Dunnerwetter ein – is der Mann ein Türke, daß er zwei Frauens haben kann? O – was’n Geschichte, was’n Geschichte!“

Wir erzählten dann von Frau Oltens Schlagfluß und von ihrem Tode. Auch davon, daß wir an Marenz vieles jetzt auszusetzen fanden.

„Sie ist gar nicht mehr nett!“ wiederholten wir alle drei, und Jürgen setzte hinzu: „Frau Olten hat sie so oft geschlagen und sie hat sie kein einziges Mal wiedergeschlagen! Ist das nicht dumm von ihr? Christoph Olten erzählte es mir und er sagte mir auch, daß Marenz trauriger gewesen wäre als er, wie seine Mutter starb. Ist das nicht sonderbar? Und lachen thut sie auch nicht mehr. Nein, ich kann sie nicht mehr nett finden!“

„Ich auch nicht!“ setzte ich hinzu und dann sprangen wir auf und liefen nach dem Wasser. In der Ferne kam nämlich ein Boot angeschwankt, und wir wollten doch gern sehen, wie unser Besuch ans Land kam. Johann lief plötzlich mit uns.

„Meinst, daß sie Olten nimmt!“ schrie er mir ins Ohr, denn der Wind erschwerte sowohl Sprechen wie Hören. Ich nickte, dann fiel mir etwas ein; als ich es aber Johann mitteilen wollte, war er ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Unser Gast kam an, und da er auf der Wasserreise naß geworden war und unbeschreibliche Angst dabei ausgestanden hatte, so schalt er uns auf der Rückfahrt so furchtbar aus, daß wir in einer etwas gedrückten Stimmung zu Hause anlangten. Wir hatten eigentlich gehofft, er würde uns etwas mitbringen – er aber schien so froh, sich selbst heil mitgebracht zu haben, daß wir ihm vollständig als Nebensache erschienen.

Im elterlichen Hause angelangt, wurde der Gast etwas milder, und obgleich er uns nichts mitgebracht hatte, so schenkte er uns einige Schillinge, damit wir ein Vergnügen haben sollten. Milo wurde mit diesem Kapital ausgeschickt, um kleine Pfeffernüsse zu holen, die es bei Bäcker Olten sehr gut gab. Wir wollten „Poch“ darum spielen.

Aber es dauerte sehr lange, ehe er wiederkam, und dann war er so aufgeregt, daß er zuerst gar nicht sprechen konnte. Als er sich etwas erholt hatte, fing er an unaufhaltsam zu reden.

„Haben wir nicht an Johann Kühl gesagt, daß Marenz gar nicht mehr nett wäre? Und glaubt Ihr, daß er darauf gehört hat? Wie ich in Oltens Laden komme –“ er holte tief Atem und seine Augen nahmen einen Ausdruck großen Entsetzens an – „ja, wie ich in den Laden komme, da sitzt Johann Kühl auf dem Ladentisch und Marenz ganz furchtbar dicht neben ihm. ,Für drei Schillinge Pfeffernüsse. Von den kleinsten, aber recht viele!‘ Das sag ich wohl dreimal – aber glaubt Ihr, daß Marenz mir zugehört hat? Sie hat den Kopf an Johanns Schulter gelegt und geweint. Was bedeutet das num? ,Für drei Schillinge kleine Pfeffernüsse, aber recht viel!‘ sag ich noch einmal! Und da hat Johann Marenz einen Kuß gegeben! Hatte ich davon etwas gesagt?“

„Wo sind die Pfeffernüsse?“ hieß es von allen Seiten und er brach in Thränen aus.

„Länger konnte ich das nicht mit ansehen – ich bin zu Bäcker Fritzen gelaufen; der hat mir welche gegeben, und die mußte ich doch einmal probieren, weil ich nicht wußte, ob Ihr die auch möchtet! Und da kam Otto Lawerentz und probierte auch und da – und da –“

Unter lautem Schluchzen wurde ihm ein zusammengeknülltes Stück Papier entwunden, in dem sich noch vier kleine Pfeffernüsse befanden. Die übrigen waren auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Daß Marenz an diesem Unfall schuld war, lag auf der Hand, nein, sie war gar nicht mehr nett!

Wir zürnten ihr eine ganz lange Zeit; aber leider machte sie sich gar nichts aus diesem Zorn, und als sie uns eines Tages erzählte, wie alles gekommen sei, wie Johann sie gefragt habe, ob sie wirklich den Bäcker Olten lieber heiraten wolle, da hörten wir ihr doch mit Spannung zu.

„Er is schon doll gewesen von wegen das Galopptanzen mit Hannes!“ erzählte sie. „und denn dachte er auch sonstens Böses von mich, wie die Männers nu einmal sind. Abers nu will er von sein büschen Geld ein klein Segeljacht kaufen und mir denn heiraten!“

„Kinners abers,“ setzte sie hinzu und sah dabei so vergnügt wie ehemals aus; „zu mein Hochzeit müßt Ihr kommen! Ich mein’, ich könnt nich lustig sein, wenn Ihr nich dabei seid, wo Ihr doch allens for mir gethan habt!“

Wir wußten nicht, daß wir etwas für sie gethan hätten, aber die Einladung nahmen wir mit vielem Vergnügen an.

„Was ziehst Du denn auf Deiner Hochzeit an, Marenz?“ fragte ich, und sie sah nachdenklich aus.

„Ich weiß das selbstens nich, Kind. Das alt braune geht nich mehr, und an die rosa Jack is auch nix mehr. Ich hab ja ein paar Thalers; bloß, daß ich mich ja auch ein büschen for die Wirtschaft anschaffen möcht. Mein Johann muß allens und allens bezahlen – liebe Zeit – ich bin ja nich for Geld, abers ein paar Thalers häbt ich ganzen gern! Na, mein Johann sagt, das is allens einerlei; da will ich mir auch nicht weiter quälen!“

Sie lief singend davon und wir mochten sie plötzlich wieder so gern leiden wie früher, denn wir hatten das Gefühl, etwas für sie sorgen zu müssen und wenn man für jemand sorgen muß, dann drückt dieser sich ganz allmählich in das Herz des Sorgenden hinein. Wir verschafften ihr auch allerlei nützliche Sachen für den Hausstand, auch für ein Traukleid sorgte meine Mutter, und Marenz freute sich über jede Kleinigkeit. Aber blutarm blieb sie darum doch, und die erwachsenen Leute, die immer so klug sind, sagten, es sei ein Unsinn, daß die beiden schon heiraten wollten.

Aber die Hochzeit ward doch bald, denn Bäcker Olten, der mit Marenz plötzlich sehr unzufrieden geworden war, wollte sie nicht mehr im Hause behalten und da mußte sie schon heiraten.

Es war ein Sonntag im November, als Johann Kühl und Marenz zum dritten- und letztenmal in der Kirche aufgeboten wurden. Sie wurden also von der „Kanzel geschmissen,“ wie die Leute es nannten, und sie saßen beide ganz verklärt vor Freude in ihrem Seemannsstuhl und hörten ihre Namen vor aller Welt nennen. Auch vor Herrn Dorning und Frau, die auf ihrem Honoratiorenplatz in der Kirche saßen und etwas verschlafen aussahen. Denn sie schliefen beide öfters, wenn auch nicht regelmäßig, in der Kirche, und die Leute sagten, sie langweilten sich miteinander, gerade wie Herr Dorning sich früher mit seiner ersten Gattin gelangweilt habe.

Nun war der Gottesdienst zu Ende und in dem Gedränge, das an der Thür entstand, kamen Jürgen und ich dicht hinter Dornings heraus. Wir wollten an ihnen vorübergehen aber Herr Dorning, den die scharfe Novemberluft wohl erfrischt hatte, rief uns plötzlich an:

„Nu, Kinners, wie geht das Euch? Auch ein büschen zur Kirche?“

Wir gaben ihm die Hand und auch Frau Dorning, die uns freundlich anlächelte. Sie zeigte dabei einen Muud voll schneeweißer Zähne und wir waren so überrascht von dieser Naturerscheinung, daß wir sie unverwandt anblickten.

„Sind Deine Zähne so schnell wieder gewachsen?“ fragte ich und Herr Dorning lachte laut auf.

„Nu kuck an! Was nich allens sehen kannst!“ rief er. „Ja – sind das nich feine Zähnens? Schenk ich mein Frau auch verträglich zu Weihnachten und kosten ein Berg Geld!“

„Nun hast Du gerade so schöne Zähne wie Marenz! Nicht wahr, Herr Dorning?“ sagte Jürgen und Herr Dorning murmelte einige Worte, die wir nicht verstanden.

„Was for’ne Marenz meint Ihr?“ griff jetzt Frau Dorning in die Unterhaltung ein. Wir gingen noch immer zusammen den langen Kirchsteig hinunter und da sie mich bei der Hand gefaßt hatte, konnte ich nicht fortgehen.

„Marenz ist die braune Marenz!“ sagte ich. „Wir kennen sie schon lange – Herr Dorning auch. Sie hat sein Geld wiedergefunden, viel Geld, und nachher wollte er sie heiraten – nicht wahr, Herr –“

„O, was’n Unsinn!“ rief Herr Dorning mit lautem Auflachen. „So – nu adjüs ok – grüß Vater vielmals – lauft man snell nach Hause!“

„Nee, nee!“ bemerkte Frau Dorning. Sie hielt mich ganz fest und nickte ihrem Manne ein wenig zu. „Laß mir man hören, was das for’n Geschiche war! Ich hab all die Glockens von so was läuten hören! Dein Swester hat mich auch was Aehnliches verzählt –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_663.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)