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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Gott, Dorette,“ unterbrach Herr Dorning sie, „was willst die alten Lügens hören! Und noch dazu aufn Sonntag, wo man doch den Herrgott wohlgefällig sein soll! Wir haben ja auch gar kein Zeit! Ich wollt mich ja noch Sweine kaufen –“

„Denn kauf Dich man Sweine, mein Detlef!“ bemerkte seine Frau ruhig. „Das is natürlicherweise uns’ Herrgott aufn Sonntag wohlgefälliger, as wenn ich mich mit’n unschuldigen Kind unterhalte. Ich geh hier ein büschen auf und nieder mit die Kleinens und Du kannst Dich ein Swein kaufen!“

„Du liebe Zeit, Dorette!“ sagte Herr Dorning noch einmal und sah uns wenig freundlich an. „Da is auch nix zu verzählen. Die Deern – Marenz heißt sie ja woll, hat mich mal ein paar Thalers wieder gebracht –“

„Achthundert Spezies!“ bemerkte Jürgen und Frau Dorning machte große Augen.

„Achthunnert Spezies? Da hast sie doch was Ordentliches für gegeben?“

„Nu, natürlich, Dorette –“

„Einen halben Bankthaler,“ erzählte Jürgen weiter, „und nachher noch einen ganzen, als Herr Dorning Marenz heiraten wollte!“

„Halt den Snabel!“ schrie der Hofbesitzer meinen Bruder an, seine Frau aber schob ihren Arm in den seinen.

„Sweig man ganzen still, mein Detlef,“ sagte sie gemütlich. „Meinst, daß ich vierzehn Tage auf die Insel gewesen bin und hab nix von das hübsche Mädchen gehört, das Dir nich wollte? Dein eigen Swester, die mir nich ausstehen kann, hat mich das snell genug beigebogen, wie Du das woll begreifen wirst. Ne, sie hat Dir nich gewollt, was Du auch dagegen sagen magst, und wie ich das hübsche Mädchen heute in Kirche sah, hab ich das auch begriffen. Denn wenn man jung is und hübsch, denn mag man keine alte und kahle Männers!“

„Du bist auch alt!“ murrte er.

„Ganz gewißlich!“ gab sie ruhig zurück. „Dafor paß ich auch besser for Dir und ich paß auch besser, weil ich Geld hab, – da mach ich mich gar nix aus, daß Du beinah die klein Deern genommen hättst – über sowas ärgere ich mir nich, wo das doch nich passiert is. Wo ich mir aber über ärgere, das is, daß Du Dich von so’n arme Deern hast was schenken lassen. Denn sie hat Dich was geschenkt – wo sie Dich die achthunnert Speziesthalers wiedergebrach hat und Du – –“

„Sie war bannig zufrieden,“ schrie Herr Dorning; „und Deine Sache is das nich –“

„So? das is nich meine Sache, wo ich Dein angetraute Frau bin und allens mit Dich tragen soll? Freud und Leid und Krankheit will ich for meinswegen gern mit Dich tragen; abers Spott und Hohngeschrei, das mag ich nich. Da bin ich nich bei hergekommen, mein klein Detlef, wo unser Familie woll an hundert Jahrens auf denselbigten Hof sitzt!“

„Was willst denn?“ fragte ‚klein Detlef‘ ein wenig kleinlaut, während seine Frau uns zunickte.

„Nu geht man nach Hause, mein Kinners. Ihr braucht mich nix mehr zu verzählen – was mein Detlef und ich zu snacken haben, da braucht Ihr auch nich beizustehen!“

Wir liefen erleichtert davon, und dennoch spielten wir lange Zeit nach dieser Unterredung ein Spiel, das „Dorette und Detlef“ hieß und das sehr hübsch war.

Vierzehn Tage später durften wir wirklich an dem Hochzeitsmahle von Johann Kühl und Marenz teilnehmen. Es fand in Schmidts Gasthof, einem nicht gerade sehr eleganten Hotel statt; aber da Herr Schmidt der Bruder von Johann Kühl seiner angeheirateten Cousine war, so that er es etwas billiger. Es war ein feierlicher Tag. Zuerst die Trauung in der Kirche, wo Marenz so weinte, daß sie uns beinahe ansteckte, und dann das Mittagessen, an dem außer uns noch einige Gäste, z. B. Hannes Bergmann und Christoph Olten teilnahmen. Johann hatte Hannes eigentlich nicht einladen wollen, er war noch immer böse, daß der besser Galopp tanzte als er. Aber Hannes hatte sich selbsl eingeladen, und da er ein Gedeck mit sechs Servietten und ein Pfund Tabak schenkte, durfte er auch nicht übergangen werden. Christoph Olten schenkte einen ziemlich großen Sack mit Mehl und vier Schwarzbrote. Es ging bei uns das Gerücht, er habe beides seinem Vater gestohlen; dies war aber nicht wahr. Vater Olten wußte von dem Geschenk Bescheid und hatte auch nichts dagegen, weil Christoph sonst so schrecklich weinen würde, wie er Bekannten gegenüber erklärte.

Das Essen war wunderschön. Zuerst gab es Weinsuppe mit Rosinen darin, dann Gänsebraten und dann Reispudding. Bei der Weinsuppe wurde ich leider krank, und Milo beim Gänsebraten, Jürgen aber arbeitete sich tapfer durch alles hindurch und sagte, es hätte ihm niemals so gut geschmeckt. Auch gefiel es ihm so, daß man von allem wenigsteus drei Portionen essen mußte. An der dritten Portion Weinsuppe hatte nämlich mein Magen Schiffbruch gelitten. Aber zum Reispudding kam ich wieder und das war mein Glück, denn nun fing die Fröhlichkeit erst an. Bis dahin hatten alle Gäste ganz still gesessen und nur unglaublich viel gegessen. Auch das Brautpaar war still und beklommen und Marenz hatte noch gar nicht gelächelt. Aber bei dem Reispudding kam der Wein, „echten alten Boddoh“, wie Herr Schmidt sagte, und Hannes fing an, einige Witze zu machen.

Plötzlich öffnete sich die Thür und Frau Dorning trat ein. Wir sahen sie alle sehr erstaunt an, sie aber nickte uns zu mit der schönen Unbefangenheit, die der Besitz von vielen Speziesthalern geben soll.

„Kuck mal an,“ sagte sie ruhig, „was’n vergnügte Gesellschaft! Ich will auch nicht lang stören!“

Dann ging sie auf Marenz zu, die sich errötend erhoben hatte und nun ihren kleinen einfachen Brautschleier aus dem Gesicht schob.

„Nu, mein Deern,“ sagte die reiche Frau; „ich hab gehört, Du hättst Hochzeit und ich bin gekommen, Dich zu gratulieren. Kennen thue ich Dir ja nich, abers gehört hab ich von Dich und gesehen hab ich Dir auch!“

Sie sah einen Augenblick freundlich in das hübsche Gesicht der jungen Braut und fuhr dann fort:

„Herr Dorning hat mich verzählt, was Du forn ehrliche Deern bist und daß Du sein Geld so schön wiedergebracht hast. Er wollt Dich schon ümmer was schenken; bloß, daß er so viel mit sein Wirtschaft zu thun hatt. Wo er abers hörte, daß Du heiraten wolltst, hat er mich kein Ruh mehr gelassen, daß ich Dich unser Geschenk bringen sollt. Gotts Seegen, klein Deern, sei man ümwer brav und ümmer so gut, wie Du gewesen bist, denn wird uns’ Herrgott Dir auch beschützen!“

Frau Dorning setzte einen kleinen Beutel vor Marenz hin, klopfte sie auf die Schulter und war dann wieder verschwunden.

„Was’n Frau!“ sagte Hannes Bergmann bewundernd. „Bei die möcht ich woll in Dienst sein!“

Mit diesen Worten war das Schweigen gebrochen, das bis dahin über der Gesellschaft gelegen hatte. Der Beutel wurde geöffnet, und als sich in demselben hundertundfünfzig harte Bankthaler besaudeu, da tanzte Marenz ganz allein Galopp durch den Saal. Ihr Mann aber ließ Herrn Dorning hoch leben und alle sagten, solchen Mann gäbe es gar nicht mehr auf der Insel.

Leider wurden wir in diesem Augenblicke geholt und ich kann daher das Ende des Festes nicht beschreiben. Schön muß es aber gewesen sein, denn Marenz sagte später immer: „Kinners, Kinners, so’n Hochzeit as ich, so’n Hochzeit hat gewiß der König in sein Sloß nich gehab – o – was war es prachvoll! Und mein Johann hat mit mich getanzt, und is bloß einmal hingefallen. Abers geärgert hat er sich ganzen und gar nich! Nee – ich wollt man bloß, daß alle Leutens so’n Hochzeit hätten wie die braune Marenz!“

Die braune Marenz ist wirklich so glücklich geworden, wie man es in diesem unvollkommenen Leben werden kann, und unsere Freundin ist sie auch geblieben, so lange wie wir auf der Insel waren. Das will viel sagen, denn gewöhnlich verändern sich die Leute, wenn sie heiraten, und werden „eklig“, wie Jürgen sagt. Aber Marenz blieb wie sie immer gewesen war, und deshalb schätzten wir sie sehr hoch.

Herrn und Frau Dorning haben wir auch noch oft wieder gesehen. Die letztere war immer nett und freundlich gegen uns, Herr Dorning aber sah uns gewöhnlich nicht, wenn wir ihm begegneten. Manchmal wunderten wir uns über seine Gleichgültigkeit, wo er doch früher freundlich gegen uns war; im allgemeinen aber trösteten wir uns mit der Bemerkung, daß es verschiedene Menschen auf der Welt geben müsse, sonst würde sie zu langweilig. Nette Menschen wie die braune Marenz und weniger nette wie Herr Dorning. Letzterem gönnten wir alles Gute; aber daß wir die braune Marenz lieber leiden mochten, wird uns gewiß niemand übelnehmen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_664.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2023)