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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

nicht zu der Persönlichkeit der Sprechenden, die schon in vorgerückten Jahren stand. Sie war schwarz gekleidet und trug einen ungeheuren Sonnenschirm in der Hand, sah aber nichts weniger als hilfsbedürftig aus. Es war eine lange, hagere Gestalt, mit scharfen Zügen und sehr energischem Gesichtsausdruck. Ihre junge Begleiterin, ein zartes kleines Wesen, mit einem lieblichen, etwas blassen Gesicht, blondem Haar und hellen Augen, war gleichfalls in Trauer gekleidet. Sie sah ungemein schüchtern und ängstlich aus und hielt sich dicht an der Seite ihrer Gefährtin, als müßte sie Schutz bei derselben suchen.

„Es ist durchaus nicht meine Gewohnheit, meine Patienten schlecht zu behandeln,“ erklärte der Doktor, der Mühe hatte, ernst zu bleiben, „also, meine gnädige Frau –“

„Unvermählt!“ unterbrach ihn die Dame in einem beinahe entrüsteten Tone.

„Ich bitte um Entschuldigung. Also, mein Fräulein, womit kann ich Ihnen dienen?“

Das Fräulein sah ihn noch einmal scharf an, wie um sich zu versichern, ob es ihm mit der zugesagten guten Behandlung ernst sei, schien dann aber in der That Vertrauen zu fassen und begann nun in aller Form die Vorstellung.

„Mein Name ist Mallner, Fräulein Ulrike Mallner, aus Martinsfelde in Hinterpommern. Mein seliger Bruder war Gutsbesitzer, vor zwei Jahren ist er gestorben und dies hier ist seine Witwe, Frau Selma Mallner, geborene Wendel. Vor acht Tagen sind wir in Kairo angekommen und wir wären wie verraten und verkauft hier, wenn sich Herr Sonneck nicht unserer angenommen hätte. Wir wohnen in dem gleichen Hotel und er ist der einzige Mensch dort, unter all den Engländern und Amerikanern, er hat uns zu Ihnen geschickt. So, Herr Doktor, nun wissen Sie Bescheid und nun geben Sie uns Ihren ärztlichen Rat!“

„Sehr gern,“ entgegnete Walter, während er mit einem etwas verwunderten Blick die junge Witwe streifte, die höchstens zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt sein konnte. „Wenn Sie mir nur erst sagen wollten, wem ich diesen Rat geben soll und wer von Ihnen eigentlich die Patientin ist.“

„Nun Selma natürlich,“ sagte Fräulein Mallner, in deren Schätzung der Arzt offenbar bedeutend sank, weil er das nicht gleich herausfand. „Sie hustet und deshalb mußten wir nach Afrika schwimmen. Wenn man in meiner Jugendzeit den Husten hatte, trank man Brustthee und das half immer; jetzt wird man nach allen möglichen Weltteilen geschickt und das hilft natürlich nicht, denn wir sind schon eine volle Woche hier und Selma hustet noch immer! Die Aerzte wissen ja gar nicht mehr, was sie alles erfinden sollen, um die arme Menschheit zu plagen –“

„Aber Ulrike, ich bitte Dich!“ mahnte die junge Frau leise und ängstlich und zupfte ihre Schwägerin am Kleide; diese nahm sich denn auch zusammen und lenkte ein.

„Ja so! Nun Sie sind natürlich nicht gemeint, Herr Doktor, Sie dürfen mir das nicht übelnehmen, denn –“

„Die Anwesenden sind immer ausgenommen!“ ergänzte Walter, dem die Sache außerordentlichen Spaß machte. „Seien Sie unbesorgt, mein Fräulein, Ihnen nehme ich nichts übel. Jetzt aber möchte ich doch einiges Nähere wissen. Seit wie lange sind Sie leidend, gnädige Frau, und wie äußert sich dies Leiden?“

Er wandte sich direkt an die junge Frau und diese machte auch einen schüchternen Versuch, zu antworten, aber die Schwägerin schnitt ihr ohne weiteres das Wort ab.

„Bei Selmas Lunge ist etwas nicht in Ordnung,“ erklärte sie. „Der rechte Flügel oder der linke oder alle beide, ich weiß das nicht mehr so genau, genug, irgend etwas ist los mit den Flügeln. Es heißt, sie hätte sich bei der Pflege meines Bruders überanstrengt. Er war jahrelang krank und wir haben zwei Aerzte gehabt, aber helfen konnten sie ihm natürlich nicht. Die Aerzte können ja alles mögliche, nur nicht ihre Patienten gesund machen. Beruhige Dich, Selma, Du hörst es ja, der Herr Doktor nimmt nichts übel.“

Walter verlor diesem letzten Ausfall gegenüber denn doch einigermaßen die Geduld. Er hatte eine scharfe Antwort auf den Lippen, aber die Augen der jungen Frau waren so bittend und ängstlich auf ihn gerichtet, daß er beschloß, die rücksichtslose Dame von der komischen Seite zu nehmen. Sie ließ sich auch in ihrem Redefluß durchaus nicht stören.

„Unser Hausarzt hatte sich in den Kopf gesetzt, daß ein Klimawechsel notwendig wäre, und wollte uns durchaus nach Italien schicken. Ich lachte ihn natürlich aus und wir blieben, wo wir waren. Wir haben die gesundeste Luft in Martinsfelde, nie mehr als sechzehn Grad Kälte im Winter, und das bißchen Sturm von der See ist nicht der Rede wert! Aber Selmas Husten wurde immer ärger und da ließ ich mir unglücklicherweise beikommen, eine sogenannte Autorität zu fragen, den Geheimrat Felder aus Berlin, der auf einem Nachbargute bei Verwandten zum Besuche war. Er kam, untersuchte und dann sagte er kurz und bündig: Nach Kairo!“

„So, Geheimrat Felder hat Sie hergeschickt!“ schaltete der Doktor ein. Fräulein Ulrike nickte grimmig mit dem Kopfe.

„Ja, der! Die große Autorität hat uns auf dem Gewissen! Ich dachte, mich sollte der Schlag treffen, und sträubte mich mit Händen und Füßen, aber da wurde die Autorität grob – so grob ist noch niemand zu mir gewesen – und sagte mir ins Gesicht, wo die Mittel so reichlich vorhanden wären, könnte von einer Weigerung überhaupt nicht die Rede sein. Unser Hausarzt stand ihm natürlich in allen Stücken bei und schließlich drohten sie mir, meine Schwägerin auf eigene Hand nach Kairo zu schicken. Da blieb mir denn nichts anderes übrig als zu packen. Wir reisten ab, schwammen über das Mittelmeer und nun“ – sie trat einen Schritt vor und sah den Arzt herausfordernd an – „nun sind wir da!“

„Das sehe ich,“ sagte Walter ruhig. „Und da Sie nun meinen Rat wünschen, so werde ich Frau Mallner zuvörderst untersuchen, dann wird sich das weitere finden. Ich bitte hier einzutreten, gnädige Frau!“

Er öffnete die Thür des Nebenzimmers, ließ die junge Frau vorangehen und wollte folgen, war aber genötigt, ihrer Schwägerin den Weg zu vertreten, die schon auf der Schwelle stand.

„Ich gehe mit,“ erklärte sie sehr entschieden.

„Bitte, Sie bleiben hier,“ versetzte der Doktor noch weit entschiedener und schlug ihr die Thür vor der Nase zu.

„Einer wie der andere!“ sagte Ulrike entrüstet und setzte sich so nachdrücklich in einen Armstuhl, daß dieser in allen Fugen krachte.

Zum Glück blieb sie nicht lange ihren grollenden Gedanken überlassen, denn der arabische Diener öffnete die Thür des Vorzimmers und ließ Sonneck ein, der sich mit freundlichem Gruße näherte.

„Ah, Fräulein Mallner! Sie haben von meiner Empfehlung Gebrauch gemacht, wie ich sehe. Wo ist denn Ihre Frau Schwägerin?“

Das Fräulein begrüßte den Landsmann, der offenbar hoch in ihrer Gunst stand, wie einen guten Kameraden, indem sie ihm derb die Hand schüttelte, und deutete dann auf die geschlossene Thür.

„Da drinnen, bei dem Doktor! Er will ihre Lunge untersuchen und mich hat er ohne weiteres ausgesperrt. Ihr vielgerühmter Doktor Walter ist auch kein weißer Rabe, trotz all seiner Höflichkeit und Liebenswürdigkeit. Sobald der Arzt zum Vorschein kommt, wird er grob – so sind sie alle!“

„Ja, so sind sie nun einmal,“ stimmte Sonneck lächelnd bei. „Ich kann Ihnen aber die Versicherung geben, daß Frau Mallner sich in den besten Händen befindet. Doktor Walter hat einen ganz bedeutenden Ruf und gilt für eine Autorität –“

„Bleiben Sie mir mit den Autoritäten vom Leibe!“ rief Ulrike zornig. „Ich habe genug an dem Berliner Geheimrat. Wenn mein seliger Martin wüßte, daß ich mit seiner Frau hier in Afrika umherlaufe, er würde sich im Grabe umdrehen, dreimal hintereinander!“

„Frau Mallner hat wohl sehr jung geheiratet?“ fragte Sonneck, während er neben der erzürnten Dame Platz nahm.

„Mit siebzehn Jahren. Wir hatten sie als Kind in das Haus genommen, als arme Waise, weil wir mit ihren Eltern weitläufig verwandt waren, und als sie herangewachsen war, setzte mein Bruder es sich auf einmal in den Kopf, sie heiraten zu wollen. Ich sagte anfangs Nein.“

„Und Sie hatten natürlich die entscheidende Stimme im Hause,“ warf der Zuhörer mit kaum verhehltem Spotte ein.

„Natürlich, Martin that nichts ohne meine Zustimmung, aber er grämte sich, denn er hatte sich im vollen Ernste verliebt in das junge Ding, trotzdem er längst graue Haare hatte. Er war auch schon lange kränklich, ich hatte die Gutswirtschaft fast allein in Händen und konnte nicht auch noch Krankenpflegerin sein. Ich überlegte mir also die Sache noch einmal und fand, daß es schließlich das beste sei, ihm den Willen zu thun.“

„Und das junge Mädchen hat gleichfalls eingewilligt?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0022.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)