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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

sanken die Lider wie todmüde herab und die Melodie erklang ferner und ferner – sie geleitete ihn hinüber in die Ewigkeit.

„Es geht zu Ende!“ flüsterte der Arzt Sonneck zu. „Aber es wird kein Kampf stattfinden, wir wollen das Kind bei ihm lassen, wenn er noch irgend etwas fühlt, so ist es seine Nähe. – Du darfst Dich jetzt nicht regen, Elsa. Du siehst es ja, der Papa will schlafen. Wecke ihn nicht!“

Die Kleine nickte ernsthaft und verständig und schmiegte leise ihr warmes, rosiges Gesichtchen an die erkaltende Wange des sterbenden Vaters. Tiefes Schweigen herrschte in dem Gemach, das ganz erfüllt war von dem goldigen Glanze der sinkenden Sonne, und durch das offene Fenster sah man weit hinaus in die schimmernde Ferne. Sonneck stand regungslos da, aber ein paar schwere Thränen rollten langsam über seine Wangen, als er auf den Freund blickte, den er im Glanze der Jugend und des Glückes gekannt, den ein einziger falscher Schritt hinausgetrieben hatte in ein unstetes, friedloses Leben und dem der Tod nun als ein Erlöser nahte.

„Vorbei!“ sagte Walter leise und legte seine Hand auf die Brust des Toten, wo kein Atem mehr zu spüren war.

Die kleine Elsa hob das Köpfchen, und mit glücklichem Lächeln zu den beiden Männern aufblickend, flüsterte sie: „Nun schläft der Papa!“

Da beugte sich Sonneck nieder, das Kind emporhebend, schloß er es fest an seine Brust und rief mit ausbrechendem Schmerze:

„Ja, Elsa, er schläft – und das ist gut für ihn, sehr gut! – Wir wollen ihn schlafen lassen!“




Der deutsche Generalkonsul, Herr von Osmar, nahm in Kairo eine in jeder Beziehung hervorragende Stellung ein. In seiner amtlichen Eigenschaft war er selbstverständlich das Haupt der deutschen Kolonie und überdies machten ihn sein Reichtum und seine vielfachen Beziehungen, die bis in die höchsten Kreise hinaufreichten, zu einer sehr einflußreichen Persönlichkeit. In seinem glänzenden, gastfreien Hause verkehrten die Spitzen der Gesellschaft, jeder Fremde von Bedeutung ließ sich dort vorstellen und es galt für eine Auszeichnung, in diesem Hause Zutritt zu haben.

Herr von Osmar war schon seit Jahren Witwer und hatte nicht wieder geheiratet, wohl aus Liebe zu seiner Tochter, der er keine Stiefmutter geben wollte. Ihm war es recht, daß sie noch immer keine Lust zeigte, sich zu vermählen, und gegen all die Bewerbungen, deren Ziel das schöne und reiche Mädchen war, die vollste Gleichgültigkeit zeigte. Er wünschte und erwartete selbstverständlich eine glänzende Partie für Zenaide, aber er hatte durchaus nichts dagegen, wenn dieser Zeitpunkt noch länger hinausgeschoben wurde, die Tochter war ihm allzusehr ans Herz gewachsen.

Das Osmarsche Haus, eine weitläufige, prachtvolle Villa, lag im vornehmsten Teile der Stadt und vereinigte in seiner inneren Einrichtung den europäischen Luxus mit orientalischer Pracht. Nur die persönliche Bedienung des Konsuls und seiner Tochter war deutsch, sonst sah man überall auf Gängen und Treppen die schwarzen oder braunen Gesichter der Eingeborenen in ihrer malerischen Tracht. –

Herr von Osmar befand sich in seinem Arbeitszimmer mit Lord Marwood, der vor einer halben Stunde gekommen war. Das Gespräch der beiden Herren mußte wohl etwas Wichtiges betreffen, denn der junge Lord hatte, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, viel und angelegentlich gesprochen und sah jetzt erwartungsvoll den Konsul an, der mit ruhiger Aufmerksamkeit zuhörte und nun mit derselben Ruhe antwortete:

„Es ist mir gerade kein Geheimnis mehr, was Sie mir da eröffnen, Mylord. Ich habe es längst bemerkt, daß Ihre Besuche in meinem Hause meiner Tochter galten, und die näheren Aufschlüsse, die Sie mir soeben über Ihre Familie und Ihr Vermögen gegeben haben, befriedigen mich in jeder Hinsicht. Aber hier handelt es sich doch vor allen Dingen um die Einwilligung Zenaidens. Ich lasse ihr volle Freiheit, ihrer Neigung und ihrem Herzen zu folgen, aber ich habe, offen gestanden, noch nichts von einer solchen Neigung bemerkt.“

„Ich habe auch noch nicht versucht, mich der jungen Dame zu erklären,“ warf Francis ein. „Ich hielt es für korrekt, mich mit meinem Antrage zunächst an Sie zu wenden, um Ihre Einwilligung und Ihre Fürsprache zu erbitten.“

„Ganz recht, und ich weiß Ihr Vertrauen vollkommen zu schätzen. Aber meine Zenaide hat ein eigenwilliges, romantisches Köpfchen, in dem sich die Welt und das Leben noch so ganz anders malen, als sie in Wirklichkeit sind. Sie will geliebt und gewonnen sein! Wenn da der Vater kommt und ihr ganz nüchtern einen Antrag vorlegt, den er befürwortet, so sagt sie sicher Nein. Ich kenne das, ich bin schon einigemal in diesem Falle gewesen, und eben weil ich Ihnen einen solchen Mißerfolg nicht wünsche, rate ich Ihnen, anders zu Werke zu gehen.“

Der junge Lord zog die Stirne kraus. Man deutete ihm da einen Weg an, den er beim besten Willen nicht gehen konnte, denn die Romantik war seine Sache nun einmal nicht. Er war sich bewußt, mit seinem Reichtum und seinem Range eine glänzende Partie zu sein, selbst für ein so vielumworbenes Mädchen wie Zenaide von Osmar. Er hatte sich mit seiner Werbung ganz „korrekt“ an den Vater gewendet und erwartete eine ebenso „korrekte“ Antwort. Nun mußte er zu seiner Verwunderung erfahren, daß der Konsul die Vermählung seiner Tochter ganz anders behandelte, als dies in den vornehmen englischen Kreisen Sitte war.

„Ich wünschte vorläufig nur zu erfahren,“ hob er wieder an, „wie Sie, Herr Konsul, meine Bitte aufnehmen und ob mir bei Miß Zenaide nicht etwa irgend eine – anderweitige Neigung entgegensteht.“

„Darüber kann ich Sie beruhigen,“ erklärte Herr von Osmar zuversichtlich. „In dem Punkte haben Sie vollkommen freie Bahn bei meiner Tochter.“

„Sind Sie wirklich davon überzeugt?“

„Gewiß, ich wüßte nicht, daß Zenaide irgend jemand von der Gesellschaft besonders auszeichnet.“

„Man kann den Begriff der ‚Gesellschaft‘ sehr weit ziehen und Miß Zenaide scheint das in der That zu thun.“

Die Worte klangen in so unverkennbarer Gereiztheit, daß der Konsul ihn befremdet ansah. „Was soll das heißen? Sie scheinen eine ganz bestimmte Persönlichkeit im Auge zu haben; da muß ich Sie aber doch bitten, sich näher zu erklären. Ich habe keine Ahnung davon, wen Sie meinen.“

„Das sehe ich und bitte im voraus um Entschuldigung, wenn ich Sie auf unliebsame Dinge aufmerksam machen muß. – Herr Sonneck verkehrt sehr viel in Ihrem Hause.“

„Allerdings, er ist einer meiner nächsten Freunde, aber ihn werden Sie doch kaum in Verdacht haben.“

„Nicht ihn, aber seinen Günstling, der ihn stets begleitet und es gründlich auszunutzen weiß, daß er Ihre ‚Faida‘ damals zum Siege geführt hat.“

Osmar stutzte einen Augenblick, dann aber lachte er laut auf.

„Reinhart Ehrwald? Da spielt Ihnen die Eifersucht wirklich einen Streich, Mylord. Der hat ja nichts im Kopfe als die Nilquellen und all die Kämpfe und Abenteuer, die ihn auf dem Zuge erwarten. Er ist weit ungeduldiger, fortzukommen, als Sonneck selbst und kaum mehr in Kairo zu halten. Nein, der träumt nur von der Romantik seines Wüstenzuges, darauf gebe ich Ihnen mein Wort!“

„Und eben das macht ihn interessant für Miß Zenaide,“ sagte Francis mit Nachdruck. „Sie haben es ja selbst vorhin zugestanden, daß sie der Romantik sehr zugänglich ist.“

Der Konsul wurde ernster, aber er schüttelte ungläubig den Kopf. „Thorheit! Meine Tochter hört ihm gern zu, wenn er von seinen Zukunftsplänen schwärmt, das thut sie auch, wenn Sonneck von seinen Fahrten erzählt; sie hat nun einmal eine Vorliebe für solche Dinge, aber von einem persönlichen Interesse ist dabei nicht die Rede. Sie sehen Gespenster, Mylord.“

„Ich will es hoffen,“ sagte Lord Marwood kühl. „Jedenfalls aber möchte ich Sie bitten, die junge Dame einmal zu beobachten, wenn sie im Gespräch ist mit diesem – diesem kecken Glücksritter, der sich einzubilden scheint, daß ihm nichts unerreichbar bleibt, wenn er verwegen genug ist, die Hand danach auszustrecken. Er rechnet wohl auf Ihre Liebe zu der einzigen Tochter, die selbst eine solche Wahl –“

„Das würde ich mir denn doch sehr verbitten!“ fiel Osmar erregt ein. „Wenn ich vorhin erklärte, daß ich der Neigung meiner Tochter freies Spiel lasse, so hatte ich dabei selbstverständlich eine angemessene Wahl im Auge. Aber dieser junge Mann, von dem ich nicht viel mehr weiß als den Namen, über dessen Herkunft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0040.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)