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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

griff, um Geld zu erschwindeln, läßt keinen Zweifel darüber, daß ihr auch bei ihren Zaubereien der Aberglaube lediglich ein Mittel zum Zweck war.

Welchen gefährlichen Charakter unter Umständen solche Schwindeleien annehmen können, zeigt ein anderer Fall. Ein Mädchen war von ihrem Bräutigam trotz gegebenen Eheversprechens verlassen worden, und der Ungetreue hatte eine andere geheiratet. Die Verlassene begab sich zu der Stehli und verlangte von ihr, daß sie durch Zaubermittel bewirken solle, daß die Frau ihres ehemaligen Bräutigams stürbe. Glücklicherweise waren die von der Stehli angewendeten Hexereien wirkungslos. Wie leicht aber dergleichen Dinge höchst bedenkliche Folgen nach sich ziehen können, liegt auf der Hand. Die Hexereien und Zaubereien beschränken sich nicht immer auf sogenannte sympathetische Mittel, und das heimliche Einmischen von gefährlichen Stoffen in Speise und Trank gehört bekanntlich ebenfalls zu den Künsten dieser Art.

Wenn man die Reihe der Personen überblickt, die im Prozeß gegen die Stehli als Zeugen vernommen wurden, so kann man den Gedanken nicht unterdrücken, wie viele Geprellte sich wohl aus Scham oder aus anderen Gründen nicht gemeldet haben mögen! Denn daß der Geschäftsbetrieb der Angeklagten ein recht bedeutender war, unterliegt keinem Zweifel, und es giebt in solchen Fällen immer eine ganze Menge Betrogene, die sich hinterher schämen, öffentlich vor Gericht die Rolle des Hereingefallenen zu spielen. Dieser Umstand kommt in vielen Betrugsprozessen den Betrügern zustatten. Die Angeklagte versuchte übrigens dem erdrückenden Beweismaterial gegenüber keinerlei Ausflüchte, sondern gab alles zu. Ihr Helfershelfer Sturni wollte dagegen von dem Zweck des von ihm besorgten Briefwechsels mit den „Baseler Herren“ keine Kenntnis gehabt haben und behauptete, nicht gewußt zu haben, daß es sich um etwas Strafbares handelte. Es wurde ihm indessen nachgewiesen, daß er einmal sogar seiner Herrin und Meisterin ins Handwerk gepfuscht hatte, indem er einen „Baseler Brief“ an eine Kundin für 11 Mark verkaufte.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft führte in seinem Plaidoyer aus, daß der Gerichtshof geradezu eine Kulturaufgabe erfülle, wenn er eine gemeingefährliche Person von der Art wie die Stehli auf recht lange Zeit unschädlich mache. Der Vertheidiger der Angeklagten konnte als Milderungsgrund lediglich – und leider nicht mit Unrecht! – die ungeheuere Leichtgläubigkeit der Betrogenen ins Feld führen. Die Stehli wurde zu drei Jahren Zuchthaus und 1800 Mark Geldstrafe verurteilt; ihr Helfershelfer kam mit 6 Monaten Gefängnis davon. –

Wie ist es möglich, fragt man sich solchen Enthüllungen gegenüber, daß dergleichen verbohrter Aberglauben noch heutigestags in solchem Umfange gedeihen kann? Haben denn alle diese Personen, die da im Straßburger Hexenprozeß als Betrogene auftraten, nicht unsere Schulen besucht und zum wenigsten doch unsere Volksschulbildung genossen? Sind die Errungenschaften unserer Volksbildung so gänzlich fragwürdiger Natur? Es ist leider wahr, daß der Einfluß der Schule und der sonstigen Volkserziehung, trotz aller redlichen Mühe unserer Volksschullehrer, auf diese Art von Aberglauben nur gering ist. Er vererbt sich neben und trotz aller Volksbildung fort als eine Art von Geheimwissen, an dem weite Kreise der Bevölkerung, namentlich auf dem Lande, zähe festhalten. Ferner muß in Betracht gezogen werden, daß noch bei der überwiegenden Mehrzahl der Menschen die unwiderstehliche Neigung besteht, falls in irgend einer schwierigen Lage keine natürlichen Mittel mehr helfen, zu dem Uebernatürlichen seine Zuflucht zu nehmen.

Alle diese armen Mädchen, die von ihrem Liebsten, von ihrem Bräutigam im Stich gelassen waren, jener Fuhrmann, der seine bedrohte Forderung retten wollte, sie griffen sozusagen zu dem Strohhalm des Ertrinkenden. Diese Neigung kann man nicht nur unter den Leuten aus dem Volke beobachten, auch die gebildeten Kreise sind dem Wunderglauben zugänglich, sobald die geläufigen Mittel erschöpft sind und anscheinend jede Aussicht auf Erfolg entschwunden ist: wenn der berühmte Professor der Medizin den Kranken achselzuckend verlassen hat, so wird nicht selten als letzte Instanz der Wundermann vom Dorfe herbeigeholt! Der Mensch, den das Unglück mürbe gemacht hat, der an geistiger Widerstandsfähigkeit eingebüßt hat, ist immer geneigt, auf das Wunder zu hoffen, wenn im natürlichen Lauf der Dinge nichts mehr zu erwarten ist. In dieser Thatsache ist eine der wichtigsten Nährquellen des Aberglaubens zu finden, und sie erklärt zum Teil den großen Zudrang, den die Wunderdoktoren und ähnliche Leute noch heutigestags haben, und das blinde Vertrauen, das ihnen trotz aller öffentlichen Warnungen und Belehrungen entgegengebracht wird. Wenn die Straßburger „Hexe“ nach Verbüßung ihrer Zuchthausstrafe es wagen sollte, ihr Geschäft von neuem anzufangen, so ist es leider kaum zweifelhaft, daß sie als gewandte Person wieder großen Zulauf haben würde – trotz allem und allem, was geschehen ist. Es wäre wahrlich nicht das erste Mal, daß wir diese Erfahrung machten!

Um so ruchloser ist das Thun solcher Betrüger, die mit vollem Bewußtsein des strafbaren Zweckes diese Neigung der Menschen in gemeiner Gewinnsucht ausbeuten. Sie verdienen die strengsten Strafen des Gesetzes. Wie das Gesetz der Ausbeutung junger und unerfahrener Personen entgegentritt, so soll es auch die armen Unwissenden gegen die Ausbeutung ihrer Schwächen schützen. Der Straßburger Prozeß hat wieder einmal in erschreckender Weise gezeigt, daß die Gefahr, die der Aberglauben im Volke noch heutigestags in sich birgt, nicht zu unterschätzen ist. Ihn zu bekämpfen, muß in erster Linie die Aufgabe der Volksbildung bleiben, seine Ausbeuter und Förderer aber muß der Strafrichter unschädlich machen.




„Vons.“

Erzählung von Hermine Villinger.
(1. Fortsetzung.)


Am nächsten Sonntag war Edu wieder in der Strafe und sprang seelenvergnügt mit Gustel im Hof umher; er hatte mit Absicht sein sammetnes Barett in die Gosse geworfen, um vom sonntäglichen Thee ausgeschlossen zu werden, der allen Reiz für ihn verloren hatte, seit er am Tische des Herrn Schneider dessen nimmer müdes „Nimm Dir – nimm Dir!“ befolgen durfte.

Frau von Feldern aber saß in ihrem schwarzen Seidenkleid, mit einer Tüllrüsche bis an die Ohren, in einem Fauteuil ihres Salons und wartete auf ihre Gäste. Dies war die einzige Zeit, in der sie ihren Händen einmal Ruhe gönnte, denn kaum waren die Gäste gegangen, so waren diese fleischlosen langen Finger schon wieder in Thätigkeit.

Herr von Feldern im grauen Anzug, die Hände mit den langen Manschetten auf dem Rücken, ging unablässig auf und ab, vom Salon in den Speisesaal und umgekehrt. Seine Frau wurde manchmal ganz nervös von dieser „ewigen Pendelei“, wie sie die Promenaden des Gatten nannte, allein sie ließ sich von dem, was in ihr vorging, nichts anmerken; sie sagte sich: etwas muß der Mensch haben, und alles andre wäre teurer als dies Vergnügen!

Kunochen öffnete die Thüre, als es klingelte, und der erste Gast, Frau Müller, eine Dame reifen Alters, kam hereingerauscht – sehr wohlbeleibt, äußerst elegant, mit Schmuck überladen und einer Stimme wie eine Trompete. Frau Müller war die beste Kundin der Frau von Feldern, gab dieser durch ihre Putzsucht reichlich zu verdienen und konnte sie im Grunde ihres Herzens nicht ausstehen; aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Der zweite und letzte Gast des Hauses, Fräulein Malchen, spielte die Vermittlerin zwischen den beiden stets auf dem Kriegsfuß verkehrenden Damen, indem sie es verstand, jeder recht zu geben, und sich selber nie anmaßte, eine Meinung zu haben. Frau von Feldern protegierte in ihr eine Künstlerin; „Malchen“, wie sie im ganzen Theater, vom Intendanten bis zum letzten Choristen, genannt wurde, Malchen war seit ihrem zehnten Jahre ein Mitglied der Hofbühne und all’ die Zeit her nicht um eines Haares Breite von jenem damals eingelernten papageiartigen Ton abgewichen, mit dem sie von den Kinderrollen in die der jugendlichen Zofen und dann allgemach in das Fach der reiferen Vertrauten vorgerückt war.

Und wie sie auf der Bühne nie eine Hauptrolle spielte, so geschah es ihr auch im Leben; nie verließ eine Primadonna oder eine Tragödin das Theater, ohne sich von dem schluchzenden, sie an die Bahn begleitenden Malchen mit Gewalt losreißen zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0063.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)