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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Und die Kleine gab ihm zur Antwort: „Der Eduard weiß gar nicht, was er seiner Mutter zu verdanken hat, aber ich weiß es.“

„Du Viperchen,“ murmelte Herr Schneider, den nichts mehr verdroß als ein Lob auf Frau von Feldern aus dem Munde seines Kindes. Eduard aber ging in sich, indem er sich von neuem aufraffte, ein guter Sohn zu sein, wie es die Gustl von ihm verlangte. Es wurde ihm aber nicht leicht; Frau von Feldern lebte nur noch für ihr Kunochen, der ein beängstigend schlankes, elegantes Bürschlein geworden war und sich eines vornehmen Umgangs erfreute; er blieb zwar in jeder Klasse sitzen, aber meist in guter Gesellschaft, ein Haupttrost für Frau von Feldern. Sie sprach mit Vorliebe von dem Hofmeister ihres Sohnes, worüber sich Frau Müller halb zu Tod ärgerte; Malchen verwertete die Sache zu ihren Gunsten, denn sie konnte nur dabei gewinnen, wenn sie überall erzählte, daß man sich in dem Haus, in dem sie verkehrte, einen Hofmeister hielt.

Eines Tages – Frau von Feldern saß bei der Arbeit, Herr von Feldern war eben vom Bureau gekommen und bürstete seinen grauen Hut aus – läutete es auf dem Vorplatz; Eduard, der in dem kleinen Hofstübchen lernte, öffnete; Kunochen befand sich mit dem Hofmeister im Salon.

„Sie wünschen?“ fragte Frau von Feldern den Eintretenden, dessen spießbürgerliches Aeußere sie nicht veranlaßte, sich die Mühe zu nehmen, aufzustehen.

„Ich bin der Herr Konditor Eberle,“ sagte der Mann, indem er sich ohne Umstände auf den nächsten Stuhl niederließ. „Ihr Sohn, Madamm, beehrt mich oft mit seiner Kundschaft, und das freut mich sehr; aber er hat eine schlechte Gewohnheit, und das thut mir sehr leid; nämlich er ist manchmal ein wenig zerstreut und nimmt etwas mit, das er zu bezahlen vergißt; hier die Liste von den Sachen, die mir durch ihn abhanden gekommen sind – zwei Mark vierzig“ – er breitete ein Papier vor Frau von Feldern aus – „es ist noch nicht viel, aber ich halte es für gescheiter, die Sache nicht anlaufen zu lassen – Ihr Sohn –“

„Unmöglich, unmöglich!“ fiel ihm Frau von Feldern in die Rede, „es muß ein Irrtum sein – einer meiner Söhne – nie!“

„Es ist ganz richtig,“ sagte der Mann. „Ich bin nicht so einer, der jemand ’was Falsches anhängt – stellen Sie ihn mir nur einmal gegenüber, dann werden wir ja sehen!“

Frau von Feldern schoß zur Thüre hinaus.

„Eduard! Eduard!“

Als der Sohn erschien, stieß sie ihn an den Schultern vor den Mann hin: „Solltest Du – solltest Du –?“

„Nein, der ist’s nicht,“ sagte der Konditor, „den kenne ich nicht, es ist ein langes, dürres Jüngelchen mit mattblauen Augen, so ein rechter Hering –“

Jetzt schoß Herr von Feldern, ehe sich’s seine Gattin versah, zur Thüre hinaus und brachte den an allen Gliedern zitternden Kuno herein.

„Ja, der ist’s,“ sagte der Mann, „den braucht man nicht erst zu fragen, gelt, junger Herr, wir kennen uns?“

Kunochen fing an zu heulen. „Ich bin nicht schuld, der Berg hat mich dazu verleitet – er hat auch immer alles aufgegessen!“

Frau von Feldern öffnete mit fieberhaft zitternden Händen ihr Portemonnaie und legte dem Mann ein Dreimarkstück hin: er unterschrieb den Zettel, der auf dem Tisch lag, und suchte das kleine Geld zum Herausgeben zusammen. Frau von Feldern machte eine Bewegung mit der Hand, er möge das Geld behalten, aber der Mann schüttelte den Kopf.

„O, bewahr’, ich will nichts geschenkt, ich danke, und die Sache ist auch noch lang kein Drama, daß man wie ein Jammerbild auszuschauen braucht, Madamm. Eine Tracht Prügel, und die Sach’ ist gut und damit fertig – empfehl’ mich Ihrer werten Kundschaft, gehorsamer Diener.“

Als er draußen war, schlug Frau von Feldern mit krampfhaftem Aufschluchzen die Hände vor das Gesicht und ihr Körper bebte unter dem Gewimmer, das sie umsonst zu unterdrücken suchte.

Es war das erste Mal, daß die Ihren sie weinen sahen. Herr von Feldern ließ sich vor Schreck in einen Lehnstuhl fallen, Kunochen umfaßte die Kniee seiner Mutter und versprach unter heißem Schluchzen, er wolle es nie wieder thun. Eduard sah nur die Thränen seiner Mutter, und sie fielen ihm aufs Herz, daß er die Zähne aufeinander beißen mußte; alles war vergessen, ausgelöscht, daß sie hart und grausam gegen ihn war und ihm den Bruder vorzog; in diesem Augenblicke hätte er ihr alles zulieb gethan, was sie von ihm verlangt hätte.

„Ja, Prügel,“ fuhr sie aus ihrem Schmerze auf, „der Mann hat recht, er soll Prügel haben!“

Kunochen, der in seinem ganzen Leben noch keine Schläge bekommen, fing sofort an zu schreien, als stecke er am Spieß, und flüchtete sich auf allen Vieren unter den Tisch.

„Du,“ fuhr Frau von Feldern auf ihren Mann los, „Du bist sein Vater, Du wirst ihn prügeln, Du mußt auch wissen, wozu Du auf der Welt bist – das geht nicht so weiter – alles kann eine Mutter nicht!“ Sie faßte sich plötzlich. „Der Hofmeister darf nicht wissen, was das ist – ich werde ihn gehen heißen – er braucht nicht zu erfahren, was hier vorgeht – hast Du gehört, Feldern, Du prügelst Deinen Sohn!“

Sie ging.

„Ich – mein Gott, ich –“ der arme Herr von Feldern trippelte in höchster Verzweiflung um den Tisch herum, „wie kann ich denn, wie kann ich denn, ich habe ja in meinem Leben noch keine Seele geprügelt!“

„So werd’ ich’s thun,“ sagte Eduard, riß den Bruder mit kräftiger Hand unter dem Tisch hervor und zog den Widerstrebenden mit hinüber in das kleine Schlafzimmer. Dort warf er ihn nicht eben sanft aufs Bett.

„Sei still, Du unmännlicher Kerl, ich hau’ Dich nicht – pfui Teufel, wie ein kleines Kind gleich loszubrüllen, wenn sich’s um ein paar Schläge handelt! Jawohl, daherkommen kannst Du wie ein feiner Herr und thun wie ein Baron, aber nicht einen Funken Mut hast Du, und feig sein, das ist das Aergste auf der ganzen Welt! Da denk’ jetzt nur darüber nach,“ schloß er seine Rede, „und werd’ so bald wie möglich ein Mann.“

Als Frau von Feldern später den Kopf zur Thüre herein steckte, fand sie den einen ihrer Söhne schlafend, den andern lernend, und es schoß ihr etwas wie eine Ahnung von dem wahren Verhältnis der Dinge durch den Kopf. Sollte, konnte sie sich am Ende in der Beurteilung ihrer Kinder geirrt haben, und reichte Kunos Begabung für die Laufbahn, die sie ihm zugedacht hatte, nicht aus?! Nein, nein, schrie es in ihr auf, fort mit diesen Gedanken, mit diesem Zweifel – war sie nicht seine Mutter – und wenn sie ihre Nächte, ihre Gesundheit und ihr Leben dransetzte, sollte es ihr nicht gelingen, aus ihrem Sohne zu machen, was sie sich vorgenommen?!

Diese Anwandlung ging vorbei. Frau von Feldern schloß die Augen und wollte nicht sehen, Kunochens Martyrium nahm seinen Fortgang. Er war drei Jahre älter als die meisten seiner Mitschüler und fügte sich ohne Widerrede in das ewige Lernen, das seine Mutter von ihm verlangte. Er sprach wenig, ob überhaupt etwas in ihm vorging, hatte noch niemand erfahren; aber er war immer freundlich und ein vollendetes Herrchen vom Scheitel bis zur Zehe.

„Der Kerl hat sich in seinem Leben nie mit einem gebalgt,“ sagte sein Bruder von ihm, „ein Flecken an seinem Rock kränkt ihn mehr, als wenn man ihn Feigling heißt.“

Er hatte gut reden; dank der materiellen Nachhilfe seines Freundes Schneider, war er zu einem kräftigen Menschen herangewachsen, der es leicht hatte, sich zu wehren, und dem die ganze von der Mutter ererbte Energie zu Gebote stand. Er diente jetzt sein Freiwilligenjahr ab, und wenn er des Abends nach Hause kam, trank er am elterlichen Tisch seine Tasse Lindenblütenthee und ging dann durch den Hof in das Schneidersche Eßstübchen, wo er seines Gönners „Nimm Dir – nimm Dir“ sich nicht umsonst gesagt sein ließ. Er war voll Dankes gegen den menschenfreundlichen Mann, der ihm in jeder Beziehung ein Retter gewesen. Wie zu einem Vater hatte er mit ihm von seiner Zukunft gesprochen, hatte ihm erzählt, daß seine Mutter von ihm verlangt habe, seine Lehrzeit im Auslande abzumachen, denn sie wolle keinen gemeinen Krämer zum Sohne haben, lieber wolle sie ihr Kleidergeschäft noch weiter ausdehnen, um ihm das nötige Geld dazu schaffen zu können.

Herr Schneider spie Gift und Galle; immer war es der Hochmut dieser Frau, der ihn weiter trieb, als er eigentlich wollte. So geschah’s, daß er, bloß um sie zu ärgern und ihr zu leid zu leben, dem jungen Mann eine Stelle in seinem Geschäft antrug, mit dem sofortigen Gehalt eines Kommis. Und Eduard

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0080.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)