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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Am schlimmsten wurde jedoch gegen die Kirchenglocken zu Zeiten des National-Konvents in Frankreich gewütet. 1793 erschien ein Dekret, das die Gemeinden ermächtigte, die Glocken in Kanonen umzuwandeln. Mit wahrem Fanatismus ging man ans Werk; es wurden, wie Otte in seiner „Glockenkunde“ berichtet, besondere Maschinen erfunden, um die schweren Glocken von den Türmen herabzuschaffen, und acht Mann arbeiteten sechs Wochen lang an der Zertrümmerung der aus dem Jahre 1472 herrührenden 25000 Pfund schweren zweiten Glocke von Notre-Dame zu Paris.

Da die Bronze ein verhältnismäßig kostspieliges Material ist, war man bemüht, für ärmere Kirchengemeinden Glocken aus billigerem Metall zu schaffen. Schon seit dem 17. Jahrhundert versuchte man Glocken aus Eisen zu gießen. Ihr Ton war stark, aber rauh und wenig klangreich, Später goß die ehemalige Königl. Eisengießerei in Berlin eiserne Glocken für arme Kirchengemeinden. Man ist jedoch von der Verwendung des Gußeisens abgekommen, weil derartige Glocken zu leicht zerspringen. Bessere Erfolge erzielte man in neuerer Zeit mit Glocken aus Gußstahl, doch stehen sie im Klange guten Bronzeglocken wesentlich nach.

Der Schmelzofen der Lauchaer Gießerei wird selbstverständlich mit der altbewährten Glockenspeise gefüllt und manche Kanone wurde in ihm geschmolzen. Erst vor Jahresfrist – am Reformationsfeste 1894 – wurde die 115 Centner schwere Dreikaiserglocke des schönen Naumburger Domes aus dem Geschützmaterial gegossen, das Kaiser Wilhelm II. dafür stiftete. Der Schmelzprozeß hatte frühmorgens 3 Uhr begonnen; um 3 Uhr nachmittags konnte der Guß vor sich gehen und dauerte 7 Minuten.

Nach dem Guß: Ausgraben der Form.

Doch wenden wir unsere Aufmerksamkeit wieder der Gegenwart zu. Einen prüfenden Blick wirft der Meister noch in den Schmelzofen, einen zweiten auf die gefüllte Dammgrube. Er und seine Gesellen haben das ihrige gethan, damit das Werk gelinge – „doch der Segen kommt von oben“. Ein kurzes Wort an die Arbeiter, sie ergreifen die langen, vorn gekrümmten Stangen, mit denen sie dem flüssigen Metall den Weg erleichtern, Meister Ulrich ergreift gleichfalls eine – durch die kleine Versammlung geht ein erwartungsvolles Aufatmen. Und jetzt –

„stoßt den Zapfen aus,
Gott bewahr' das Haus!" –

in schimmernder Glut entquillt das flüssige Glockengut dem Schmelzofen und quillt durch die Kanäle den Oeffnungen der Kronenstücke zu, in denen es rauchend und brodelnd verschwindet. Der weite Raum ist von sengender Hitze erfüllt; mit glühenden Wangen stehen wir und sehen das kostbare Metall die ihm gewiesene Straße ziehen, erst mächtig, dann spärlicher, bis es endlich ganz in die Formen geflossen ist. Bis jetzt ist alles gut gegangen. Aber der Meister weist unsere Glückwünsche zurück. Noch ist es ja nicht gewiß, ob der Guß auch wirklich gelungen ist. Und wenn jemand von uns erwartet hatte, das nun gleich die Glocken blank und schön der Dammgrube entsteigen würden, der sah sich arg enttäuscht. Ehe daran gedacht wurde, sie aus der Form zu schälen, verging noch geraume Zeit. Zuvor mußte das flüssige Metall erstarren und sich abkühlen. Derweil pilgerten wir zum Ratskeller, um uns dort bei einem kühlen Trunke gütlich zu thun.

Aber unsere Glückwünsche waren, wenn auch verfrüht, doch nicht verfehlt gewesen, denn als wir zurückkehrten und die Grube geleert und die Formen zerschlagen wurden, sahen wir mit Freude trotz der den Glocken noch anhaftenden Lehmstücke, was Schiller singt:

Wie ein goldner Stern,
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern
Von dem Helm zum Kranz
Spielt’s im Sonnenglanz.
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.

Und wir schieden von der Gießerei mit der Ueberzeugung, daß der Meister samt seinen Gesellen ein Recht habe, stolz zu sein auf die glücklich vollendete Arbeit und das schön gelungene Werk.

Freilich, mit dem Guß ist noch nicht alles gethan; es kostet noch Mühe und Arbeit, bis die Glocke glücklich zu dem Glockenstuhl emporgewunden ist, wo sie „als Nachbarin des Donners schweben“ soll „und grenzen an die Sternenwelt“. Aber hat sie dort erst ihren Platz gesunden, so bleibt sie ihm auch treu. Nur ein gewaltiges Unglück könnte sie von dort entfernen. Das Volk freilich weiß es anders. Es erzählt von der Glockenfahrt, die alljährlich am Mittwoch vor Ostern stattfindet. Da fliegen die Glocken nach Rom zum Papst und kehren erst am Sonnabend zurück. Die Entstehung dieser Sage liegt klar am Tage; sie führt einfach darauf zurück, daß in der katholischen Kirche die Glocken vom Gründonnerstag bis Karsamstag schweigen. Aber die wandernde Glocke spielt auch sonst eine Rolle, wie z. B. in der von Goethe behandelten Sage, wo sie das kirchenflüchtige Kind verfolgt. Andre Sagen berichten von Glocken, die, von ihrem ursprünglichen Platz entfernt, auf diesen zurückverlangten. So die Glocke von Berndsweiler in Baden, die im Schwedenkrieg im Wald vergraben worden war. Hundert Jahre später von Wildschweinen ausgewühlt, wurde sie nach Sinnbronn in die Kirche gebracht. Aber wenn man sie dort läutete, rief sie immer:

„Anne Susanne,
Zu Berndsweiler an der Stange
Will ich hange“

bis man sie nach Berndsweiler zurückbrachte, wo sie ihren alten, schönen Klang erhielt. Auch von versunkenen Glocken weiß die Sage zu erzählen, die noch immer fort läuten. So heißt es von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_686.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)