Seite:Die Gartenlaube (1895) 711.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


großer Maler. Seine Musik ist nicht für die Welt. Und er liebt Dich – der arme Kerl!“

„Es ist so eine besondere, überirdische Liebe,“ sprach Magda mit fast kindlicher Verlegenheit.

„Das wollen wir hoffen,“ rief er lachend. Sein Blick fiel auf eine Staffelei.

„Was ist denn das für eine Geschmacklosigkeit?“ fragte er. und sah den gemalten Kranz von Christrosen und Passionsblumen an, der sich um ein Marmorkreuz schlang, während der Holzrahmen dieses wunderlichen Gemäldes mit einem Dornengewinde bemalt war.

Magda stellte sich davor.

„Schau’s nicht an,“ bat sie errötend, „die Frau Herzogin hat es ausdrücklich so bestellt und ich bekomme fünfhundert Mark dafür. Es soll in das Wohnzimmer der Vorsteherin der Diakonissinnenanstalt. Du begreifst, der hohen Auftraggeberin kann man nichts abschlagen.“

Ja, das begriff René. Aber es ärgerte ihn doch, daß Magda so etwas angefertigt hatte.

„Sieh das hier,“ bat sie und sah mit großen Augen wartend in sein Gesicht.

Sie wußte, sie war keine Künstlerin ersten Ranges, wollte keine sein, aber sie wußte auch, daß ihr manchmal ein anmutiger Einfall zart und schön gelang. Und gerade that die Sonne ihr den Gefallen, gleichsam eine kleine Vorstellung zu veranstalten und das Bild mit ihrem letzten Schein zu beleuchten

Ein bunter Orchideenstrauß stand in einem schmalen hohen Glase vor einer halb überfrorenen Fensterscheibe, die ihm als Hintergrund diente, und durch die Fensterscheibe sah man ein Stückchen Straße, in welcher ein Schneesturm tobte. Es war eine artige Idee, die fremde Tropenblume in den Gegensatz zur nordischen Rauheit zu stellen, und sie war völlig ungesucht zum Ausdruck gebracht. Auch wußte Magda und hatte es von Nicolai bestätigen hören, daß es gut gemalt sei.

„Allerliebst,“ sagte René ein wenig zerstreut. „Du wirst Dein Heim, unser Heim später mit Deiner geschickten Hand hübsch dekorieren.“

„Blumenstücke sind nicht Dein Geschmack?“ fragte Magda mit zitternden Lippen.

„Aufrichtig: nein. O Gott, es kränkt Dich,“ rief er und nahm liebevoll ihre Hand.

„Wie kann mich eine Aeußerung Deines Geschmacks kränken, der sich doch gebildet hat, ehe wir uns kannten, der ein Teil Deines Wesens ist,“ sagte sie tapfer. Aber er sah wohl, es hatte ihr doch weh gethan.

Sie jetzt mit nachträglichen Lobeserhebungen zu trösten, dazu war seine Ehrlichkeit nicht imstande, auch wußte er wohl, sie sei zu klug und feinfühlend, um sich jetzt durch solche nicht eher gekränkt als gehoben zu fühlen. Er legte den Arm um ihre Taille und sprach ernst: „Nicht das, was Du arbeitest, sondern daß Du arbeitest, ist angesichts der Dich umgebenden traurigen Verhältnisse wichtig, befreiend, sittlich.“

Sie sah zu ihm empor. Seine Augen waren liebevoll auf sie gerichtet. Er schien nicht entfernt zu ahnen, daß er ihr etwas gesagt hatte, das ihr allen Boden unter den Füßen wegzog.

„Wenn die Begabung auch noch so gering ist – man muß an sie glauben, um sie üben zu konnen,“ sprach Magda tonlos. „Wenn der Inhalt meiner Thätigkeit denn so ganz wertlos ist, möchte ich sie lieber aufgeben.“

„Liebe! So schroff meinte ich das nicht – ich habe Dir weh gethan – Deine Augen sind naß. Komm!“ Er küßte ihr die Lider. Er zog sie auf die Ottomane und, sie fest an sich ziehend, flüsterte er. „Wir wollen doch meine erste Anwesenheit in Deinem kleinen Heiligtum nicht mit Mißverständnissen trüben.“

Seiner bezwingenden Art gelang es, schnell ein sonniges Lächeln auf ihre Lippen zu locken.

„Wie man empfindlich wird,“ sagte sie, sich eng an ihn schmiegend, „wir thun einander weh, die Welt thut mir weh – es ist, als ob plötzlich mein Herz schutzlos geworden wäre und nun jeden Windhauch spürte. Ich will Dir noch von gestern etwas beichten. Hinter mir saßen Damen, die über Dich und die Kaspari sprachen. Und infolgedessen beobachtete ich diese und sah, wie sie zu Dir hinablächelte. Ich war einige Minuten sehr eifersüchtig, die blendende Schönheit der Dame erdrückte mich. Nachher schämte ich mich.“

Renés Stirn zog sich ein wenig zusammen, er schien peinlich berührt. Dann ward sein Ausdruck heiter und er sprach mit einem festen Ton: „Ein für allemal, Magda – diese Welt, in die mich mein Beruf stellt und die, ich leugne es nicht, einen großen Reiz für mich hat und mit ein treibender Faktor für mein Schaffen ist, diese Welt muß Dich gar nicht beschäftigen. Darinnen ist nicht alles so ideal, wie Ihr das anschaut, und zum Beispiel die blendende Schönheit der Kaspari schrumpft ohne rote Perücke und Schminke sehr zusammen. Ich wünsche nicht und ich will nicht, daß Du mit dieser Sphäre allzuviel in Berührung kommst. Ganz wird es sich später für meine Frau nicht vermeiden lassen. Aber Deine Gedanken soll sie Dir nie beschweren, weder später noch jetzt. Es giebt im Leben eines Mannes so viel, was ein Frauenherz nie begreift. Die Natur hat uns mit gröberen Organen versehen. Da giebt es Versuchungen – Notwendigkeiten – Dinge so äußerlich, die ich von mir abwasche wie den Tagesstaub. – Du aber, Du stehst mir außer allem und über allem. Du bist das Heiligtum, zu dem meine Seele sich flüchtet, wenn sie den reinen Frieden braucht!“

Magda konnte nichts antworten. Seine Worte hatten sie unglücklich und unruhig und stolz und selig gemacht. Er schob sie ganz heraus aus der Welt, darin er jeden Tag seinem Beruf nachging, und, indem er ihr so beinahe jeden Anteil an seinem Leben absprach, erhob er sie zugleich zu seiner Göttin. Sie aber wollte als Weib, als Gefährtin, als Teilnehmende jede Stunde auch seiner Arbeit kennen, mittragen, ihren Inhalt wissen.

Ahnte er denn gar nicht, daß alles, was er ihr sagte, immer Bitterkeit und Wonne in seltsamem Gemisch war!

René hatte gar keine Antwort erwartet, er liebte ihre Art zu schweigen und, wenn er auch ahnte, daß ihr Schweigen oft schmerzliche Gedanken zudeckte, so erwartete er die Kraft von ihr, sich zu einem heiteren Vertrauen zu ihm durchzuringen.

Er streichelte ihren Kopf, der an seiner Schulter lag.

„Sieh,“ sprach er, „wie lange es hier oben bei Dir hell geblieben. Nun ist mit einem Mal der Himmel grau. Ich mag so gern sehen, wenn sich das Licht zurückzieht und von der anderen Seite des Himmels die Dunkelheiten näher wachsen. Die erste Liebesscene meines Helden mit meiner Heldin habe ich auch in die Dämmerstunde gelegt.“

„Erzähle mir davon.“

„Nicht jetzt. Weißt Du, daß Du mir noch gar keinen Kuß gegeben hast?“ Er nahm ihr Angesicht zwischen seine Hände und küßte es mit einer drolligen Aufmerksamkeit, als wollte er jedem Teil sagen: du gefällst mir. Der Stirn, den Augen den Wangen. Sie lächelte dazu.

Und dann den Mund.

Die linde Dämmerung um sie her, die Erlösung von allem Schmerzlichen, das die letzten Minuten gebracht, das Bewußtsein, zum erstenmal mit ihm ungestört allein zu sein – dies alles wirkte auf Magda wie ein Rausch. Sie hing an seinem Halse und ließ sich küssen und in ihr wuchs eine Flamme – und sie sah seine dunklen, lodernden Augen mit einem neuen, heißen Ausdruck auf sich gerichtet. Es war ihr, als wenn Willenlosigkeit und Müdigkeit durch ihre Adern schlichen.

Und jäh fiel ein Schreck in ihre Seele – eine Angst – sie wußte nicht warum – sie entrang sich den sie umklammernden Armen, sie sprang auf und fiel in die Kniee. Mit gefalteten Händen blieb sie so und sah ihn an.

Er stand auf, langsam, wie taumelnd. Aus den Erregungen höchster Leidenschaft herausgerissen, wallte kurz etwas wie Zorn in ihm auf.

Da sah er durch die helle Dämmerung ihre Augen und sah den Blick, in dem ein hinreißender Ausdruck lag: höchstes Glück und vertrauende Bitte.

Er atmete schwer auf. Dann neigte er sich, half Magda sich zu erheben, und als sie vor ihm stand, ohne den rührenden Blick von ihm zu lassen, umfaßte er sie sanft und gab ihr einen leisen Kuß auf die Stirn.

Sie sah ihn fortgehen. –

Zwei Stunden später saß sie mit Nicolai bei ihrem einfachen Abendbrot. Sonst hatten sie immer heiter die Ereignisse der letzten Woche besprochen, was sie gearbeitet, was an kleinen, friedlichen

Vergnügungen hinter ihnen lag, und viel hatten sie auch über Gesundheitsfragen gesprochen, wie das bei einem leidenden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_711.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)