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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

unentschieden lassen und erklären, daß die betreffenden Haare sowohl vom Menschen wie von einem Tiere herstammen können.

Ist es nun gelungen, festzustellen, daß die zur Untersuchung abgegebenen Haare menschliche sind, so fragt man den Gerichtsarzt weiter, von welcher Körperstelle dieselben kommen, ob man Haupt-, Barthaare u. dergl. vor sich hat.

Fig. 2.

Spitzen von Frauenhaar.
70mal vergrößert.

In dieser Hinsicht ist die Untersuchung nicht mehr so leicht. Wir wissen zwar, daß die Haare auf verschiedenen Körperstellen verschieden stark sind; die größte Dicke besitzen Barthaare; denn bei ihnen kann der Durchmesser 0,15 mm erreichen, während weibliche Haupthaare die dünnsten sind und einen Durchmesser von nur 0,06 mm haben können. Es ist aber bekannt, daß einzelne Menschen besonders grobes, andere wieder sehr feines Haar haben, und so kann man auf die Messung der Dicke allein kein sicheres Urteil begründen. Man muß noch andere Merkmale in Betracht ziehen. Man achtet auf das Haarende. Dieses läuft bei normalem Haar in eine Spitze aus. Da aber das Haar vielfach der Reibung durch Kleidung, Druck und Stoß ausgesetzt ist, so wird die Spitze oft zerstört, und alsdann sieht das Haarende mehr oder weniger zerfasert, wie ein Pinsel aus. So sind oft die Spitzen von Frauenhaaren beschaffen (vergl. Fig. 2). Haare, die regelmäßig verschnitten werden, zeigen an ihrem Ende eine mehr oder weniger glatte, mit nur geringen Zacken versehene Schnittfläche. Auf Grund aller solcher Merkmale kann man schließlich wenigstens mit annähernder Bestimmtheit angeben, von welcher Körperstelle die betreffenden Haare stammen. In dieser Hinsicht kann auch bei vergleichenden Untersuchungen der Querschnitt des Haarschaftes verwendet werden. Wenn wir das Haar mit bloßem Auge betrachten, so erscheint es uns drehrund wie ein Draht. Das ist aber in Wirklichkeit nicht immer der Fall, oft sind die Haare, namentlich die vom Barte, kantig. Die Abbildung Fig. 3 führt uns eine Anzahl solcher Querschnitte von Haaren in starker Vergrößerung vor.

Wiederholt sollten Gerichtsärzte erklären, ob Haare, die man ihnen vorlegte, ausgefallen oder ausgerissen waren. Anlaß dazu geben Klagen wegen Raufereien, namentlich unter Weibern, die sich leicht bei den Haaren zu fassen pflegen. Die Entscheidung ist hier durch die Beobachtung der Haarwurzel möglich, da die Wurzel eines Haares, das mit Gewalt ausgerissen wurde, in der Regel anders aussieht als die des Haares, das seinen Lebenslauf beendet hat und von selbst ausgefallen ist.

Daß Mädchen aus Rache oder anderer Niedertracht unversehens Zöpfe abgeschnitten wurden, ist schon oft vorgekommen. Manchmal war es nötig, um den Thäter zu überführen, auch festzustellen, mit was für einem Instrumente, Schere, stumpfem oder scharfem Messer, der Zopf abgeschnitten wurde. Dies gab Anlaß zu Versuchen über Durchschneiden von Zöpfen mit einem gewöhnlichen Taschenmesser, einer gut schneidenden Schere und einem haarscharf geschliffenen chirurgischen Messer.

Mit dem Taschenmesser konnte der Zopf nur mit Mühe, bei starker Anspannung und wiederholtem Hinundhersägen losgetrennt werden. Die Haarenden zeigten bei mikroskopischer Untersuchung einen hohen Grad der Splitterung. Mit einer gewöhnlichen gut schneidenden Schere, wie sie sich im Nähtische der Frauen findet, konnte weder der ganze Zopf, noch eine einzelne Flechte auf einen Schnitt durchtrennt werden, sondern dies war nur schichtenweise durch eine größere Zahl einzelner Scherenschnitte möglich; die so gewonnenen Schnittenden der Haare boten durchaus nicht die scharf konturierte Trennungsfläche, wie man sie bei einem einzelnen mit der Schere durchtrennten Haare wahrnimmt, sondern es war eine deutliche Zähnung der Schnittlinien zu bemerken. Mit einem haarscharf geschliffenen chirurgischen Messer war es dagegen möglich, mit einem einzigen Zuge die stark angespannten sämtlichen Flechten des Zopfes zu durchtrennen. Die Schnittflächen der Haare waren glatt und ließen selbst bei 300facher Vergrößerung nur eine sehr feine Zähnung bemerken.

Die Färbung der Haare kann gleichfalls den Gegenstand gerichtsärztlicher Untersuchung bilden, da Verbrecher oft ihre Haare färben, um ihre Wiedererkennung zu erschweren. Ein gefärbtes Haar läßt sich unter dem Mikroskop von dem natürlichen unterscheiden. Interessant war früher die Frage, ob man dunkle Haare hell färben kann. Der Gerichtsarzt Orfila bewies zuerst, daß man dies durch Behandlung des Haares mit Chlorwasser erreichen kann. Dieses Bleichen ist jedoch sehr umständlich und wegen der scharfen Chlordämpfe nicht so leicht auszuführen. Die Neuzeit verfügt über ein bequemeres Mittel, das Wasserstoffsuperoxyd, das in der That dunkle Haare hell macht und das zu kosmetischen Zwecken vielfach verwendet wird.

Das Haar widersteht ungemein lange der Verwesung und deswegen wurde es auch zur Feststellung der Person beim Ausgraben von Leichen verwendet. Ganz zuverlässig ist es jedoch in dieser Hinsicht nicht; denn wiederholt hat man beobachtet, daß es in der Erde seine Farbe verändert, bald heller, bald dunkler wird.

Fig. 3.

Querschnitte verschiedener Menschenhaare. Stark vergrößert.

Schließlich wollte man das Haar längst Begrabener zur Entlarvung von Giftmorden verwerten. Man behauptete nämlich, daß Arsenik aus dem Körper in die Haare übergehe und in diesen jahrelang nach dem Tode der Vergifteten nachgewiesen werden könne. Von dem berühmten, vor kurzem verstorbenen Chemiker Hoppe-Seyler wurden Ueberreste einer nach elf Jahren wieder ausgegrabenen Frau auf Arsenik untersucht; einzig und allein in dem Kopfhaar wurde das Gift gefunden. Der Fall bildete ein unaufgeklärtes Rätsel, bis sich später herausstellte, daß man der Verstorbenen einen Kopfputz von künstlichen Blumen und Blättern mit ins Grab gegeben hatte. Diese konnten aber mit arsenikhaltigcn Farben gefärbt sein. Auf ähnliche Vorkommnisse lassen sich wohl auch andere Fälle zurückführen, wo man in Haaren Arsenik gefunden hatte. Wenigstens ist es bis jetzt nicht gelungen, nachzuweisen, daß der Stoff wirklich aus den Körpersäften ins Haar übergehe, obwohl man Haare von Kranken, die große Mengen Arsenik einnahmen, mit peinlichster Sorgfalt chemisch daraufhin untersuchte.

Aus diesen Beispielen mögen unsere Leser ersehen, wie mannigfaltig sich die gerichtsärztlichen Haaruntersuchungen gestalten können, zugleich aber, wie verwickelt sie sind. Der Gerichtsarzt muß wohl in seinen Schlüssen vorsichtig sein. Frühere Aerzte haben mitunter unter dem Mikroskop zu viel gesehen und auf Grund der Untersuchung von zwei oder drei Härchen ein Signalement des Verbrechers gegeben, wie z. B.: der Träger der betreffenden Haare ist ein kräftiger, zur Korpulenz geneigter, in den mittleren Jahren stehender Mann mit schwarzen und graumelierten, neuerdings kurz verschnittenen Haaren und beginnender Glatze. – Mitunter haben sich solche Signalements richtig erwiesen, oft aber trafen sie gar nicht zu. Das Haar kann bei sachverständiger Prüfung dem untersuchenden Richter wertvolle Fingerzeige geben, es kann vieles aussagen, aber es darf nicht geschwätzig werden.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_679.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)