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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Das Konzert konnte beginnen. Hortense erbat die gnädige Erlaubnis dazu von der Herzogin, und alsbald betrat René das Podium. Er hatte sich an der einen Seitenwand des Saales mühsam entlang drängen müssen.

Magda empfand einen kurzen Augenblick Unbehagen. Ihr schien es, als sei René durch das Podium von der Gesellschaft getrennt, als gehöre er nicht zu ihr, jetzt, da er so „auftrat“. Sie erinnerte sich ganz genau, von welch hohem Standpunkt aus früher ihr Papa auf alle ausübenden Künstler herabgesehen. Sie wunderte sich, wie ihr das so anflog. Und sie lächelte wehmütig in sich hinein: was würde ihr Vater sagen, wenn er wüßte, daß sie für Geld malte! Plötzlich wallte noch ein kleiner nachträglicher Trotz in ihr auf gegen die einstigen Ansichten des Papas. Die hatten sich ihr unbemerkt so eingeprägt, daß sie offenbar Spuren in ihrer Seele hinterließen. Sie pochte innerlich darauf, daß sie auch zur „Kunst“ gehöre, und bat René im Geist die kleine Vorurteilsanwandlung ab.

Nun begann er zu spielen. Er hatte so recht die Kapellmeisterart, den Flügel zu behandeln: mit etwas hartem Anschlag, aber ungemeiner Klarheit des Vortrages. Auch wußte er dem Instrument wahrhaft orchestrale Macht und Färbung des Tones abzuringen. Er spielte aus der Partitur.

Das eigentlich musikalisch Großartige seines Vortrages verstanden keine zehn Menschen im Saal.

Als die „Zenobia“-Ouverture beendet war, richtete die Herzogin einige leutselige und verständnislose Worte an René. Er ließ sie mit ergebener Höflichkeit an seinem Ohr vorbeigehen.

Dann sang Bärwald eine endlose Sache in einer sehr befremdenden Deklamation, worauf René noch den Triumphmarsch spielte, unter dessen Klängen in der Oper Zenobia von Aurelian den Römern vorgeführt wird.

Die Herzogin überschüttete ihren Gemahl mit Komplimenten, als habe er die Oper komponiert und soeben selbst gespielt. Als das letzte Wort der Bewunderung gesagt war, atmete sie auf und die ganze „Zenobia“ fiel bei ihr gleichsam wie in eine Versenkung.

Die Herrschaften hielten Cercle, nahmen noch eine Erfrischung an und zogen sich zurück. Nur der Erbprinz Arthur, des Herzogs Neffe, blieb und setzte jedermann in Verlegenheit durch seine Witze über das Werk des hohen Komponisten.

Magda hatte langsam den einen Sorgengedanken in sich auftauchen gefühlt: was René wohl leidet!

Aber allmählich kam ein freierer Ton in die Gesellschaft. Magda hoffte inbrünstig, daß René sie suchen und daß es sich so machen würde, daß sie zusammen an einem der kleinen Tische zu sitzen kämen, die inzwischen im ersten Saal aufgestellt wurden. Zu vieren und sechsen konnte man sich beliebig zu einander finden. Sibylle Lenzow hatte sich an ihren Arm gehängt und ihr zugeflüstert, daß sie Wallwitz heute abend näher kennenlernen müsse, sie solle mit ihnen zu Tisch gehen.

Da endlich trafen sie auf René. Er grüßte sehr artig und mit einer Unbefangenheit, die Magda beinahe kränkte. Sie hätte gewünscht, ein Aufblitz seiner Augen, ein besonders freudiger Ton seiner Stimme würde ihr sein Vergnügen verraten. Sibylle war kein gefährlicher Zeuge. Er überflog nicht einmal mit einem prüfenden Blick ihre Kleidung und sie hatte sich doch für ihn geschmückt.

„Es ist das erste Mal, daß ich Sie spielen hörte, Herr Hofkapellmeister,“ begann Magda.

„Meine Damen,“ sagte er und faltete die Hände, „wenn noch irgend jemand ein Wort zu mir von der ‚Zenobia‘ spricht, geschieht ein Unglück.“

Er sah wahrhaft verzweifelt aus. Sibylle lachte.

„Was hat die Herzogin zu Ihnen gesagt? Ich konnte sehen, daß Sie so ein versteinertes Gesicht machten und sich nachher besonders tief verbeugten?“ fragte sie.

„Die Herzogin hat mir gesagt, ich sei noch zu jung, um ganz die hohe Ehre zu würdigen, die mir zu teil werde durch das Einstudieren des erhabenen Werkes, bemerkte aber noch zu Höchstihrem Gemahl, dem Herzog, ich verdiene solche künstlerische Aufmunterung und werde gewiß in ihr den Antrieb zu weiterem ernsten Streben finden.“ René sah dabei Magda mit lachenden Augen an.

„Und der Herzog?“ fragte Magda glücklich, daß er es von der komischen Seite nahm.

„Der Herzog hat mir, als er dies hörte, so kraftvoll und sprechend die Hand gedrückt, wie nur eben er es kann.“

„Essen Sie mit uns? Wir sind mit dem Lieutenant Wallwitz verabredet,“ sagte Sibylle.

„Unglücklicherweise bin ich verpflichtet, Bärwald ein bißchen ins Schlepptau zu nehmen. Er ist zum erstenmal in der Gesellschaft. Wir haben uns mit einigen Herren verabredet.“

„So weit hätte er die Vorsicht nicht zu treiben brauchen,“ dachte Magda enttäuscht und malte sich aus, wie schön es wäre, wenn sie jetzt an seinem Arm als seine Braut durch die Räume gehen könnte. Die Heimlichkeit war doch schwer zu tragen.

„Ich bedaure dies um so mehr,“ setzte René hinzu, „als man so selten das Vernügen hat, Fräulein Ruhland in Gesellschaften zu treffen.“

Dabei sah er Magda herzlich an. Ihr schien sehr viel in diesem Blick zu liegen. Er ward ihr zu einer kleinen Entschädigung.

Bald nachher fand sie sich mit Sibylle, Wallwitz und dem Intendanten von Rechenbach an einem Tisch. Rechenbach war nur der Schatten eines Beamten und trat nur in die Erscheinung bei Repräsentationsgelegenheiten oder bei Budgetfragen. Der Herzog spielte selbst den Oberleiter. Unter dem Ministerium Ruhland war Rechenbach vortragender Rat gewesen, freilich kein Beamter nach Ruhlands Sinn. Von jener Zeit her hatte Rechenbach viel Sympathie für Magda, in der er ein Opfer väterlicher Tyrannei sah. So erwies er ihr bei den seltenen Gelegenheiten, die sich ergaben, viel Aufmerksamkeit.

Das Stimmengeschwirr, die Hitze, die große Helligkeit und die innere Aufregung machten Magda ganz schwindlig. Auch spähte sie immer umher, ob sie nicht zwischen den vielen glatzköpfigen grauen, schwarzen, blonden, gestriegelten Köpfen den einen gewissen dunklen Kopf herausfinden könnte.

„Unser Kapellmeister hat sich da ja eine ganz weiberfeindliche Ecke gebildet,“ sagte Rechenbach. Magda drehte den Kopf nach der bezeichneten Ecke, konnte aber doch nichts sehen. Aber es that ihr wohl, daß René, da er nicht mit ihr zusammensitzen konnte, jede andere Dame verschmäht hatte. –

Die Gesellschaft, welche sich auf dem Wallwitzschen Ball und nach dem Offiziersthee sehr über Lillys Betragen aufgeregt hatte, konnte sich beruhigen – oder vielmehr hätte Gründe gehabt, sich noch mehr zu entrüsten. Denn um René Flemming kümmerte sie sich gar nicht, aber sie saß mit Johanna von dem Busche und vier Lieutenants an einem Tisch und entwickelte gegen alle vier eine Lebhaftigkeit, die man herausfordernd nennen konnte. Sie war sprühend von Uebermut; die Herren kamen von einem Entzücken in das andere und versicherten, „so etwas“ von „Verve und Chic“ sei in Leopoldsburg noch nicht dagewesen. Lilly war schon deshalb so lustig, weil René keine Dame führte. Sie hatte ihm nur die allerältesten Jahrgänge erlaubt. Es that ihr wohl, daß er, da er nicht mit ihr zusammensitzen konnte, jede andere Dame verschmäht hatte. –

Später geschah es, daß Lilly auf Sibylle zuflog und sie küßte und nebstbei dem Bruder die Hand gab. Walfried war sehr befriedigt, daß seine lebhafte kleine Schwester heute ihre Keckheiten an eine andere Adresse richtete als an die Flemmings. Solche starken Kokettierverhältnisse ohne Ernst und Ziel waren ihm verhaßt. Sie raubten in seinen Augen einer Dame den Zauber der Vornehmheit und brachten den Mann in Gefahr, sich wirklich und hoffnungslos zu verlieben. Wenn sie aber jedesmal mit einem andern so wichtig that, mochte man es für ein noch ungezügeltes Restchen Mädchenwildheit nehmen.

Magda stand am Arm des Herrn von Rechenbach noch daneben, man hatte eben erst den Speisesaal verlassen.

„Pardon,“ sagte Sibylle, „Ihr kennt Euch nicht: Lilly von Wallwitz – Magda Ruhland, meine Freundin,“ schloß sie mit etwas starker Betonung.

Die braungoldenen Augen schlossen sich ein wenig und ein hochmütiger Blick flog über Magda hin.

„Mir ist doch so – – ah, wir sahen uns einmal in der Oper,“ bemerkte Lilly halb fragend.

Für einen Augenblick fühlte Magda wie ein gereiztes Schulmädel. In eiskaltem Ton sprach sie: „Ich erinnere mich nicht.“

Und erinnerte sich nur zu genau an dieses aufdringliche, schöne Mädchengesicht.

Lilly dachte nicht daran, sich zu ärgern. Ueber die ablehnende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_743.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)