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there and everywhere“ („Hier, dort und überall“) erschienen sind. Malortie schloß sich als junger Mann dem österreichischen Expeditionscorps an und hatte als Adjutant des Generals Grafen von Thun-Hohenstein, der in Puebla befehligte, die Pflicht, die Kaiserin von dieser Stadt bis nach Veracruz zu geleiten.

Graf Thun und Baron von Malortie ritten der Kaiserin entgegen und trafen sie abends spät in der Nähe von Rio Prieto. Charlotte hatte als leidenschaftliche Reiterin ihren Wagen nicht benutzt. Sie erschien ihnen hoch zu Roß auf der mondbeglänzten Straße, auf welche die dunklen Kaktushecken phantastische Schatten warfen. Die hohe, königliche Erscheinung der Fürstin wurde durch diese Umgebung besonders imposant. Obschon sie den ganzen Tag im Sattel zugebracht hatte, gab die Kaiserin noch am gleichen Abend, nachdem sie in zehn Minuten ein Bad genommen und ihre Garderobe gewechselt hatte, in Rio Prieto ein offizielles Diner mit nachfolgendem Empfang, wo sie bei der üblichen Steifheit der mexikanischen Damen fast allein die Kosten der Unterhaltung bestritt.
Schon dieser Umstand beweist, welche ungemein kräftige Konstitution Charlotte besaß und daß zu jener Zeit ihr Geist noch keine irgendwie bemerkbare Trübung erfahren hatte. In den Gesprächen, die sie während der Weiterreise mit Thun und Malortie führte, trug sie die festeste Zuversicht auf den guten Erfolg ihrer Mission zur Schau und zeigte sich sogar gern zu heiterem Scherz aufgelegt. Den Gegenstand zum Spott lieferte der Marschall Bazaine, den das Kaiserpaar glücklich überlistet hatte. In der Voraussicht, daß er sich der Reise Charlottens nach Europa widersetzen würde, hatte man offiziell die Halbinsel Yucatan, wo Charlotte schon früher begeisterten Empfang gefunden, als Ziel ihrer Fahrt angegeben und Befehle zum feierlichen Einzug in Campeche und den anderen dortigen Städten erteilt. Außerdem hatte man in Veracruz sechs Plätze auf dem nach Brest fahrenden Schiffe „Impératrice Eugénie“ angeblich für zurückkehrende Offiziere belegen lassen. Selbst der die Kaiserin begleitende mexikanische Minister des Aeußern Castillo erfuhr erst in Veracruz, daß die Herrscherin nicht nach Campeche hinüberfahre. Er wollte die Nachricht sofort nach Mexiko telegraphieren, aber Graf Thun hatte in weiser Vorsicht das Telegraphenamt besetzen lassen und gestattete seine Benutzung erst eine Stunde nach der Abfahrt der Kaiserin. Bazaine geriet in Wut, als er die gelungene List erfuhr, und telegraphierte den Befehl, das Schiff einzuholen und die Kaiserin zurückzubringen. Aber der Vorspruug der „Impératrice Eugénie“ war zu bedeutend, als daß der in Veracruz liegende Kreuzer sie hätte einholen können.

Für die weiteren Ereignisse der Reise ist Malortie nicht mehr Augenzeuge, aber seine Quellen sind die denkbar besten. Die Freundin und Hofdame Charlottens, die Gräfin del Barrio, welche vor zehn Jahren gestorben ist, erzählte ihm im Jahre 1868 in Paris den Hergang und von Graf Bombelles, der vor wenigen Jahren dem Kronprinzen Rudolf, dem er als Hofmarschall diente, im Tode nachfolgte, und von Mora, dem damaligen mexikanischen Gesandten in Paris, wurden ihm alle ihre Angaben bestätigt. Frau del Barrio versicherte ihm zunächst, daß Charlotte auch auf dem Schiffe ihr körperliches und geistiges Gleichgewicht vollständig bewahrte und daß die erste Wolke des Verdrusses erst bei der Landung in Brest über ihre Stirne zog, als sie daselbst nur den Gesandten Mora, aber keinen Sendboten Napoleons vorfand, der sie beim Betreten des französischen Bodens als befreundete Souveränin der Etikette gemäß begrüßt hätte. Noch mehr verdüsterte sich ihr Blick, als sie von Mora erfuhr, daß der französische Hof rechtzeitig von ihrer bevorstehenden Ankunft in Kenntnis gesetzt worden sei, aber nicht einmal einen der kaiserlichen Paläste zu ihrer Verfügung gestellt habe.

Die Einfahrt im Pariser Bahnhof rechtfertigte die schlimmsten Befürchtungen. Niemand war zum Empfang da, kein Hofwagen, kein Kammerherr, kein Lakai, nicht einmal der rote Teppich, der auf den Bahnsteig gelegt zu werden pflegt, wenn fürstliche Personen die Eisenbahn besteigen oder verlassen. Nichts! Nichts! Und nun gestand auch Mora, daß er dies vorausgesehen und bereits Wagen beordert habe, um die Kaiserin und ihr Gefolge ins „Grand-Hotel“ zu bringen. Charlotte zitterte am ganzen Körper, als sie am Arme Moras den Zug verließ. Dieser unglaubliche Mangel an Höflichkeit war nicht nur eine tödliche Beleidigung für ihre persönliche fürstliche Würde, sondern auch ein unwiderlegliches Zeichen, daß sie nichts zu hoffen habe, daß das traurige Schicksal des mexikanischen Kaisertums für immer besiegelt sei. Sie brachte denn auch die erste Nacht im „Grand-Hotel“ in Thränen zu. Ein ganzer Tag verging, ohne daß der Hof von dem hohen Gaste Notiz nahm, obschon Mora seine Ankunft sofort nach Saint-Cloud gemeldet hatte, wo sich das Kaiserpaar in jenen heißen Tagen des Augusts 1866 aufhielt. Am zweiten Tag erschien endlich der erste Kammerherr des Kaisers, Graf Laferrière. Er entschuldigte den Mangel jeder Ehrenbezeigung bei der Ankunft durch ein Mißverständnis. Alles sei zum Empfang bereit gewesen, aber statt am Orleansbahnhof am Westbahnhof, wo die Züge von Brest meist ankämen. Zugleich lud er die Kaiserin zum Mittagsmahl nach Saint-Cloud ein.

Charlotte hatte diesem Besucher gegenüber ihre ganze würdevolle Fassung wiedergewonnen. Sie lehnte die Einladung zum Essen ab, versprach aber ihren Besuch für nachmittags drei Uhr. Im geschlossenen Wagen, der Charlotte am Nachmittag nach Saint-Cloud führte, nahm die Aufregung wieder überhand. Sie bekam einen nervösen Anfall und schrie laut auf, so daß Frau del Barrio fürchtete, sie müsse auf den Besuch verzichten. Aber die Fassung kehrte zurück, und als die königliche Frau im Schlosse die neue Enttäuschung erfuhr, daß das Kaiserpaar ihr nicht auf der Treppe entgegenkam, verriet kein Zucken in ihrem Gesicht die Beschämung, die sie empfand. Die Herrschaften blieben, nachdem die üblichen Vorstellungen des Gefolges geschehen waren, eine Stunde lang im Gespräch, während Frau del Barrio mit den Damen Eugeniens im Vorzimmer wartete und für ihre arme Herrin zur Jungfrau von Guadalupe betete. Was zwischen den drei gekrönten Häuptern vorgegangen, das kann heute allein noch die Kaiserin Eugenie sagen. Nach Malortie hörte Frau del Barrio im Vorzimmer, wie Charlotte, nachdem der Kaiser ihre Bitten entschieden zurückgewiesen, mit lauter Stimme ausrief: „Ich hätte nicht vergessen sollen, was ich bin und was Sie sind. Ich hätte bedenken sollen, daß Bourbonenblut in meinen Adern fließt und daß ich mein Geschlecht nicht hätte beschimpfen sollen, indem ich mich vor einem Bonaparte erniedrigte und mich mit einem Abenteurer einließ!“ Darauf fiel sie ohnmächtig zu Boden.

Der Kaiser rief sofort Frau del Barrio herein, welche Eugenie neben ihrer Gebieterin knieend und ihr die Schläfen mit Kölnischem Wasser reibend fand. Charlotte kam bald wieder zu sich. Eugenie bot ihr nun ein Glas Wasser an, aber Charlotte rief entsetzt aus: „Hinweg! Gift! Mörder! Sie wollen mich umbringen, Manuelita, rette mich!“ Mit diesen Worten schlug sie der Kaiserin das Glas aus der Hand. Dann wurde sie aufs neue ohnmächtig. Eugenie erklärte nun der Hofdame Charlottens den Vorgang. Ihre unglückliche Freundin habe mit größter Beredsamkeit ihre Sache vorgetragen, aber der Kaiser habe infolge der neuen Lage, welche die preußischen Siege über Oesterreich in Europa geschaffen und welche ihn nötige, sogar die algerischen Truppen nach Frankreich zu ziehen, nur mit einem unerbittlichen Non possumus (Wir können nicht) zu antworten vermocht. Darauf habe sich Charlottens eine große Entrüstung bemächtigt, die sich in Verwünschungen Luft machte, und dann sei sie ohnmächtig zusammengebrochen. Der österreichische Leibarzt Charlottens, Dr. Seneleder, wurde aus dem „Grand-Hotel“ herbeigeholt und ließ die Kranke sofort in fast bewußtlosem Zustande nach Paris zurückführen.

An den folgenden Tagen waren Napoleon und Eugenie von der zartesten Aufmerksamkeit für die Kranke. Sie ließen sich täglich nach der Gesundheit Charlottens erkundigen, schickten ihr Blumen und Früchte, boten ihr Compiègne und Fontainebleau als Landaufenthalt an. Aber Charlotte wollte sie nicht wiedersehen und reiste auf den Rat des Arztes sobald wie möglich nach der Schweiz. Dort fand sie den Schlaf und den Appetit wieder, aber die Besserung war nur scheinbar. Bei einer Ausfahrt erblickte sie am Straßenrand einen alten Bauer, der mit einer blumengeschmückten Flinte von einem Schützenfeste heimkehrte. Sie erklärte, er sei der mexikanische General Almonte, der ihr in dieser Verkleidung auflauere, um sie niederzuschießen. Das war ein offenbares Symptom von Verfolgungswahn, umsomehr, als Almonte von Anfang bis zu Ende einer der treuesten Anhänger Maximilians gewesen war. Da sich ähnliche Anfälle wiederholten und die kranke Fürstin dringend begehrte, nach Rom zu gehen, um beim Papste Schutz zu suchen, gab Seneleder die Schweiz als Heilstätte auf und willigte in die Romfahrt.

In Rom beging die Kaiserin zunächst absichtlich den Verstoß gegen die Etikette, daß sie sich im Hut und nicht im Schleier zur Audienz beim Papst begab. „Du scheinst zu vergessen, Manuelita,“ sagte sie zu Frau del Barrio, „daß Kaiser und Kaiserinnen die Etikette beherrschen und sich nicht von ihr beherrschen lassen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0011.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)