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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

entweder aus mitgeführtem und vorbereitetem Material (Ponton- und Bockbrücken), oder wissen geschickt Feld- und sogenannte Behelfsbrücken aus an Ort und Stelle vorgefundenen Brettern, Balken, Stangen, Fässern etc. herzustellen. Die Pontoniere bilden in den meisten Heeren besondere Truppenteile, während sie in Deutschland den Pionierbataillonen eingefügt sind. Alljährlich finden größere Pontonierübungen an einem der deutschen Ströme statt, so z. B. in diesem Herbste auf dem Rhein zwischen Bonn und Plittersdorf; außerdem aber hält jedes Bataillon seine Uebungen ab, die hohe Anforderungen an jeden einzelnen stellen, um der gesamten Truppe die für den Kriegsbrückenbau erforderliche Geschicklichkeit und Rührigkeit zu geben. Neben solchen stark „schlauchenden“ Uebungen giebt es immer aber auch solche, die – obwohl den Endzweck aller Friedensmanöver nicht ganz beiseite lassend – dennoch mehr unterhaltender Art sind und dem soldatischen Humor und der frohen Laune der Mannschaften hinreichenden Spielraum zur Entfaltung geben. Eine solche stellt unser Bild auf S. 665 dar: ein Wettfahren von Gardepionieren auf sclbstverfertigten Fahrzeugen, das bei den diesjährigen Uebungen auf der Oder bei Schwedt veranstaltet wurde. Den Mannschaften waren zwanzig Minuten Zeit gegeben, worin jeder für sich aus den vorhandenen Materialien (Tonnen, Brettern, Latten etc.) ein Boot zu fertigen hatte. Auf Kommando wurden dann alle diese Fahrzeuge, die zum Teil von recht abenteuerlicher Gestalt waren, in das Wasser gebracht und mit ihnen ein Wettfahren nach dem vorher festgesetzten Ziele begonnen. Die Mehrzahl der Fahrzeuge bestand aus in Balken eingebauten Tonnen, die sich als vorzüglich tragfähig erwiesen. Andere Pioniere benutzten ein mit einem Zeltdach aus Segeltuch überzogenes Lattengestell als Kahn oder trieben ein schnell zusammengebundenes Floß vor sich her. Dort hat einer ein prächtig schwimmendes großes Waschfaß aufgetrieben; jener begnügt sich sogar mit einem durchgesägten Baumstamm, weil sein Fahrzeug nicht rechtzeitig fertig wurde. Es kam vor, daß verschiedene dieser „elenden Werkzeuge“ um mit Maria Stuart in dem großen Monolog des 3. Aktes zu reden – sich bei dem raschen Rudern wieder in ihre Einzelbestandteile auflösten, so daß die Insassen ins Wasser fielen und hinterher schwimmen mußten. Erhöht wurde der allgemeine Eifer durch die vom Bataillon ausgesetzten Preise. Die nicht mitrudernden Pioniere liefen am Ufer nebenher und suchten ihre Compagniekameraden durch Zurufe und Gebärden anzufeuern; das Offizierscorps hatte sich am Ziele auf Pontons aufgestellt. Nach der Entscheiduug und Preisverteilung erhielt der Erbauer des originellsten Fahrzeuges noch einen besonderen Ermunterungspreis. Zu erwähnen ist noch, daß die Wettkämpfer sich auch ihre Ruder selbst hatten herstellen müssen, so daß also die ganze Veranstaltung nicht bloß als heiteres Zwischenspiel Abwechslung in den Ernst der Uebungen bringen, sondern zugleich auch die Findigkeit anregen und das technische Geschick des einzelnen herausfordern sollte. F. R.     

Neue Bekanntschaft. (Zu dem Bilde S. 649.) Fünfjährige Menschenkinder pflegen im allgemeinen klüger zu sein als einmonatige Hundekinder. Aber wenn die beiden da sich einbilden, dem gutmütigen dicken Gesellen und Spielfreund diesen rotlackierten Vierfüßler für ein Pferd aufbinden zu können, so haben sie seinen durch vierwöchentlichen Anschauungsunterricht ausgebildeten Hofverstand doch bedeutend unterschätzt. Erstaunt und mißtrauisch beobachten seine trüben Aeuglein die vergeblichen Aufmunterungsbewegungen dieses Geschöpfes, und um die schweigsame Schnauze schwebt unverkennbar die Bemerkung: „Lieber Himmel, was sich die Menschen doch alles weismachen lassen! Das halten die für ein Pferd!“ … Hier ist also unstreitig das Hundekind der klügere Teil. – Ob der Maler, der Kinder und Hunde so köstlich darzustellen versteht, die kleine Scene vom Hofwinkel aus belauschte? Meinen sollte man’s, denn die Charakteristik der drei kleinen Kameraden ist ihm vortrefflich gelungen! Br.     

Die Gesellschaft „Prunklosta“. In einer großen Hauptstadt unseres Deutschen Reiches lebt ein Freundeskreis von Gelehrten, Künstlern, Offizieren, Beamten und Privatleuten, welcher sich durch eine ganz eigentümliche Art von Mut von den übrigen Gebildeten unterscheidet. Nicht um den Mut ihrer Meinung handelt es sich – den haben ja, Gott sei Dank, noch genug Hauptstädter, sondern um den Mut, der vielbeklagten und nie abgestellten Gesellschaftsüppigkeit kurzer Hand den Garaus zu machen. Wie schwer lastet der unsinnige Zwang der „standesgemäßen Bewirtung“ auf vielen sorgenvollen Familienvätern, mit welch unwürdigen und traurigen Opfern müssen die feinen Braten und teueren Weine der jährlichen „großen Gesellschaft“ hinterher aufgewogen werden! Aber „der einzelne kann sich nicht ausschließen!“ heißt es regelmäßig, wenn diese Frage erwogen wird, „es liegt einmal so in den Zeitverhältnissen, die alte Einfachheit läßt sich nicht mehr wiederherstellen.“ So sprechen die Mutlosen, die Herzhaften aber sagen: „Warum nicht? Es kommt auf eine Probe an.“ Und diese Probe ist in dem besagten Kreise glänzend ausgefallen, er genießt heute als Gesellschaft „Prunklosia“ eines wohlverdienten Ansehens, denn seine Zusammenkünfte zeichnen sich durch vortreffliche Unterhaltung aus, obschon oder weil die Bewirtung nicht die Hauptsache ist. Suppe, Braten und Gemüse, hinterher eine süße Speise, also was jede der Familien an ihrem eigenen Tisch genießt, machen den durch Gesellschaftsbeschluß festgesetzten Küchenzettel aus und alle vierzehn Tage sieht ein anderes Familienzimmer zu Mittag den fröhlichen Kreis, der es seinen Hausfrauen so leicht macht, Gäste zu bewirten. Möchten doch an recht vielen Orten im Deutschen Reich Zweigvereine dieser wohlthätigen Gesellschaft entstehen und ein entsprechend einfaches Programm auch für Abendgesellschaften ausarbeiten. Wer nicht den Mut besitzt, aus eigenem Antrieb bei seinen Freunden dafür zu werben, der berufe sich auf die „Gartenlaube“! Sie hat schon manche gute Neuerung vertreten und empfiehlt diese hier aufs wärmste der deutschen Familie! Bn.     

Otto der Schütz. (Zu dem Bilde S. 661.) Eine der liebenswürdigsten Dichtungen, welche die rheinische Sagenwelt der deutschen Litteratur erblühen ließ, Gottfried Kinkels „Otto der Schütz“, darf in Kürze als Buch ihr fünfzigjähriges Jubiläum feiern. Wie oft auch in diesem Zeitraum der Geschmack des Tags sich gewandelt hat, der herzerfrischende Sang vom Niederrhein hat inzwischen nichts an Wirkungskraft und Beliebtheit eingebüßt, und der Cottasche Verlag kann heute der 74. Auflage des Vorjahrs die 75. Auflage folgen lassen. Der ewigfrische Wellenschlag unseres herrlichen Rheinstroms hallt wieder in den melodischen Rhythmen des anmutigen Epos; die romantische Stimmung, welche der Anblick der alten Burgen seiner Ufer weckt, hat in ihm reizvolle Gestalt und kraftvolles Leben gewonnen. So hat das Lied vom Meisterschuß des jungen Thüringer Landgrafensohns, der auf der Flucht vorm Kloster ungekannt nach Cleve zum Grafen Dietrich kommt und dort die Liebe von dessen holder Tochter Elsbeth gewinnt, sich auch als ein Meisterschuß des Dichters bewährt. Gottfried Kinkel schrieb das Gedicht in hochgestimmter Jugendzeit und das frohe Kraftgefühl, das ihn damals beseelte, fand darin seine Spiegelung. Deshalb gab er auch dem Buche zum Schluß das energische Motto: „Sein Schicksal schafft sich selbst der Mann“, ohne zu ahnen, in welchem Umfange er kurze Zeit später als begeisterter Patriot und Freiheitskämpfer für diesen Grundsatz werde eintreten müssen.

Unser Bild vergegenwärtigt den Augenblick, wo der jugendschöne Fremdling aus dem Thüringer Land die Armbrust zum Meisterschuß ansetzt. Das Wort des Grafen hat jedem Schützen das Recht zuerkannt, sich beim Feste um den von ihm gestifteten goldnen Becher und den Ehrenkranz in seiner Tochter Hand zu bewerben. Alle Anwesenden, vor allem der Graf und schön Elsbeth, sind mit Spannung auf den Ausgang erfüllt; alle zweifeln, daß ein so junges Blut den Schuß ins Schwarze, den der vielbewährte Förster Hugo gethan, noch übertrumpfen könne. Doch Otto setzt die Armbrust an –

„Er drückt – der Bügel mächtig klingt,
Lautschwirrend sich die Sehne schwingt,
Es saust der Bolz – er hat getroffen!“

Und besser noch als der des Försters! Die Ehre des Tags ist sein und sein der Kranz, den ihm nun das liebliche Grafenkind aufs Haupt setzt, während sein Auge dem ihren zum erstenmal begegnet. Der Blick, der ihn trifft, besiegelt sein Schicksal, das nach Ueberwindung von mancherlei Fährlichkeit ihn zum glücklichen Gatten der schönen Tochter des Rheinlands macht. Es ist dem Maler unseres Bildes gelungen, den zarten poetischen Duft, der über der Scene schwebt, auch seiner Darstellung zu verleihen.


Inhalt: Sturm im Wasserglase. Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Von Stefanie Keyser (5. Fortsetzung). S. 649. – Neue Bekanntschaft. Bild. S. 649. – Madonna di Campiglio. Von Heinrich Noé. S. 654. Mit Abbildungen S. 652 und 653, 655, 656 und 657. – Eildampfer der Zukunft. Von W. Berdrow. S. 658. – Die braune Marenz. Erzählung von Charlotte Niese (Schluß). S. 660. – Otto der Schütz. Bild. S. 661. – Wettfahren von Pionieren in selbstgefertigten Fahrzeugen. Bild. S. 665. – Vor der Berufswahl. Warnungen und Ratschläge für unsere Großen. Die „Stütze der Hausfrau“. Von R. Artaria. S. 666. – Blätter und Blüten: Bitte um Fahrstühle. S. 667. – Das Simson-Wappen der Universität Helmstädt. Mit Abbildung. S. 667. – Wettfahren von Gardepionieren in selbstgefertigten Fahrzeugen. S. 667. (Zu demm Bilde S. 665.) – Neue Bekanntschaft. S. 668. (Zu dem Bilde S. 649.) – Die Gesellschaft „Prunklosia“. S. 668. – Otto der Schütz. S. 668. (Zu dem Bilde S. 661.)


Soeben ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:
Gartenlaube-Kalender 1896.
Elfter Jahrgang. 0 Mit zahlreichen Illustrationen.
Preis in elegantem Ganzleinenband 1 Mark.

Der „Gartenlaube-Kalender“ für das Jahr 1896 bringt u. a. die neueste Erzählung von W. Heimburg: „Großmutters Whistkränzchen“ mit Illustrationen von Fritz Bergen, ansprechende und humorvolle Erzählungen von E. Lenbach und A. v. Freydorf, unterhaltende und belehrende Beiträge von E. Peschkau, Dr. H. Diez, L. Holle u. a., ferner zahlreiche Illustrationen von hervorragenden Künstlern, Humoristisches in Wort und Bild und viele praktische und wertvolle Kalender-Notizen und Tabellen zum Nachschlagen bei Fragen des täglichen Lebens.

Bestellungen auf den Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1896 nimmt die Buchhandlung entgegen, welche die „Gartenlaube“ liefert. Post-Abonnenten können den Kalender durch jede Buchhandlung beziehen oder gegen Einsendung von 1 Mark und 20 Pfennig (für Porto) in Briefmarken direkt franko von der

Verlagshandlung: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_668.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2024)