Seite:Die Gartenlaube (1895) 829.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Das Kreisstehen in der Christnacht.

Eins aus dem steirischen Volksleben von Peter Rosegger.

An einem Dezemberabend kam der Bettelmann zu uns ins Waldbauernhaus. Er war noch nicht betagt, war nicht mühselig, aber er bettelte. Er stehe sich beim Betteln besser, meinte er, als beim Arbeiten. Erstens sei im Winter bei den Bauern schwer eine Arbeit zu bekommen, zweitens sei das Holzhacken im Schnee weniger angenehm als das Sitzen in der warmen Stube als „Statthalter Gottes“. Damit spielte der Schalk auf den Pfarrer an, der gerne predigte über den Text, daß der Herr Jesus heute noch auf Erden wandle, und zwar in Gestalt der Armen, und daß, was man den Armen thue, ihm selbst gethan sei.

Diese schöne Lehre der Barmherzigkeit verstand der Bremer-Sepp – wie er hieß – nicht übel auszunutzen und so saß er in den Bauernstuben herum, einmal am Herde, einmal am Tische, dann wieder neben dem Strohschaub, den er als Bett erhielt unter dem Ofen. Freimütig gesagt, waren aber die Bauern in unserem Alpel immer noch nicht evangelisch genug gesinnt, um eine solche Statthalterschaft recht zu schätzen, sie duldeten den Faulenzer aus einem andern Grund. Etliche Wochen früher war der Bremer als Verabschiedeter vom Militär zurückgekommen. Seine Verwandten waren während seiner Abwesenheit gestorben, er fand kein Heim mehr, nachdem er zwölf Jahre lang bei den Soldaten gewesen. Aber er wußte sonderlei Merkwürdigkeiten zu erzählen von der weiten Welt und aus seinem Leben als Tambour, er kannte auch viel wundersame Geschichten, Märchen und hatte allerhand Schnurren und Schwänke in sich, mit denen er die Leute an den langen Abenden gar köstlich unterhielt. Dem Hausvater war stets daran gelegen, daß die Knechte und Mägde beim Späneklieben, Rübenabkräuteln, Krautschaben und Flachsspinnen nicht allzufrüh schläferig wurden und dann etwa von der alten Gewohnheit, um neun Uhr ins Bett zu gehen, Gebrauch machten. Der Bremer packte seine „Faxen“ aus, sie bewunderten, sie lachten, sie schauderten und blieben oft bis gegen Mitternacht bei der Arbeit.

Am Kreuzweg in der Christnacht.
Nach einer Originalzeichnung von F. Schlegel.

So hat sich der „Statthalter“ erklecklich ausgezahlt und wir, die jüngeren, hatten an dem vielerfahrenen Manne einen lustigen Lehrmeister, dem besonders ich etwelches zu verdanken habe; manche meiner Geschichten, die erst in späten Jahren reif geworden, hat damals der Bremer gesät. Wenn der Bettelmann Gefahr witterte, daß er am nächsten Tage mit seinem Tragkorbe höflich weitergeschickt werden könnte zum Nachbar, so hub er am Abende zuvor eine gar wunderbare Begebenheit an zu erzählen und verschob die Fortsetzung auf den nächsten Abend. In alten Zeiten hat diesen Spaß schon die berühmte Scheherezade erprobt, heute wiederholen ihn die Zeitungen, er bewährt sich immer und den Bremer haben sie nirgends fortgeschickt, bevor er eine merkwürdige Geschichte zu Ende erzählt.

So war der Bremer Sepp also auch bei uns eingetreten mit der artigen Bitte, er möchte seine verfrorenen Beine gerne ein wenig wärmen an dem Herdfeuer. Meine Mutter riet ihm das Schneeschaufeln, das mache auch warm.

„O, meine liebe Waldbäuerin!“ rief der Bremer, „warm macht’s freilich, aber helfen thut’s nichts; schaden thut’s. Die sündteuren Schaufeln wetzt man dabei ab und morgen schneit es doch wieder alles zu. Und wenn’s nicht zuschneit, so ist’s noch schlimmer bei der unsicheren Zeit, wo die Schelme und Räuber frei truppenweise umherziehen bei der Nacht. Sich gut in Schnee einmauern lassen und das Haus mit Mannerleuten besetzen, auch mit solchen, die von Wehr und Waffen ’was verstehen, ist das allerbeste, was gescheite Waldbauersleute thun können.“

Wir im kargen Waldhause hatten zwar nie besonderen Anlaß,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_829.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)