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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Eingewilligt?“ wiederholte Ulrike mit unermeßlichem Erstaunen. „Nun, ich hoffe, sie hat Gott auf den Knien gedankt für das große Glück, das er einer armen Waise zu teil werden ließ! Sie war auch anfangs ganz bestürzt, als wir ihr die Sache ankündigten, und weinte – vor Freude natürlich! Leicht hat sie es freilich nicht gehabt in ihrer dreijährigen Ehe. Mein seliger Martin war kein geduldiger Kranker, da hieß es Tag und Nacht auf den Beinen sein, und im letzten Jahre ist sie überhaupt nicht aus dem Krankenzimmer herausgekommen. Ich war im ganzen mit ihr zufrieden, sie that, was sie konnte.“

„Und dann erkrankte die junge Frau infolge der Ueberanstrengung?“ Es lag ein tiefes Mitleid in der Frage; das Fräulein zuckte verächtlich die Schultern.

„Jawohl, solch ein schwächliches Ding kann ja gar nichts aushalten! Es war nicht so arg mit Selmas Krankheit, sie war bald wieder auf den Beinen, aber der Husten blieb. Das dauerte Jahr und Tag, und dann kam die große Autorität, der Geheimrat, und da war’s aus, rein aus, wir mußten nach Kairo!“

Es sprach eine so grimmige Verzweiflung aus den letzten Worten, daß Sonneck ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

„Sie scheinen das als ein großes Opfer zu betrachten,“ bemerkte er. „Aber Sie haben mir ja selbst erzählt, daß Martinsfelde ganz einsam liegt und Sie fast gar keinen Verkehr dort haben. Da müßte es doch eine Freude sein für Sie und besonders für die junge Frau, einmal in die weite Welt hinauszukommen und fremde Länder und Menschen zu sehen.“

„Für Selma?“ wiederholte Fräulein Mallner in gedehntem Tone. „Nun, ich wollte ihr nicht raten, Geschmack daran zu finden! Denken Sie, ich werde der Witwe meines Bruders erlauben, in der Welt umherzureisen? Einmal habe ich nachgegeben, weil es hieß, ihr Leben stände auf dem Spiel, aber zum zweitenmal geschieht es nicht wieder. Im Frühjahr reisen wir nach Martinsfelde zurück, mit oder ohne Husten! Dahin gehört Selma und da soll sie bleiben, ihr Leben lang!“

Sie stieß zur Bekräftigung der Worte nachdrücklich ihren Schirm auf den Boden. In diesem Augenblick trat der Arzt mit seiner Patientin wieder ein, begrüßte Sonneck und wandte sich dann zu der harrenden Dame, die ihn mit einem erwartungsvollen „Nun?“ empfing.

„Ich schließe mich ganz der Meinung meiner Kollegen an,“ erklärte er. „Der Winteraufenthalt in Aegypten ist unbedingt notwendig für Frau Mallner. Augenblicklich ist sie noch sehr angegriffen von der Reise, ich werde sie deshalb einige Wochen lang hier in Kairo behandeln und später nach einer der großen Nilstationen, wahrscheinlich nach Luksor, schicken.“

„Schicken Sie uns doch lieber gleich zu den Botokuden!“ rief das Fräulein wütend. „Selma, Du bringst mich noch um mit Deinem Husten, nach Afrika hast Du mich schon damit gebracht!“

„Ich kann ja nicht dafür, liebe Ulrike,“ bat die junge Frau so demütig, als habe sie wirklich ein Unrecht begangen. „Du weißt, ich habe es nicht gewollt.“

„Nein, Du wolltest es nicht,“ grollte das Fräulein, „aber die Aerzte wollten es, diese Autoritäten, diese –“ sie verschluckte die ferneren Liebenswürdigkeiten und sah den Doktor nur mit einem vernichtenden Blicke an, was dieser in großer Gemütsruhe ertrug.

„Wenn Ihnen der Aufenthalt hier so unangenehm ist, so ließe sich ja wohl ein Ausweg finden,“ bemerkte er kühl. „Es wird nicht schwer sein, eine ältere deutsche Dame ausfindig zu machen, die die Stelle einer Gesellschafterin bei Frau Mallner übernimmt. Ich mache mich anheischig, das zu vermitteln. Also reisen Sie in Gottesnamen zurück nach Ihrem Hinterpommern, mein Fräulein, Ihre Schwägerin ist hier ganz gut aufgehoben.“

„Ohne mich?“ rief Ulrike starr vor Erstaunen und Empörung. „Ohne mich? Ja, was denken Sie sich denn eigentlich, Herr Doktor? Mein seliger Bruder hat mir auf dem Sterbebette seine Frau übergeben und mir das Versprechen abgenommen, nicht von ihrer Seite zu weichen, und Sie muten mir zu, sie allein zu lassen hier in dem fremden Weltteil! Oder mochtest Du das etwa, Selma?“

„O gewiß nicht,“ versicherte die junge Frau, mit einem halb furchtsamen, halb dankbaren Aufblick zu der gestrengen Schwägerin. „Ich habe ja niemand als Dich auf der Welt, Ulrike! Laß mich nicht allein!“

„Sei ruhig, ich bleibe bei Dir,“ erklärte das Fräulein gnädig und warf einen triumphierenden Blick auf den Doktor, der nur die Achseln zuckte.

„Wenn Frau Mallner Ihr Bleiben wünscht, habe ich natürlich nichts dagegen einzuwenden. Also ich komme übermorgen zu Ihnen, gnädige Frau, und bitte, einstweilen meine Verordnungen pünktlich zu befolgen. Ihnen aber, mein Fräulein, möchte ich zu bedenken geben, daß Ihre Schwägerin eine sehr zarte Natur ist, die der äußersten Schonung bedarf. Auf Wiedersehen, meine Damen!“

Er begleitete die beiden Damen bis zur Thür und kehrte dann zu Sonneck zurück, der ein schweigsamer Zuhörer geblieben war.

„Das ist ja eine merkwürdige Praxis, die Sie mir da zugewiesen haben,“ sagte er lachend. „Dies streitbare Fräulein aus Hinterpommern, das mit allen Aerzten in wütender Fehde lebt und unsereinem fortwährend Injurien ins Antlitz schleudert, ist wirklich ein Original.“

„Das ist sie,“ stimmte Sonneck bei. „Sie steht auch fortwährend auf dem Kriegsfuße mit dem Direktor unseres Hotels und der arabischen Dienerschaft. Ich habe da schon verschiedenemal Frieden stiften müssen und die arme kleine Frau scheint sich willenlos ihrem Scepter zu beugen. – Ist der Fall ein schwerer?“

„Nein, durchaus nicht. Ich habe der jungen Frau die besten Hoffnungen geben können und hoffe, sie vollständig herzustellen. Aber über einen anderen Fall kann ich Ihnen leider nichts Tröstliches berichten. Sie wollen doch wohl hören, wie es mit Herrn von Bernried steht?“

„Allerdings, deshalb komme ich zu Ihnen. Nun?“

„Sein Zustand ist hoffnungslos. Ich sah und wußte es schon gestern, als ich die Untersuchung im Hospital vorgenommen hatte, und als ich heute morgen wieder bei ihm war, sah ich, daß auch ein Hinfristen nicht möglich ist. Ich gebe ihm höchstens noch vierundzwanzig Stunden und wahrscheinlich geht es noch weit schneller zu Ende, denn die Kräfte sinken ungemein rasch.“

„Also doch!“ murmelte Sonneck, und als verließe ihn plötzlich die Selbstbeherrschung, trat er rasch an das Fenster und preßte die Stirn gegen die Scheiben.

„Sie nehmen tieferen Anteil an dem Manne,“ sagte Walter nach einer kurzen Pause. „Ich sah es schon gestern bei unserem Gespräch. Haben Sie ihn früher gekannt?“

Sonneck wandte sich um und man las es in seinen Zügen, wie tief ihn der Ausspruch getroffen hatte.

„Ja, Doktor, wir sind einst Freunde gewesen, Jugendfreunde – bis etwas geschah, was uns trennte. Erlassen Sie es mir, Ihnen das zu erzählen, ich kann es nicht über mich gewinnen in dieser Stunde und ich will nichts aussprechen, was wie eine Anklage klingt. Wir haben uns lange Jahre hindurch nicht wiedergesehen, bis ich ihm vor einigen Wochen hier in Kairo begegnete. Von seinem äußeren Leben erfuhr ich genug, er ist ja bekannt in der ganzen Sportswelt, aber Sie scheinen ihn doch näher gekannt zu haben. Ich hörte, Sie seien früher oft in sein Haus gekommen.“

„Allerdings, denn ich habe Frau von Bernried bis zu ihrem Tode behandelt. Sie war schon krank, als sie vor drei Jahren hierherkamen, und siechte langsam dahin. Man sah es noch, daß sie sehr schön gewesen war, und es heißt ja auch, Bernried habe um ihretwillen mit seiner Familie gebrochen.“

„Ja, er warf damals alles hin, um seiner Leidenschaft zu folgen. Wenn sie nur wenigstens stand gehalten hat! War die Ehe glücklich?“

„Ich glaube kaum. Ein Mann vergiebt es der Frau selten, wenn er um ihretwillen Reichtum und Lebensstellung opfern muß. Mag sie noch so schuldlos daran sein, sie muß das früher oder später büßen, wenn die Leidenschaft verraucht ist. Als ich Bernried kennenlernte, war er schon tief verbittert, zerfallen mit sich und der Welt, angewidert von dem Leben, das doch seine einzige Hilfsquelle war. Ich fürchte, die arme Frau hat das oft entgelten müssen. Wahrhaft geliebt hat er wohl nur eins auf Erden – sein Kind!“

Sonneck erwiderte nichts, er nickte nur stumm, als habe er diese Auskunft erwartet, während der Arzt fortfuhr:

„Wie oft habe ich später versucht, ihn zu bestimmen, die Kleine irgend einer deutschen Familie zur Erziehung anzuvertrauen. Was sollte denn aus ihr werden, wenn sie den größten Teil des Tages einer unwissenden Bonne überlassen blieb, während der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0023.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)