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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

will der Junker hier? Er sollte sich auf der Neidecke melden. Gehe Er auf der Stelle dahin, wohin Er gehört.“

Konrad begriff nicht. Aber da schallte es dringend hastig herauf: „Komm mit!“ Er flog davon.

Ehe Severin einen Schritt aus seiner Höhle heraus thun konnte, hatte Timotheus den Spiegel zurückgewirbelt und setzte sich gelassen davor auf den Boden.

Vergeblich rüttelte Severin von innen an dem Spiegel. Timotheus war schwerer als der schwerste Schrank.

„Gieb Frieden, lieber Bruder,“ gebot er mit fester Stimme. „Ich befehle es Dir, kraft der Vollmacht, die der Prior mir gegeben hat.“ Bei den Worten legte sich das Rütteln. „Er wußte, daß Deine große Begabung auch große Versuchungen verhängt, und hat deshalb für besondere Fälle mir die Oberherrschaft übertragen. Inbrünstig preise ich unsren Schutzpatron, daß er mich schwererer Mühewaltung überhoben, gnädig alle Wirrnisse geschlichtet, alle Steine des Anstoßes aus unsrem Weg geräumt hat. Was die Frau Fürstin thun wird, um den aufsässigen Diener, die entlaufene Dienerin zu strafen, darum uns zu kümmern, ist nicht unsres Amtes. Du aber kehrst morgen in unser Kloster zurück. Du wirst in der einsamen Zelle bei wahrhaft gottgefälligen Werken Deiner Kunst den Seelenfrieden wieder zurückgewinnen.“

Die Stimme in dem geheimen Gang ließ sich nicht wieder vernehmen.

Dumpf verhallten schleppende Schritte, die sich langsam entfernten.

Draußen gingen Thüren, schallten Stimmen.

Timotheus begann zu rufen: „Zu Hilfe! Ist niemand da, der einem zu Boden Gestürzten wieder auf die Füße hilft?“

Die Dienerschaft rannte durcheinander, wie sie aus den Betten kam, in welche sie sich vor dem gräßlichen Eulengeschrei so tief verkrochen gehabt hatte, daß das Knacken der einbrechenden Thür zuerst auch für Spuk von ihr gehalten worden war.

Der Kammerdiener wollte von einem spinnwebfarbenen Kavalier auf dem Korridor umgerannt worden sein, den Mohren hatte auf der Hintertreppe ein andrer Mohr hinabgestürzt, der dann mit einem schneeweißen Gespenst verschwunden war, der Leibgardist, der von seinem Wachthaus herbeigelaufen kam, hatte von einer Hand, so groß wie ein Schild, eine solche Maulschelle bekommen, daß ihm die Ohrringe vom Kopfe geflogen waren, und er nun mit blutender Nase über dem Neptunsbassin hing.

Die Trommel wurde gerührt. Die aufgeschreckten Gardisten bekamen Befehl, den Einbrechern nachzusetzen. –

Draußen in der dunklen schwülen Nacht liefen die Missethäter wie gejagtes Wild.

Struve und Eichfeld hatten Kiliane an den Händen gefaßt und zogen sie mit vorwärts.

Märten leitete die Flucht auf den verdeckten Wegen, die er gefunden hatte, wenn er Fieke besuchte.

„Immer im Graben geblieben! Der Sumpf ist nicht tief, und die Weiden verdecken uns. Da schlägt Nachbars Adam einen Wirbel auf dem Kalbfell. – Als der Feind ins Land rückte, muckste keiner. – Durch den Hagedorn in das Gehege der Dorfflur!“

Mit blutenden Händen ging’s weiter.

„Puff! das war der Korporal Großkunst! Ist die alte Muskete auch noch einmal abgefeuert worden? Vor den Leuten, die brave Sekretariusse abführten, da habt Ihr das Gewehr präsentiert. – Schnell, über den Zaun in die Gärten! Ist das weiße Kittelchen hängen geblieben, Frölen? Schadet nichts! Nun am Flußufer hinauf! Ueber die große Brücke können wir nicht laufen. Wer weiß, vielleicht ist schon der Stallmeister auf dem Sattelhirsch unterwegs und verrennt uns den Weg.“

Keuchend ging’s am rauschenden Fluß hinauf. „Sie hat den Schuh stecken lassen? Na, kann auch einmal barfuß laufen. Sieht, wie’s thut. Da, auf den Baumstämmen geht’s über den Fluß. Ja, es ist dunkel unter den Bäumen. Wo willst Du hin, Struve? Du läufst ja ins Wasser hinein. Haha! Er wäscht sich, will nicht an der Braut abfärben. Vorwärts! vorwärts! Da ist die hohe Mauer! Man sieht’s an den Zinnen. Nun hinab in den Graben. Stolpert nicht über die Krautköpfe vom Nachbar Stelzfuß! Wie gut war’s, daß ich die Kartaune in den Graben hinabschoß! Man kann wie auf einer Leiter an ihren Henkeln hinaufsteigen. Da sind wir an der Gartenthür der Superintendentur! Fieke!“

„Gott sei Lob und Dank!“

Das Pförtchen knarrte. Die vier Flüchtlinge huschten hinein.

Und dann standen drei Paare fest umschlungen in der vom Wein überrankten Eingangslaube.

Magdalene hing an Struves Hals.

Kiliane lag an Konrads Brust und weinte. „Meine Kiliane!“ flüsterte er.

„Für immer und ewig!“ sagte sie.

Fieke trocknete mit ihrem Schürzchen Märtens heiße Stirn. „Ja, wenn Märten nicht wäre!“ sagte sie stolz. Was war das andre Mannsvolk gegen ihren Schatz!

Alle drängten sich um Märten.

„Wie soll ich Ihm danken?“ flüsterte Magdalene mit unterdrücktem Schluchzen.

Märten schüttelte ruhig den Kopf. „Na, Ihretwegen habe ich es nicht gethan; nur wegen unserm Struve.“

„Was kann ich thun, um Seine Hilfe zu vergelten?“ sprach mit überquellendem Herzenston der Junker.

„Na, Seinetwegen hab’ ich nicht geholfen,“ erklärte er lachend; „nur weil das Frölen meinen Struve gewarnt hat.“

Der trat hervor, wollte sprechen; die Stimme versagte. Die Augen wurden ihm feucht, er drückte Märten die Hand.

Da wandte der Riese sich ab und rannte fort.

Fieke aber hielt die andern zurück und sagte leise: „Wenn ihm etwas ans Herz greift, das darf niemand sehen.“

Im Hause war noch alles wach. Die Fenster hatte man verhangen.

In der Wohnstube kam ihnen der Superintendent im Talar entgegen. „Meine Kinder!“ sprach er. „Zu dieser Stunde werde ich Euch den kirchlichen Segen geben. Wer weiß, was der morgende Tag bringt! Da mögt Ihr zusammen tragen, was Euch beschieden ist.“

Magdalene flüsterte ihrem Bräutigam ins Ohr: „Ich gehe dann mit ins Verließ.“

Er drückte sie an sein Herz.

„Der Altar steht noch geschmückt,“ fuhr Olearius fort. „Auch der Kantor ist bereit. Eine wunderbare Offenbarung muß ihm geworden sein. Er hat sich gemeldet, wir sind versöhnt.“

Olearius wendete sich zu Kiliane. „Soll ich das Fräulein zum Herrn Kanzler geleiten, oder hat Sie eine andere Zufluchtsstätte? Eine Nachtruhe kann ich in meinem Hause verbürgen; weiter vermag ich jetzt nichts der Gewalt der Herrschaft gegenüber.“

Kiliane schlug die Hände vor das Gesicht. „Mein Oheim wird mich nicht schützen. Ich weiß keine Zuflucht.“

„Bei mir, Kiliane!“ rief Eichfeld. „Auf meinem Gutshof bist Du fürs erste so gut geborgen wie ich selbst. Haben die Mauern den Dreißigjährigen Krieg überdauert, so werden sie auch den Leibgardisten standhalten.“ Es klang eine wilde Entschlossenheit aus seinem Ton. Er hatte die Hand am Degengriff, der Hoflack war von ihm abgefallen, die alte deutsche Kampflust hervorgebrochen, die nun einmal in den starken Knochen steckt. Immer begehren sie dreinzuschlagen.

Kiliane rang die Hände. „Wenn Deine Mutter lebte, Konrad. Dann könnte ich zu Dir flüchten, bis auch für uns das Segenswort gesprochen wird.“

Da trat der Superintendent heran. „Ich werde es sprechen auch über Sie wie über meine Kinder. Eine Nottrauung wie so manche Nottaufe – ich will’s verantworten vor Gott und den Menschen.“

Eichfeld beugte in wortloser Dankbarkeit sich vor dem würdigen Mann, Kiliane drückte die Lippen auf seine Hand.

„So bereitet Euch alle zum Kirchgang,“ sagte Olearius. „Dann muß jedes in sein Heim ziehen.“

„Ja wohl, Herr Superintendent,“ antwortete für die andern Fieke. „Mamsell Lenchen, borge Sie dem Frölen ein Paar trockene Strümpfe und ganze Schuhe; sie läuft ja barfuß. Und in einem Morgenkleid kann doch niemand vor den Altar treten. Sie hat schon alle Kleider ins Struvesche Haus geschafft? Na, das rote Kamisölchen und der chokoladefarbige Rock, der mein Brautputz war, hängt da. Ach, du lieber Gott, woher sollen genug Kränze kommen? Nein, Ihren Kranz darf Sie nicht zerteilen, Mamsell Lenchen! Sonst nimmt eine der andern das Glück weg.“

Schon band die würdige Hausfrau mit fliegenden Fingern aus den Zweigen von Lenchens Myrtenstöckchen den fehlenden Schmuck. (Schluß folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)