Seite:Die Gartenlaube (1895) 778.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

geschlagen, das Holz der alten bog sich stöhnend und richtete sich knarrend wieder auf.

René horchte, versuchte seine Gedanken auf Magda zurückzulenken, horchte wieder und sah sich plötzlich in einer anderen Welt. –

Durch die Säulenhallen des Tempels der heiligen Margarete zog eine Nonnenschar. Tief und mächtig brauste die Orgel, aber klar gegliedert hob sich ein achtstimmiger Doppelchor von ihren Tonwogen ab. René hörte genau die Frauenstimmen und zwischen ihnen die seiner Heldin, der Lucrezia Buti. Wuchtige Posaunenklänge trugen den Chor. Das Ganze stand vor ihm wie ein lichter Bau mit schlanken Säulen und farbigen Glasfenstern, auf dem monumentalsten Fundament.

Doch jäh zerriß die fromme Stimmung: Filippo Lippi, der bebend hinter einer Säule geharrt, trat vor. Er hörte die Tenorstimme des Mönchs ganz deutlich deklamieren. Die Geigen und Oboen stimmten ein vibrierendes Motiv an, und verzehrendes Liebesverlangen bebte in der Musik.

René hatte Thränen in den Augen; eine tiefe Rührung hatte ihn ergriffen.

Brausend rauschte hoch über ihm der Sturm weiter.

Die Naturgewalt einer übermächtigen Liebe, die das Leben und den Tod besiegt, durchglühte ihn. War es eigenes Fühlen, war es die Liebe seines Helden? Unentwirrbar verschmolz sein Dasein in eins mit dem jener Geaalt, der sein Schaffen Leben gab.

René ging immer hastiger. Seine Gedanken arbeiteten mit unerhörter Sammlung und Schnelligkeit. Er unterschied nicht mehr, ob das wogende Tönen um ihn Stimmen der Luft waren, oder ob sie ganz allein in seiner Vorstellung erklangen.

So verflossen Stunden.

Und plötzlich merkte René auf: ein mattes Licht blinkte nahe vor ihm, ein Pferdewiehern und ein Hundegebell hob laut an und verflog schnell in der Luft, denn der Sturm stieß den Schall vor sich her. Von einem Kirchturm schlug es mit blechernen Tönen zehn – mit ungleicher Stärke kamen die Schläge bis zu René.

Er war fünf Stunden gewandert, der Schweiß rann ihm von der Stirn, seine Kniee bebten von der großen Anstrengung. Er wußte nicht, wo er war.

Aber wohl war ihm! Und frei, weit, groß war’s ihm in der Brust.

Nur fünf Stunden? Es war ihm, als seien Tage verflossen, als habe der Herbststurm, der über ihn daherbrauste, eine neue Jahreszeit auch in seine Seele geweht. Er fühlte sich unbeschreiblich reich.

Als er dem Licht näher kam, begriff er, wo er war. Oft im Sommer fuhr er mit guten Bekannten hier hinaus. Der große Marktflecken war mit Leopoldsburg durch eine Sekundärbahn verbunden, die sich durch Hügeleinschnitte hierher wand. Im Wirtshaus „Zum Posthorn“, das vor dem Ort am Walde lag, ward bei solchen Ausflügen fröhliche Einkehr gehalten.

(Fortsetzung folgt.)

Vor der Berufswahl.

Warnungen und Ratschläge für unsere Großen.
Die Tierheilkunde.

Sie war lange verachtet und ist doch endlich zu Ehren gekommen, die alte und neue Schwester der Medizin – die Tierheilkunde. Im Altertume und Mittelalter als unbeachteter Nebenzweig mit ihr verbunden, litt sie an gleichen Fehlern und zeigte nur hier und da die Spur einiger Selbständigkeit. Auch noch lange in der Neuzeit kam sie nicht über die Stufe der tastenden Versuche hinaus, was erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts geschah; von da ab entwickelte sie sich selbständig auf rein wissenschaftlichem Boden und so erfreut sie sich zur Zeit einer wissenschaftlichen Abgeschlossenheit, welche zu den schönsten Hoffnungen berechtigt.

Ueber den eigentlichen Beginn der Tierheilkunde wissen wir nichts Bestimmtes; doch dürfen wir annehmen, daß sie von der Zeit an bestand, wo sich der Mensch nutzbare Haustiere hielt und noch als Nomade auf der Erde umherzog. In geschichtlicher Zeit finden sich die ersten Andeutungen ihrer Existenz bei den Aegyptern, Hebräern und Indern, von welchen uns Darstellungen über Verabreichung von Arzneien an Rinder, Gesetze über Fleischgenuß und tierärztliche Schriften erhalten blieben. Bei den Griechen und Römern erfreute sie sich in der Zeit vor Christus keiner nennenswerten Blüte; nur ein ihr zugehöriger kleiner Teil, die Anatomie, wurde wissenschaftlich von Aerzten behandelt, da damals Untersuchungen menschlicher Leichen nicht üblich waren. Gelegentlich finden sich Notizen über Tierkrankheiten und tierische Operationen bei Schriftstellern und Philosophen, so bei Xenophon, Aristoteles, Cato und Varro. Die praktische Tierheilkunde lag wohl ausschließlich in den Händen abergläubischer Hirten. Uebrigens schlich sich das Element der Fabel vielfach auch in die tierärztlichen Mitteilungen der genannten Autoren ein.

In den ersten vier Jahrhunderten nach Christus bildete sich, wenn auch nur in sehr beschränkter Weise, ein tierärztlicher Stand aus, dessen Vertreter wie Columella, Apsyrtus und Vegetius umfangreiche Schriften hinterließen. Aus der Zeit des Kaisers Constantinus Porphyrogeneta (912–959) stammen mehrere Sammelwerke, die uns das gesamte Wissen des Altertums auf dem Gebiete der Tierheilkunde überliefern. Die tierarztlichen Schriften des Mittelalters sind fast ausschließlich abgefaßt von Stallmeistern und Pferdeliebhabern, betreffen nur das Pferd und haben keinen Anspruch auf wissenschaftliche Bedeutung. Auch die Anatomie des Pferdes von Carlo Ruini blieb ohne Einfluß auf die Tierheilkunde, die selbst in der Neuzeit noch lange daniederlag, bis in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein Wendepunkt eintrat.

Durch die verschiedenen internationalen Kriege (Spanischer Erbfolgekrieg 1701–1713, Nordischer Krieg 1700–1721, Siebenjähriger Krieg 1756–1763) hatte sich die Rinderpest fast über ganz Europa verbreitet. Unglaublich klingen die Verluste, welche diese verheerende Seuche verursachte: 1711–14 verendeten 1½ Mill., 1745–52 an 3 Millionen, in Dänemark allein 1745–52 über 2 Millionen Rinder. Der Gesamtverlust an Rindern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland wird auf 30 Millionen, in ganz Europa auf 200 Millionen Stück geschätzt und kommt einer Summe von 30 Milliarden Mark gleich. Hierdurch wurden die verschiedenen Staatsregierungen auf die Wichtigkeit der Tierheilkunde aufmerksam, und es entstanden zuerst in Frankreich, bald darauf in vielen anderen Staaten die damaligen Tierarzneischulen. In Deutschland gingen verschiedene dieser Anstalten im Laufe unseres Jahrhunderts wieder ein; zur Zeit besitzen wir davon noch 6, die 1887 zu Hochschulen erhoben wurden. Bei weitem die größte unter ihnen ist die tierärztliche Hochschule zu Berlin mit über 400 Hörern, dann folgen München, Hannover, Dresden und Stuttgart. Direkt mit der Universität verbunden ist allein das Veterinärinstitut zu Gießen. Außerdem bestehen in Deutschland noch an verschiedenen Universitäten veterinär-medizinische Lehrstühle, die aber hauptsächlich nur für Landwirte bestimmt sind.

In früheren Jahren war die erforderliche Vorbildung zum Beginn des tierärztlichen Studiums überall nur sehr gering; sie wurde allmählich gesteigert, ist aber noch jetzt in den einzelnen europäischen Staaten eine sehr verschiedene. In Deutschland wird seit 1878 das Zeugnis für die Prima eines Gymnasiums oder Realgymnasiums verlangt. Gleichzeitig wurde eine Studienzeit von 7 Semestern festgesetzt; doch kann hiervon keines zur Absolvierung der Militärzeit benutzt werden, wie dies bei den Medizinern der Fall ist.

Die tierärztlichen Disciplinen sind so verteilt, daß in den drei oder vier ersten Semestern die naturwissenschaftlichen Fächer erledigt werden; die übrige Zeit bleibt nach einem bestandenen „Physikum“ für die klinischen Abteilungen. Die Vorlesungen und praktischen Kurse, sowie der klinische Unterricht sind ganz nach dem Muster des medizinischen Studiums an den Universitäten eingerichtet, ebenso das im Beginne des 8. Semesters abzulegende Approbationsexamen.

Ein nach zwei oder drei Jahren praktischer Thätigkeit zu bestehendes Staatsexamen berechtigt den approbierten Tierarzt zum Eintritt in den Staatsdienst.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_778.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)