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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

ließ Kompositionen vortragen, die den Herzog zu Tode langweilten.

Oder die Herzogin gönnte der Oper unverhofft ihren Besuch an Abenden, wo der Herzog gern ungestört in seiner kleinen Loge und dem daran stoßenden lauschigen Salon geblieben wäre und wo ein Werk aufgeführt wurde, das die Seele der Herzogin beleidigte.

So war ihr letzter „Teilnahmebeweis“ ein unerwarteter Besuch gewesen, als Verdis „Traviata“ gegeben ward. Und selbstverständlich mußte die hohe Dame den Gatten darauf aufmerksam machen, welchen Schmerz es ihr bereite, in einem Kunstinstitut, das den geistigen Stempel von Seiner Hoheit empfange, ein solches unmoralisches Werk aufgeführt zu sehen.

Der Herzog wetterte nach solchen Vorfällen und meinte, ob denn niemand seine Gemahlin in solchen Fragen berate, und wozu denn die Oberhofmeisterin da sei.

Allein er hatte gut reden: es stand im Pflichtenprogramm der Herzogin, daß „die intimen seelischen Beziehungen zwischen ihr und dem Gemahl mit Zartheit zu pflegen und der Einmischung der Hofchargen zu entziehen seien.“

Und für die Aeußerungen dieser „seelischen Beziehung“ nahm sie keinen Rat an.

Die bevorstehende Aufführung eines Werkes des hochfürstlichen Vetters war eine neue Gelegenheit für die Herzogin, ihrem Gemahl „eine Freude“ zu machen. Die Spötter am Hof behaupteten, in jedem Quartal genüge sie einmal dieser Pflicht, und somit war für das letzte Quartal dieses Jahres noch ein solches Ereignis in Aussicht gewesen.

Eine Zeit lang hatte die Herzogin den Plan gehabt, zur ersten Aufführung der „Zenobia“ einen berühmten Dirigenten heimlich einzuladen und Seiner Hoheit die Ueberraschung zu bereiten, daß anstatt Flemmings ein hochberühmter Mann den Taktstock führe. Alle Welt zitterte: der in Aussicht genommene Mann gehörte musikalisch einer vollkommen anderen Richtung an; Flemming würde sich tödlich beleidigt fühlen und dem Herzog sofort die Bitte um seine Entlassung senden, der Herzog würde alles vor der Aufführung erfahren – denn an eine Verwirklichung der Idee war aus künstlerischen Gründen ja gar nicht zu denken – und es würde ein schönes Unwetter geben.

Zum Glück erkrankte die Lorenzen und an dem nun etwas hinausgeschobenen Aufführungstag war jener Dirigent verhindert.

Die Herzogin war trostlos. Der erste Einfall hatte schon so viel Mühe zu denken gekostet. Woher einen andern nehmen?

Da kam Hortense und brachte der Herzogin einen Beitrag für den Christlichen Jünglingsverein. Die Kluge hatte durch die Oberhofmeisterin von der Dirigentengeschichte gehört, und da sie fürchtete, Hoheit könne einen andern Einfall von ähnlicher Naivetät und ähnlicher Beleidigung für René Flemming aushecken, so wollte sie vorbeugen.

„Ich möchte von Hoheit einen gütigen Rat erbitten,“ sagte sie, als sie die heiteren Blicke der Herzogin sah, mit denen diese das empfangene Geld überflog.

„Gern, liebe Eschen,“ antwortete die Herzogin gnädig, die von der Autorität und Tiefgründigkeit ihrer Ratschläge felsenfest überzeugt war.

„Da die ‚Zenobia‘ hinausgeschoben werden mußte, möchte ich der Hofgesellschaft gern Gelegenheit geben, Einiges aus dem Werke kennenzulernen. Man brennt vor Ungeduld. Ob Seine Hoheit es wohl unbescheiden fände, wenn ich auf einer Soiree durch Flemming einiges spielen ließe? Auch könnte Bärwald, der den Aurelianus singt, seine große Scene vortragen.“

Die Herzogin seufzte befriedigt.

„Liebe Eschen,“ sagte sie wichtig, „ich nehme jede Verantwortung auf mich und verspreche, mit meinem Gemahl für eine Stunde auf Ihrer Soiree zu erscheinen.“

Hortense versicherte, auf so viel Gnade gar nicht gefaßt gewesen zu sein, und schied vergnügt.

Die Herzogin aber, mit ihrer schleppenden Sprache, sagte bei der Tafel zu ihrem Gemahl, daß es ihr Wunsch gewesen sei, auch ihrerseits das künstlerische Unternehmen zu fördern – der Herzog erschrak – und daß sie deshalb die liebe gute Eschen bestimmt habe, eine Soiree zu geben, in welcher Flemming und Bärwald einiges aus ‚Zenobia‘ vortragen würden – der Herzog atmete auf. Er küßte seiner Gemahlin diesmal aufrichtig dankbar die Hand und betonte die Genugthuung, die es ihm gewähre, sich in diesem seinen Kunststreben völlig eins mit der Gefährtin seines Lebens zu wissen. Die Herzogin sah befriedigt alle Anwesenden an.

Hortense lachte, als man ihr das wieder erzählte, und versicherte, daß es in der That der Einfall der Herzogin gewesen, nahm aber den sichtlichen Unglauben nicht übel.

Nun hieß es sich tummeln – halb Leopoldsburg kam wegen dieser Soiree in Aufregung. Sogar Magda. Denn, daß sie hierbei, wo ihr Verlobter sich glänzend zeigen sollte, nicht fehlen dürfe, verstand sich von selbst für Hortense; obenein hatte die Herzogin Magdas noch neulich lobend erwähnt und erklärt, das symbolische Blumenstück mit den Dornen, Passionsblumen und Christrosen sei ein Meisterwerk.

„Putz’ Dich heraus, Kind,“ schrieb Hortense ihr, „damit die Herzogin, wenn sie Dich anspricht, kein Mitleid fühlt. Du weißt, das Mitleid unserer guten Hoheit kann sich sehr kränkend äußern.“

Magda that etwas Großartiges: sie ließ sich ein neues seidenes Kleid machen, das erste, seit ihr Papa „a. D.“ war. Sie tröstete sich immerfort damit, daß sie ein solches Stück nachher als junge Frau doch hätte haben müssen.

Die Wichtigkeit und Freude dieses Ereignisses konnte sie nicht allein tragen. Nicolai mußte die Stoffproben besehen und seinen Rat geben. Er war dabei so glücklich, als sollte er selber zu Vergnügen und Glanz gehen. Nach unendlichen Zweifeln entschloß Magda sich, unter der Zustimmung Nicolais, für Hellblau. Das Machen und der Besatz durften nicht viel kosten. Die Schneiderin saß zwei Tage im Atelier und Magda half tüchtig. Sogar Frau Sekretär Böhmer, die Flurnachbarin und Wirtin Nicolais, kam und machte Knopflöcher und zog Reihfäden aus.

Am festlichen Abend selbst war die ganze Etage einstimmig der Ansicht, daß Magda wundervoll aussehe. Die lichte Gestalt, von blauem Seidenschimmer umgeben, hatte ein sonderbares Publikum um sich: die treue Kathi mit einer frischen weißen Schürze und auf Socken, um durch keine rauhe Berührung das köstliche Kleid zu verderben, die Frau Böhmer mit den Mienen der Sachverständigkeit und endlich den vor Freude strahlenden Nicolai, der den Lichteffekt auf dem glänzenden Faltenwurf studierte. Aber sie waren alle sehr glücklich; die Hauptperson und ihr Publikum.

Daß Magda den Geliebten mehr als acht Tage nicht gesehen, war wie ausgelöscht aus ihrem Gedächtnis. Sie bebte vor Freude auf die kommenden Stunden. –

Das Trachsche Haus erstrahlte in Licht, und das Vestibül war wegen der zu erwartenden allerhöchsten Herrschaften mit Lorbeeren und Blumen wunderbar geschmückt. Oben in den Sälen war es schon sehr voll. Magda konnte schwer bis zu Hortense vordringen, und als sie sich ihr gerade nähern wollte, eilte die Hausfrau davon. Man hatte ihr das Zeichen gegeben, daß der Wagen der herzoglichen Herrschaften nahe, und sie hatte dieselben im Vestibül zu empfangen, unter dem Beistand des unten im Hause wohnenden Oberst von Waldheim.

Oben entstand eine drängende Bewegung. Magda fand sich neben einigen bekannten Damen bald eingekeilt, als die Gesellschaft zur Ruhe kam und eine Gasse für die Hoheiten gebildet hatte. Nun erst sah Magda ein bißchen umher.

Hier in der Menge der weißen, gelben, hellblauen und rosa Kleider, die zum Teil von Putz reich glänzten, schien sich die strahlende Pracht ihres eigenen Gewandes zur Bescheidenheit zu verflüchtigen. Aber das machte Magdas Laune nicht sinken. Eher schon, daß sie gar nichts von René sah.

Drüben stand Lilly von Wallwitz, vorn in der Reihe. Sie war sehr keck angezogen, in lebhaftem Gelb, und opalisierende Schmetterlinge waren an ihrer Taille, ihren Schultern, auf ihrem Rock befestigt.

„Die Wallwitz hat wohl gedacht, es sei Maskerade,“ sagte eine Dame. Eine andere antwortete: „Das Kleid ist aus Paris und es ist neueste Mode.“

Magda mußte immer hinsehen.

Dann wurde es still, man verneigte sich, die Hoheiten passierten. Alles drängte nach zum Musiksaal.

Dort war ein Podium errichtet, darauf ein Flügel stand.

Die Herrschaften nahmen Platz, hinter ihnen, soweit der Raum gestattete, die übrige Gesellschaft. Die Mehrzahl der Herren mußte zu ihrer Freude in den anderen Zimmern und Sälen sich verteilen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_742.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)