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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Sturm im Wasserglase.

Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts.
Von Stefanie Keyser.

 (6. Fortsetzung.)


In den nächsten Tagen war dann ein geheimnisvolles Kommen und Gehen in allen ansehnlichen Bürgerhäusern zu verspüren. Ein Schriftstück wurde von Hand zu Hand gegeben von bedeutungsvollen Reden begleitet, wie: „Es muß jeder das Seine thun, auf daß das gemeine Wesen nicht in Unfall gerät!“ und „Hilf Dir selbst, so hilft Dir Gott!“

Für die Frauen gestaltete sich das Geheimnis abermals zu einem drohenden Vorzeichen, das Fieke in die Erzählung zusammen faßte: „Die Rathausuhr ist abgelaufen und hat eine Glockenstunde lang geschlagen, ohne daß man ihr hat Einhalt thun können.“

Struve aber arbeitete ein Bittschreiben aus, darin die Bürgerschaft bei allem schuldigen Respekt vor ihrem Fürsten und Herrn den Erbprinzen von Sondershausen bat, sich in diesem besonderen so unglücklich verwickelten Falle durch seine Fürsprache in Weimar ihrer anzunehmen.

Mit Genugthuung sah der Sekretarius auf die lange Reihe von Unterschriften. Kein angesehener Mann der Stadt fehlte, und auch kleine Leute, die durch Thatkraft, hellen Kopf und flottes Mundwerk sich Anhang verschafft hatten, waren vertreten.

Er packte die Schriftstücke mit einer klaren Darstellung der Sachlage von seiner Hand in einen starken Umschlag, und zuletzt schob er seine Abhandlung über einen gütlichen Vergleich mit Weimar hinein.

Dann berief er Märten und verriegelte die Thür.

„Märten, willst Du Deiner Vaterstadt einen Dienst erweisen?“

„Nee, Struve, lieber einen Streich spielen.“

„Nun, dann thust Du mir vielleicht einen Gefallen?“

„Das weißt Du, Struve.“

„Du sollst einen Brief nach Sondershausen an den Erbprinzen tragen. ob er uns vielleicht von der schweren Belastung befreien kann. Ich gehe weit über meine Befugnisse hinaus. Aber wir sind in der Notwehr.“

Märten nickte. Das Gesetz von der Notwehr kannte er von den vielen kleinen Untersuchungen her, in denen er gesteckt hatte.

„Es kommen immer einmal Zeiten,“ fuhr Struve fort, „wo Rechte und Gesetze, die doch nur unvollkommenes Menschenwerk sind, zu Fesseln werden, die man sprengen muß.“

Märten war ganz einverstanden. „Das hat mein Ur-Ur-Urgroßvater auch gedacht. Die Rädleinsführer wehrten sich mit der Mistgabel, Ihr Studierten mit dem Gänsekiel. Er wurde“ – Märten fuhr sich mit der Hand um den Hals.

„Und mir droht – Absetzung,“ antwortete Struve, „vielleicht auch Schlimmeres. Aber mögen mich die Folgen treffen! Ich kann nicht länger die Hände in den Schoß legen. Für jetzt gilt es, das Vorhaben geheim zu halten. Du bist als Bote der einzige, dem ich unbedingt vertrauen kann.“

Märten klopfte ihn auf die Schulter. „Sei ruhig, Struve; wir wollen die Sache schon miteinander in Ordnung bringen. Morgen früh gehe ich mit der Hacke hinaus in Deinen Berggarten, und in ein paar Tagen komme ich wieder. Fieke sage ich, ich hätte Deine Kirschen vor den Spatzen gehütet.“

Struve händigte ihm den Brief, einen Paß und ein Zehrgeld ein. „Willst Du irgend eine Waffe für den langen einsamen Weg?“ Märten lachte von einem Ohr zum andern. „Mein Jungeichener ist genug.“

Als Marten voraussichtlich aus dem Weichbild der Stadt entschwunden war, begab Struve sich in die Wohnung des Kanzlers, um diesem den gewagten Schritt frei einzugestehen.

Er war auf seine Amtsenthebung gefaßt.

Aber er wurde abermals nicht vorgelassen. Der Herr Kanzler sollte in eine „unempfindliche Schlafsucht“ verfallen sein. Waren dem schlauen Diplomaten Gerüchte zu Ohren gekommen?

Dann ging Struve zu Magdalene. Ihr gegenüber mußte er sich aussprechen. Er durfte ihr die Gefahren nicht verhehlen, die seine Handlung auf ihren Lebensweg heraufbeschwor.

Es war Abend. In dem lauschigen Winkel, den sich das Brautpaar zum Plaudereckchen erkoren hatte, saßen sie, fest umschlungen. Die Seite nach dem Fenser beschattete das reich belaubte Myrtenbäumchen des jungen Mädchens, die andere schloß das braune Gehäuse der großen Standuhr ab.

Das müdgedachte Haupt an Magdalenes Schulter gelehnt, schüttete er sein ganzes Herz aus.

Dann ihr tief in die Augen blickend, sagte er: „Nun sprich Du das Urteil. Ich weiß, daß bei so bewandten Dingen ich mit meinem Herzenswunsch mich noch bescheiden muß. Denn welches Haus ist nun der gesichertste Platz für Dich: das elterliche, oder das Deines zukünftigen Ehemannes? Ueber beiden schwebt das Schwert der Justitia, und – die Göttin ist blind.“

Leise strich ihre Hand über sein Haupt. „Die reine kluge Stirn!“ sagte sie in kosendem Tone. Dann küßte sie ihn lange und heiß auf die beredten Lippen. In der Verborgenheit gab es keine zärllichere Braut; sie war einmal ein stilles Wässerchen. „Ich soll die Entscheidung sprechen? So komm, mein einziges Herz!“

Sie zog ihn sich nach in die Nebenstube, wo ihr Vater die Feierstunde mit einem Pfeifchen genoß, die Mutter Johannisbeeren von den Träublein zu einem Kuchen in eine große bunte Schüssel streifte.

„Wenn es meinen geliebten Eltern recht ist,“ sagte sie mit ihrer gleichmäßigen klaren Stimme, „so setzen wir die Hochzeit auf heut’ über vierzehn Tage fest. Die schlimmen Zeitläufte erklären die Beeilung des wichtigen Werkes. Und es wird um deswillen auch genügen, wenn wir ein für allemal aufgeboten werden.“

Hochehrwürden dachte nach. Die Mutter rief: „Aber die Ausstattung! Und gerade in der schweren Zeit!“

„Wir sind recht fleißig,“ sagte Magdalene, „und ich gehe ja in das alte Struvesche Familienhaus.“

Ihr Vater aber fügte hinzu: „Wollte man auf dieser Erde mit seinem Fürhaben warten, bis alle Wasser der Trübsal sich verlaufen haben – es würde nichts vollbracht. Ich bin mit meinem Kinde einverstanden.“

„Bist Du zufrieden mit meinem Beschluß?“ fragte das junge Mädchen und sah lächelnd zu Christian auf.

„Magdalene!“ rief er und schloß sie fest in seine Arme. –

Nun hob ein Hämmern, Fegen, Bürsten im Struveschen Haus an.

Es fiel in dem Treiben nicht auf, daß auch Märten eines Abends sich hindurchwand bis zur Studierstube.

Hinter der abermals verriegelten Thür trennte er aus seiner Zwilchjacke ein Schreiben und überreichte es Struve.

Das Gesicht desselben wurde heiter, während er las. „Du hast uns allen einen großen Dienst erwiesen,“ sagte er. „Ich bleibe einstweilen in Deiner Schuld.“

„Hast’s nicht nötig, Struve; ich bin in Deiner.“

Dann ging wieder alles seinen Gang.

Nach reichlicher Mahlzeit half Märten die neu gebohnte Kommode mit den blitzenden Messingbeschlägen in das Zimmer der zukünftigen Hausfrau schaffen.

Krainsberg rasselte vorüber und schaute neugierig in die saubere Stube.

„Ist die Hachzeit var der Thür?“ fragte er den Hausherrn, der sorgsam ein krummbeiniges Nähtischchen aufstellte.

„Die erste Festivität steht bevor,“ erwiderte Struve knapp.

Krainsberg pflanzte sich fest auf.

„Kranzbinden?“

„Nein.“

„Brautsuppe?“

„Nein.“

Krainsberg meisterte kaum seinen Zorn. So oft er davon gesprochen hatte, der Brant seines Quartiergebers die Visite machen zu wollen, war Struve ausgewichen. Er wollte sie endlich sehen, und wenn er die Superintendentur stürmen sollte – mille tonnerres!

„Darf man nicht seine Teilnahme dabei beweisen?“ attackierte er von neuem.

„Nur Demoiselles versammeln sich,“ gab Struve umständlicher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_680.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)