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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Gesellschaft in ein lautes Lachen aus. „Um Gottes willen, lassen Sie nur endlich das dumme Buch weg,“ rief Emma unter Lachthränen errötend, „das gehört mir ja gar nicht!“

„Wie, es gehört Ihnen gar nicht?“ wiederholte Leonhard Mülhens hilflos fragend.

„Nee, lieber Herr Referendar,“ meinte der Hauptmann a. D. und Weingutsbesitzer, „das dürfen Sie dreist glauben, so was gehört meiner Tochter nicht, am wenigsten nimmt sie es mit auf die Reise, um im Zoologischen Garten drin zu lesen. Die hat was von meiner Art, die steckt ihre Nase lieber in den Weinberg als in Gedichtbücher, gelt, Emma?“

„Aber – wem gehört das Buch denn?“ stotterte der verkannte oder vielmehr glücklicherweise unerkannte Dichter.

„Ja, sehen Sie,“ erklärte Emma, „das weiß ich doch nicht! Ich fand es eben auf der Bank, als ich da ein bißchen ’rumgegangen war, weil es mir oben auf der Terrasse zu dumpf war. Und nachher, als Sie da kamen, da meint’ ich erst, es wär’ Ihres und Sie wollten es wieder haben. Aber wie Sie es mir da nachbrachten, da hab’ ich es eben angenommen, weil ich mich doch nicht mit Ihnen darüber des langen verständigen konnte.“

„Hören Sie mal, mein lieber junger Freund, Sie haben sich und meiner Nichte da einen netten juristischen Knoten geknüpft,“ bemerkte der Geheimrat lachend. „Fund, oder aber Aneignung fremden Eigentums – he?! Nehmen Sie sich in acht, die Sache scheint mir nicht geheuer!“

„Nun,“ sagte Leonhard Mülhens, indem er mit einer plötzlichen Ueberwindung seiner Schüchternheit das Glas gegen Emma erhob und ihr fest in die Augen sah, „auf jeden Fall sind wir zusammen schuldig!“ Und sie nickte errötend, stieß mit ihm an und erwiderte lachend: „Prosit, Herr Mitschuldiger!“

„Nun seh’ einer diese jugendlichen Verbrecher!“ meinte der Geheimrat und füllte die Gläser.

Sechs Wochen darauf kehrte Leonhard Mülhens von einer für ihn sehr wichtigen Reise in den Rheingau zurück nach Köln, und sein erster Gang galt dem Verleger der „Minnelieder am Rhein“. Er fand den trefflichen Mann gerade beim Nachtisch, mit einer Flasche Mosel und einer Cigarre beschäftigt. „Nehmen Sie Platz, eine Cigarre und ein Glas,“ sagte er, „und dann teilen Sie mir, bitte, zuvörderst mit: kommen Sie als Mensch oder als Autor?“

„Beides,“ erwiderte Leonhard Mülhens. „Und als beides glücklich.“

„Ein seltener Fall,“ versetzte der Verleger, „erklären Sie mir das doch deutlicher!“

Nun erzählte ihm Leonhard Mülhens die ganze Geschichte seines Glücks von seiner ersten Begegnung mit Emma bis zur gestern gefeierten Verlobung. Der Verleger hörte mit dem innigsten Vergnügen zu.

„Wissen Sie auch,“ bemerkte er dann, als Leonhard seinen Bericht geendet hatte, „daß Sie das alles allein mir zu verdanken haben? Denn ich will es Ihnen nur gestehen: das Buch hatte ich selber auf die Bank gelegt und mich dann gegenüber im Gebüsch versteckt, um zu sehen, ob nicht wenigstens gratis mal ein Exemplar an den Mann zu bringen wäre. Ein nettes Ergebnis, das kann ich wohl sagen! Ihr Fräulein Braut war die sechste, und daß die es auch nicht behalten wollte, wissen Sie ja selber am besten. – Und nun wollen Sie mir’s wohl wiederbringen, was? Es ist doch merkwürdig, solche lyrischen Gedichtbücher sind wie ein australischer Bumerang, die kehren immer wieder in die Hand des Schützen, beziehungsweise des Verlegers zurück.“

„Diesmal aber nicht,“ erwiderte Leonhard Mülhens friedlich lächelnd. „Das Exemplar behalten wir!“

Der Verleger nickte. „Wir, sagen Sie – also weiß sie doch jetzt, wer dieser Beatus Rhenanus ist? Das ist recht – ein richtiges Brautpaar darf keine sündhaften Geheimnisse voreinander haben. Aber sagen Sie ’mal, haben Sie denn nun das Dichten ganz aufgesteckt?“

Auf Leonhards Gesicht zeigte sich einen Augenblick das alte schüchterne Erröten. „Im Gegenteil,“ sagte er, „ich dichte jetzt jeden Tag. Aber die Sachen sind natürlich nur für meine Braut, sie liest sie mit Feuereifer und lobt sie, und das genügt mir. Gedruckt wird nichts davon, wir behalten unsere Poesie für uns.“

„Bravo, lieber Freund,“ rief der Buchhändler und klopfte ihm herzhaft auf die Schulter, „so gefallen Sie mir! Sehen Sie, wenn Sie sich auf dieser Höhe halten – ein glücklicher Bräutigam und zugleich ein Lyriker, der aufs Gedrucktwerden verzichtet – da sind Sie wirklich Beatus Rhenanus – ein glückseliger Rheinländer!“



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Zu Fuß um die Erde.

Von K. von Rengarten.[1]
Auf den Trümmern von Kutschan.

Durch Persien führte mein Weg; es war im „wunderschönen“ Monat Mai, da ich, von Dorf zu Dorf wandernd, über den Gebirgsrücken des Aladagh dahinzog. Die trostlose Kewirsche Salzwüste lag längst hinter mir und schon seit mehreren Tagen hatte ich Gelegenheit, mich des frischen Grüns zu erfreuen, in dem die Landschaft um mich her prangte. Wälder gab es freilich hier wie auch sonst in Persien nicht, aber die Fülle herrlicher Blumen, die Menge üppiger Felder und Wiesen um mich her gewährten ein so heiteres Bild, daß es mir kaum glaubhaft erschien, in kürzester Zeit den schrecklichsten Anblick meines Lebens vor Augen haben zu sollen. Das vorläufige Ziel meiner Wanderung war ja Kutschan, die feste Stadt in der persischen Provinz Chorassan, die einst an 20000 Einwohner gezählt hatte und über die kurz vor meiner Ankunft schlimme Schicksalsschläge, Erdbeben und Aufruhr, ergangen waren.

Gleich hinter Sawsewar hatte der Weg begonnen, steil in das Gebirge emporzustreben, und schon nach einem halben Tagemarsch befand ich mich in einer Höhe von etwa 1600 Metern über dem Meeresspiegel. Gottlob: da oben wehten frischere Lüfte; noch vor kurzem hatte ich die Glut von +40° R. erdulden müssen, heißen Tagen waren schwüle Nächte gefolgt; hier waren zwar die Tage gleichfalls heiß, aber die Nächte erquickend kühl.

Von dem höher gelegenen Dorfe Gala-Plow erblickte ich endlich Kutschan – ich schaute in ein weites Thal hinab, in dem sich ein langer grüner Streifen ausdehnte. Näher kommend, erkenne ich in ihm rechts herrliche von Obstbäumen und Pappeln bestandene Gärten, links aber ganze mit Weinreben bepflanzte Felder. Dazwischen leuchten in der Mitte weiße Punkte hervor. Noch ein kleiner Marsch und klarer werden die Einzelheiten des Landschaftsbildes; die weißen Punkte werden zu Zelten; die Bäume treten auseinander und der Blick fällt auf die Trümmer von 8000 menschlichen Behausungen, die nicht etwa emporragende Ruinen, sondern einen wirr durcheinander geworfenen Haufen von Ziegeln und Lehmblöcken bilden. Kein Haus ist hier stehen geblieben! Die Sonne leuchtet vom wolkenlosen Himmel nieder; durch die Sohlen der Stiefel merkt man, wie heiß der Boden ist, es darf daher nicht wunder nehmen, wenn in den Tagesstunden stets ein Leichengeruch über Kutschan schwebt, denn unter jenen Trümmern schlafen ja noch heute Tausende von erschlagenen oder verhungerten Männern, Weibern und Kindern dem jüngsten Tage entgegen.

Vor der ersten am 17. November 1893 erfolgten Katastrophe besaß Kutschan 8000 Wohnhäuser, eine über 500 Jahre alte Moschee, in welcher der als heilig geltende Sultan Ibrahim oder Imam Sädä, der Sohn des Meschheder Heiligen Imam Mirsa, beigesetzt ist, 4 große Karawanseraien, eine Mädrässé (Schule zur Ausbildung von Priestern), eine Menge großer Badehäuser und einen Bazar, der vier- bis fünfhundert Magazine in sich barg. Die Einwohnerzahl betrug etwa 22000 Personen und an jenem Tage sollen 8000 Fremde dort geweilt haben.

Ich war im Zelte eines ansässigen Armeniers abgestiegen, zu dem ich freundlichst durch seine Landsleute in Sawsewar und Teheran empfohlen wurde. Er hatte beide Katastrophen überlebt, nach der zweiten war er jedoch in wenigen Tagen vollständig ergraut. Er erzählte Folgendes:

Nachdem es längere Zeit hinter einander leichte Erdstöße gegeben hatte, begab er sich, an ähnliche Erscheinungen gewöhnt,


  1. Vergl. „Gartenlaube“ S. 298 des laufenden Jahrgangs.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_767.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)