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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Ruhland bei uns in Leopoldsburg nie getroffen habe, nicht einmal in Ihrem Hause, dem sie so nahe steht, offenbar näher noch als ich. Soll ich auf den Verdacht kommen, daß Sie Fräulein Ruhland immer mit der ‚zweiten Garnitur‘ einladen?“

Hortense blieb einen Augenblick stehen und lachte.

„Ihr Selbstbewußtsein ist naiv. Auf den Gedanken kommen Sie gar nicht, daß ich Sie ……“

Er fiel ihr in die Rede.

„Da ich immer so ziemlich die ‚Spitzen‘ unserer Residenz bei Ihnen treffe, kann ich nicht auf den Gedanken kommen.“

„Es giebt überhaupt keine ‚zweite Garnitur‘ für mich. Aber da mein Kreis so groß ist, daß ich niemals alle Bekannten bei mir sehen kann, habe ich sie eingeteilt in Serie 1a und 1b; bestimmend war die Rücksicht auf die vorhandenen oder muthmaßlichen Interessen meiner Freunde. Und da die alte Excellenz Ruhland nicht Musik liebt, lud ich sie zu den mehr wissenschaftlich gefärbten Abenden. Dies ist geblieben für Magda allein, auch nachdem die Excellenz nicht mehr fähig war, auszugehen.“

Sie schritten auf der Straße dahin, die den Thalwindungen folgte und langsam stieg. Wie Coulissen schoben sich die Felsabhänge von rechts und links in das Thal, das sich hochwärts in einer öden Wildnis verlor. Von dort kam ein weißschäumendes Bergwasser, das sich im steinigen Bett neben der Straße quirlend thalwärts stürzte. An den Hängen klebten neben den braunen Holzhütten der Dorfbewohner hier und da weiße Villen. Der kümmerliche Hirtenort hatte seit einigen Jahren begonnen sich in eine Sommerfrische umzuwandeln. Durch den Tannenwald, der den Fuß der Felsen umkleidete, zogen sich gute, neu angelegte Spazierwege. Da auf diesen indes immer ein Steigen und Absteigen nötig war, pflegte Frau von Eschen mit einer erstaunlichen Unermüdlichkeit nur die Hauptstraße zu benutzen.

„Die alte Excellenz; Ihr Ton wird immer beinahe scharf, wenn Sie seiner erwähnen. Es ist die Last, an der Magdas junges Leben trägt,“ sagte er fragend.

Sie war eine schnell denkende und feinfühlende Frau. Sie verstand, daß René über Magdas Verhältnisse genau unterrichtet zu sein wünschte. Vielleicht hatte er noch kein entscheidendes Wort gesprochen und vielleicht war es noch Zeit, ihn davon zurückzuhalten. Denn Hortense von Eschen hielt dafür: besser ein kurzer, großer Schmerz, als ein langes unentschiedenes Hoffen. An dem ersteren kann ein kraftvoller Mensch sich entwickeln und zu freierer Höhe gelangen – an dem zweiten versiegt der Lebensmut. Sie kannte das.

„Eine Last, die Magda sich nie eingesteht, die man ihr nicht tragen helfen kann, von welcher nur der Tod des Alten sie befreien wird. Er war ein Pedant, ein Philister, ein Nörgler und Streber sein Leben lang. Er hat seine Carriere sozusagen ausgetüftelt. In dem ganzen Mann gab es keinen genialen Zug. Er machte auch in früheren Jahren immer den Eindruck wie eine keifende alte Frau. Und sein Weib hat er gequält! Wie es geschah, daß sie ihn einst überhaupt nahm? Was weiß ich. Die Natur hat so ihre Schliche. Werbende Männer und liebende Frauen umgoldet sie zuweilen mit einem gewissen Zauber. Nachher, wenn der Zweck erfüllt ist, der Mann die Gefährtin, das Weib den Gatten fand, fällt der Zauber ab wie Schaumgold. Magdas Mutter war meine Freundin gewesen, sie müßte gerade wie ich jetzt ihre Neunundvierzig oder Fünfzig haben. Aber so recht ausgesprochen hat sie sich nie, trotz der Freundschaft. Als Ruhland das „Große“ erreicht hatte, als er Minister unsres Herzogs wurde und nach Leopoldsburg zog, war seine Frau schon eine Sterbende. Mir kam es manchmal so vor, als ob sie sich über die Kleinlichkeiten ihres Gatten zu Tode geschämt hätte. Und er fing wenige Jahre nachher an, leidend zu werden – da!“

Sie deutete auf ihren Kopf und fuhr fort.

„So ein Gehirn, durch das nie der frische Sturmwind eines großen Gedankens braust, muß ja auch am Ende vertrocknen. Ich war um jene Zeit schon längst im Winter immer in Leopoldsburg, denn meinen Mann, wie Sie wissen, habe ich schon vor zwanzig Jahren verloren und mein alter Schwiegerpapa verlangte, gottlob, nur im Sommer meine Gegenwart in der Eschenhöhener Einöde. Wenn man sich das so vorstellt – nun erst, infolge seines Todes, kann ich einmal ein bißchen in die Welt hinaus, wenn sie grünt und blüht! Und auch für Magda freut mich’s. Sonst war Eschenhöhe ihre einzige Sommerlust. Wenn ich sie nicht immer zwänge, vier Wochen mit mir zu gehen, käme sie nie heraus. Und nur von der Erkenntnis aus, daß sie nachher ihre Pflegerpflicht frischer erfüllt, läßt sie sich zwingen.“

„Kein Wunder, daß sie so ernst ist,“ sprach René. „Ich habe Excellenz Ruhland nur einmal kurz gesehen – als ich nach Leopoldsburg kam, war er noch im Amt. Aber ich darf sagen, ich hatte genug an dem einen Mal.“

„Ja, wäre Ruhland ganz um den Verstand! Aber er hat gerade noch genug, von seinem Lehnstuhl aus, in welchem er gelähmt sitzt, sein Kind zu plagen. Da er in der Ehe nicht eine besondere Quelle des Glücks gefunden, malt er ihr eine Heirat als ein Schrecknis aus, wobei vielleicht auch der heimliche Furchtgedanke mitspielt, daß er seine Pflegerin verlieren könnte. Obenein sind die Verhältnisse karg – die Pension eines Ministers in unserem Herzogtum! Das können Sie sich vorstellen! Magda verdient ein bißchen dazu mit ihrer Malerei. Armes Kind!“

In René Flemmings Gesicht stieg eine starke Röte. Eine lebhafte Bewegung ging über seine Züge. Er wollte etwas sagen. Sie ergriff seinen Arm.

„Halt,“ sagte sie, „ich weiß, was nun kommen soll: daß es für einen Mann, der liebt, eine herrliche Aufgabe ist, einem Wesen wie Magda Sonnenschein ins Leben zu bringen, daß es für einen Mann, der liebt, eine Wonne ist, sie aus der verborgenen Dürftigkeit in den Glanz der Freude und des Genießens zu bringen. Lieber René, die noblen Aufwallungen zieren den Menschen. Sie haben deren alle Zeit reichlich und ich bin sicher, daß Sie sogar Ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn es gilt, irgend ein anderes zu retten. Aber ob Sie jeden Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr, endlos die kleinlichen Freudlosigkeiten, den Zwang der Sorge ertragen können – das wag’ ich nicht sogleich zu bejahen.“

„Sie trauen mir wenig zu,“ sagte er mit unsicherer Stimme.

„Das Höchste!“ rief sie, „auf dem Gebiet, auf welches Sie von der Natur verwiesen sind. Daß dies nicht das Gebiet der stillen bürgerlichen Tugenden ist, wissen wir ja.“

Sie atmete ein wenig schwer. Man war doch sacht und stetig gestiegen.

„Und wenn ich es dennoch wagte, mich zu binden?“ fragte er.

Sie setzte sich auf die Bank, die am Wege stand. Er blieb vor ihr stehen.

Hortense von Eschen besann sich ein Weilchen, sie wollte nicht ganz geradeaus sagen, was sie dachte. Sie fühlte genau, was in René vorging. Heftig angezogen von Magda, dem vollkommenen Gegenspiel seines Wesens, schien es ihm unmöglich, seine Macht über ihr Herz unerprobt zu lassen, nicht von ihren Lippen ein Liebesgeständnis flüstern zu hören. Sein Temperament, seine herrische Beanlagung, vielleicht auch ein wenig künstlerische Neugier, die sich unbewußt getrieben fühlt, Seelen zu ergründen – dies alles riß ihn fort. Und doch hörte er daneben in seinem Innern die warnende Stimme des Verstandes und der Redlichkeit, die ihm zuraunte: wird dieser Bund nicht zur Kette werden? meinst du es auch ganz treu mit mir? wird sie dir fortan die Einziggeliebte sein?

Hortense sah wohl und wußte wohl, daß dem Willen eines Mannes in solchen Dingen nicht direkt entgegen zu arbeiten ist. Sie beschloß, bei Magda entsprechende Vorstellungen zu machen. Ehe sie noch dies aussprach, denn heimlich etwas zu thun, war ihr unmöglich – sagte René plötzlich: „Das entscheidende Wort ist gestern schon gefallen. Ich habe nicht gesagt: ‚Magda, willst Du mein Weib werden‘. Aber wir haben begriffen, daß wir uns lieben.“

„Was zwischen Ihnen und Magda so viel wie eine heimliche Verlobung bedeutet,“ setzte Hortense mit ergebenem Kopfnicken hinzu.

Er setzte sich neben die Freundin und beugte sich vertraulich zu ihr.

„Was ich für Magda fühle, glaube ich noch nie empfunden zu haben …“

„Das glaubt man bei jeder neuen Liebe,“ unterbrach sie ihn.

„Ich sehe mit Erstaunen, einer Offenbarung gleich, daß ich von einem Gefühl grenzenloser Achtung, Verehrung, Anbetung zu diesem Wesen voll Reinheit und stiller Größe gezogen werde,“ sagte er mit einer Stimme, die von Leidenschaft bebte. „Und dennoch – selbst in dieser Stunde voll Glück und Erhebung, schreckt mich die Fessel. Deuten Sie mir das.“

Sie lächelte.

„Männer kann man nicht verstehen. Man kann sie nur aus dem Gefühl begreifen. Gebe Gott, daß Magda begreift, daß eine

letzte, innerste Freiheit Ihr unantastbares Gut bleiben muß. Daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_671.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)