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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

bald auf die ansehnlichen Trümmer der Burg Rabinswalde, einer Feste der sächsischen Kaiserzeit, später Sitz eines Grafenhauses, an das sich phantastische Erzählungen knüpfen.

Die Kastanie im Park von Lodersleben.

In Rankes Berg selbst aber ragt zwischen jüngeren Obstbäumen, die zum Teil Leopolds Vater, Justizkommissar der Freiherren v. Werthern in Wiehe, gepflanzt, ein uralter riesiger Birnbaum empor, in seinem Ursprung noch auf die Cisterzienser von Hechendorf zurückgeführt, mit knorrigem Geäst, weitschattend, bewundernswürdig in seiner zähen Lebenskraft, ein Wahrzeichen der Umgegend, wie der Birnbaum in „Hermann und Dorothea“. Er spielt in Rankes Kindheitserinnerungen die gebührende Rolle, und bei seinen Ferienbesuchen bis an den Tod der Eltern in seinem einundvierzigsten Jahr hat er ihn unzähligemal fröhlich und sinnig wiederbegrüßt; so gut wie das schlichte Vaterhaus an der Straßenecke zu Wiehe, von dem er als alter Herr so rührend einfach erzählt: „In der Gasse neben dem Hause lagen Bauhölzer, auf denen bin ich oft stundenlang auf und ab gegangen. Alles das, was ich gelesen hatte, arbeitete dann in meinem Gehirn, ich brütete über Gott und Welt. Geschrieben wurde nichts; kein Mensch fragte mich, was ich dachte, ich selbst vergaß es wieder.“ Für uns Großstädter von heute – welch ein altertümlicher Reiz in diesem Bilde!

Rankes Mutter war die Tochter eines Rittergutsbesitzers in Weidenthal bei Querfurt; dort im großväterlichen Hause hörte der Knabe, was er nie vergessen hat, eines Tages bei Tisch den damals die Welt erfüllenden Namen Napoleon erklären. Aber auch an altdeutschen Erinnerungen fehlt es dort oben so wenig wie im Thal. Am Fuße des weithin sichtbaren Schlosses der Grafen von Querfurt mit seinem gewaltigen Rundturm, dem „dicken Heinrich“ nach der volkstümlichen Bezeichnung, entspringt der „Braunsbrunnen“; er ist nach Bruno von Querfurt, dem ersten Apostel der heidnischen Preußen, benannt, und noch alljährlich hält bei der Reinigung des überwölbten Quells die Gemeinde Thaldorf ein feierliches Brunnenfest ab. Eine Stunde westlich von Querfurt liegt Schloß Lodersleben, dessen Namen man, wie den des zerstörten Klosters Lotharsburg unweit davon, mit dem Kaiser Lothar dem Sachsen in Verbindung bringt. Mit dem Gutsherrn von Lodersleben, Rittmeister von Kotze, vermählte sich Rankes Tochter Maximiliane – nach dem Paten, König Max II. von Bayern, Rankes Schüler und Freunde, so getauft; und das gab dem greisen Historiker, besonders nachdem er 1871 die Gattin verloren, Gelegenheit zu wiederholten Besuchen der lieben heimatlichen Fluren.

Auch der Park von Schloß Lodersleben aber rühmt sich eines mächtigen, uralten Baumes; es ist eine Kastanie von großartigem Umfang, die mit ihren auf den Boden reichenden Aesten ein erquickliches Ruheplätzchen umschirmt. Schon seit Jahrzehnten hat man die Last des Gezweigs durch Stangen und Bänder stützen und umklammern müssen. Dort nun weilte, ruhte, sann und träumte der alte Ranke besonders gern und dort hat er am Abend des 28. Juli 1876 dem Sekretär seines Schwiegersohns in beschaulicher Stimmung das beziehungsreiche Gespräch zwischen Birnbaum und Kastanie diktiert, das wir als erste kleine Reliquie zur Feier des Jubiläums unseren Lesern nach der Abschrift mitteilen, welche die „Gartenlaube“ jenem mit der Niederschrift Betrauten, dem jetzigen Bürgermeister Tänzel in Cölleda, verdankt:

Rankes Geburtshaus in Wiehe.
(Das Eckhaus mit dem Straßenschild.)

Birnbaum: Du gehörst mir an! denn ich habe gesehen, wie Deine Mutter Dich auf dem Arme trug und wie Du Deine Kindesaugen an dem Grün des Gebüsches um mich her weidetest; dann bist Du alle Jahr wieder gekommen bis in Dein hohes Alter und hast Deinen Besitz immer mit Freuden begrüßt.

Kastanie: Aber ich habe auch einen Anspruch auf Dich! denn in Deinem Alter bist Du regelmäßig wiedergekommen und hast Dich in meinem Schatten gelabt!

Birnbaum: Aber ich bin größer und älter, ein Wahrzeichen für die ganze Umgegend.

Kastanie: Ich bin mit meinen Aesten weiter ausgebreitet, wie so leicht kein anderes Gewächs Gottes, ich habe Männer aus weiter Ferne kommen sehen, um mich als ein Wunder der Natur anzuschauen.

Birnbaum: Ich gehörte einem alten Kloster Hechendorf an und bin durch die Mönche gesegnet.

Kastanie: Auch ich habe ein altes Kloster in der Nähe gehabt, ‚Lotharsburg‘; Du siehest noch die Ruinen.

Birnbaum: Aber bei mir hat das Deutsche Reich seinen Ursprung genommen; in der Ferne sehe ich Memleben; Heinrich der Finkler war mein Herr!

Kastanie: Ich habe mich des Kaisers Lothar zu rühmen, von dem manche Ortschaft ihren Namen erhalten hat; nicht weit von hier ist der Braunsbrunnen, von dem die erste Bekehrung Preußens ausgegangen ist.

Birnbaum: Ich glaube, zwischen Memleben und dem Braunsbrunnen hat Freundschaft bestanden.

Kastanie: Jawohl! mein Bruno war ein Freund Deiner Ottonen; und siehst Du nicht die schöne Burg, von welcher aus die Grafen von Querfurt weit und breit das Land beherrschten?

Birnbaum: Unfern von mir ist Rabinswalde, wohlbekannt in Sagen und Geschichte. Dein Turm auf dem Schloß erinnert durch seinen Namen an meinen Kaiser Heinrich. Aber wir wollen nicht weiter streiten – ich gehöre dem Vater an.

Kastanie: Aber ich der Tochter, die mehr Lebenskraft hat.

Birnbaum: Aber Du bist schon mit eisernen Stangen gestützt und wirst Dich nicht mehr lange halten.

Kastanie: Du bist an Deinem Abhang den Stürmen noch mehr ausgesetzt als ich.

Der Historiker: Wenn Ihr beide zusammenbrecht, wo wird dann mein Staub sein? (Mein Name vielleicht doch noch im Gedächtnis der Menschen.)“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 873. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_873.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)