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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


schweigend zusammen; die vollkommene Zufriedenheit in ihrer beider Seele war so groß, daß sie keine Leidenschaft empfanden und kein Bedürfnis, sich etwas zu sagen.

Renés Gedanken befanden sich plötzlich mitten in seiner Arbeit. Mit geistigem Ohr hörte er auf einmal deutlich die instrumentale Färbung einer Liebesscene zwischen seinem Helden und seiner Heldin, mit sonniger und gesättigter Klarheit stiegen die Klangwellen des Orchesters vor ihm auf, beherrscht von dem süßen Liebesmotiv – –

„Wir sind gleich an unserm Hause,“ sagte Magdas Stimme.

René fuhr auf und sah sie eine Sekunde wie verstört an, als wisse er nicht, wer sie sei und wie sie daher komme. Dann lachte er glücklich auf.

Schweigend war sie neben ihm hingegangen, umgekehrt, zurückgeschritten und er war mechanisch neben ihr gewandert.

„Du Gute, Kluge!“ sagte er. „Die Stelle in meinem Musikdrama streichen wir rot an, die eben geworden ist.“

Sie hatte die ganze Zeit mit dem Gefühl einer Kränkung gekämpft, daß er sie so ganz vergaß. Nun begriff sie, daß sie unrecht that, dergleichen in sich aufkommen zu lassen. Aber weh that es doch, bitter weh, wenn auf diese Weise bald sein Berufsleben, bald sein Innenleben ihn hinderte, sich ihr zu widmen, und schwer war’s, sich stumm darein zu schicken.

„Hier,“ sagte sie und öffnete mit Herzklopfen die Gitterpforte des Vorgartens.

Es war ein so großer und wichtiger Augenblick, daß René ihr Haus betrat und ihren Vater sah. René schaute aber sehr heiter drein, auf seinem Gesicht war noch der Nachglanz der gehabten reichen Eingebung.

Oben in der dritten Etage fuhr Nicolai von seinem Buch auf, darinnen er an dem einen Fenster gelesen, während am andern der Leidende in seinem Fahrstuhl einen leisen Halbschlummer hielt.

Es hatte geklingelt. Das war Magda – genau um fünf Uhr, wie sie gesagt hatte. Er ging hinaus, um zu öffnen, denn er war hier wie zu Hause. Auf dem kleinen Flur war aber auch schon Kathi an der Thür. Wie erstaunten beide, als neben Magda ein Herr draußen stand.

„Flemming!“ rief Nicolai. Sein Gesicht ward fahl und er sah Magda an. Diese fühlte den Blick heute gar nicht, sondern nahm schon Hut und Mantel ab, während René heiter sagte: „Ich habe die Ehre gehabt, mit dem gnädigen Fräulein bei Frau von Eschen zu speisen, und durfte sie nun heimbegleiten. Zur Belohnung für den Ritterdienst bin ich auf eine Tasse Kaffee von Fräulein Ruhland eingeladen. Und es freut mich, daß ich Sie hier treffe, Nicolai.“

Er sah den Maler so sonnig und so ehrlich an, daß dieser in allem heimlichen Schmerz doch seine Neigung für René neu aufwallen fühlte und ihm herzlich die Hand gab.

Sie gingen in den Salon. Magda lief auf ihren Vater zu, umarmte ihn und spracht „Papa, hier ist ein lieber Freund von Hortense, der Dir guten Tag sagen will.“

Ruhland beugte sich vor, seine Augen belebten sich, der Körper ward unruhig und die Hände strichen flach auf den blanken Armlehnen des Fahrstuhls vor und zurück.

„Der soll fort – fort – fort –“ befahl er heftig und nickte mit dem Kopf immer zu dem Wort.

René trat hart an den Stuhl heran, beugte sich über den Kranken, sah ihn fest an und ergriff dabei eine der streichenden Hände.

„Wir kennen uns ja schon lange, Excellenz haben vor vier und einem halben Jahr die Güte gehabt, mich nach meinem Amtsantritt zu empfangen,“ sagte er ruhig. In der That hatte René damals dem Kultusminister Ruhland einen Besuch gemacht und war zwei Minuten so ungnädig empfangen worden, daß er sich schwer geärgert gefühlt hatte.

Die männliche Stimme, der bestimmte Blick schüchterten Ruhland ein. Dies „wir kennen uns schon lange“ beschäftigte ihn. Nach der Art dieser Kranken wußte er oft, daß er nicht ganz Herr seines Gedächtnisses war, und mißtraute sich manchmal selbst.

„Wir kennen uns – wir kennen uns,“ murmelte er halb fragend vor sich hin.

René fühlte bei dem Anblick des kranken Mannes etwas Schreckliches, ein Gemisch von Widerwillen und Ungeduld. Seiner blühenden Kraft war Krankheit etwas Unerträgliches und das Leben hatte ihn noch kein Mitleiden gelehrt.

Er begriff die Richtigkeit von Magdas Entschluß, ihre Ehe noch hinauszuschieben, nun erst völlig. Diesen Leidenden mit in seine eigene Häuslichkeit zu nehmen, wäre ihm unmöglich gewesen.

Magda sah die ernsten Schatten über sein Gesicht gleiten und glaubte, das Mitleid mit ihrem Los betrübe ihn.

Sie fing ein heiteres Gespräch an, trug den Kaffee auf und sagte, daß Herr Flemming doch sehen müsse, was Nicolai gerade male. Dabei wünschte sie heiß, René möge den Wunsch aussprechen, ihr Atelier zu sehen.

René ergriff mit Freuden den Gedanken, daß man die letzte Tagesstunde benutzen möge, Nicolais Arbeiten zu sehen. Es war ihm so erwünscht, aus der Nähe des alten Mannes zu kommen, der steif und vornehm gekleidet wie ein Zerrbild des einstigen Ichs dasaß und ihn feindselig belauerte.

Nicolai war rot geworden und kämpfte mit sich.

„Weil Sie es sind,“ sprach er endlich und fühlte, daß dies eine halbe Lüge war. „Weil ich fürchte, daß es zwischen Magda und Ihnen ein Geheimnis giebt, sollen Sie das meine kennen,“ so hätte er antworten müssen.

„Darf ich mit?“ fragte Magda, die ihrerseits nie in Nicolais Atelier kam. Er brachte ihr herüber, was sie sehen sollte. Er nickte. Hinter seiner überlangen Gestalt hergehend, wirkte René beinahe klein. Magda bemerkte es und René sagte:

„Ja, er ist auch immer in den Wolken mit seinem Kopf.“

Nicolai lächelte dazu und schloß sein Atelier auf. Es hatte, wie das Magdas, zwei Fenster nach Nordwest und die Abendsonne schien gerade voll hinein. Die Wände waren mit Skizzen dicht bedeckt, sonst befand sich keinerlei Schmuck im Raum und an Möbeln nur die nötigen Tische, Stühle, Gerätschaften. Durch die unendliche Sauberkeit und die regelmäßige Anordnung der Ausstattungsstücke hatte der Raum etwas Puritanisches.

Magda war, als liefe ihr ein Frostschauer durch die Adern.

Nicolai rückte die Staffelei am Fenster zurecht und sagte nur: „Hier!“

Sie traten näher und schwiegen beklommen.

„Der Engel des Glückes kommt zum erstenmal zu einem Menschen,“ sprach Nicolai leise. „das war mein Gedanke.“

Im Vorgrund des Bildes sah man ein bleiches Männerhaupt mit geschlossenen Augen und beseligtem Lächeln. Man erriet sofort, daß es das Gesicht eines Sterbenden war. Hinter ihm, das ganze schmale Hochformat des Bildes ausfüllend, stand eine Engelsgestalt in strengen, steifen assyrischen Linien gehalten, die Finger der niedergestreckten Hand berührten die Stirn des Sterbenden. Die Augen des Engels sahen mit einem mystischen und unendlich sicheren Blick zum Himmel empor, über den Beschauer hinweg. Die Farben waren sehr hell, das Ganze wirkte wie eine Vision. Und das blasse, unbewegliche Engelsangesicht hatte eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Magda.

„Ihre Bilder fallen einem auf die Nerven,“ sagte René endlich mit halber Stimme.

Er drückte Nicolai heftig die Hand. Magda sagte nichts, aber sie war sehr blaß.

Das lange, betrachtende Schweigen endete Nicolai selbst, indem er, vor innerer Bewegung heiser, vorschlug, Flemming solle doch auch sehen, was Magda male.

„Sie malt so feine, liebe Sachen,“ sagte er.

„Ja,“ sprach René hastig, „das wollen wir.“ Und an der Thür gab er Nicolai nochmals die Hand und sprach: „Adieu, Nicolai. Nehmen Sie tausend Dank. Ich werde zu thun haben an dem Eindruck. Lassen Sie uns bald einmal wieder einen Abend zusammen sein – heut’ kann ich nicht, ich bin bei der Großmutter meines Freundes Wallwitz geladen. Aber morgen, sagen wir morgen abend acht Uhr bei mir.“

Nicolai stand wie versteinert. Man sagte ihm „adieu“ und er hatte es als selbstverständlich erachtet, daß er mit in Magdas Atelier gehen werde.

„Ja, morgen abend …“ stammelte er.

„Wir sehen uns nachher noch,“ rief Magda und lief durch die Etage, um von drinnen ihr Atelier zu öffnen und René einzulassen. Ihr Gesicht glühte vor Freude.

René trat ein.

„Aha,“ sagte er, „hier schaut es wohnlicher aus. Wir durften doch keinen Zeugen haben, wenn ich zuerst in Dein kleines Reich trete. Aber weißt Du: Nicolai ist ein großer Poet und ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_710.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)