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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Sie hatten das Palmenwäldchen erreicht, das weit genug von der Straße entfernt lag, um neugierigen Augen die Zusammenkunft zu entziehen. Die Gegner waren noch nicht da, doch wurde jetzt auch ihr Wagen sichtbar. Sie ließen gleichfalls in einiger Entfernung halten und legten den letzten Teil des Wegs zu Fuß zurück.

Eben ging die Sonne auf und die Riesengestalten der Pyramiden, die sich hier in voller Nähe zeigten, leuchteten rot, als sei Leben in den Steinmassen. Kairo selbst lag noch im weißen Nebelduft, der jetzt langsam vor den Sonnenstrahlen zu zerfließen begann. Anfangs waren nur die Höhen des Mokattam und die Türme der Citadelle sichtbar, dann tauchten, wie aus einer schimmernden Flut, die Kuppeln und Minarets hervor, dann die Paläste und die höher gelegenen Punkte, bis sich endlich das ganze weite Häusermeer den Blicken zeigte, die letzten Nebel verwehten und zerflatterten. Kairo hatte sich entschleiert und lag nun da in leuchtender Morgenschönheit.

Reinhart war so versunken in den Anblick, daß er gar nicht auf die Nahenden achtete; erst als sein Gefährte sagte: „Da kommen die Herren!“ fuhr er auf.

„Wer? Ah so, unsere Gegner! Sehen Sie nur diesen wundervollen Anblick! Wenn ich Sonnecks Talent hätte und das in einer Skizze festhalten könnte – das müßte ein Bild geben!“

Doktor Bertram meinte im stillen, daß man jetzt doch wohl an andere Dinge zu denken habe als an Skizzen und Bilder. Die Herren kamen inzwischen näher, Lord Marwood mit dem Lieutenant Hartley, seinem Sekundanten, und dem englischen Oberst, der damals beim Rennen so entschieden für den voraussichtlichen Sieg Bernrieds eingetreten war; überdies hatten sie den Regimentsarzt mitgebracht.

„Alt-England ist in der Majorität!“ spottete Neinhart halblaut. „Welch ein ausführlicher Apparat, weil ein paar Schüsse losgeknallt werden sollen, aber anders thun es die Herren nun einmal nicht.“

„Lord Marwood sieht sehr mißgestimmt aus,“ bemerkte Bertram. „Er scheint die Sache ernster zu nehmen als Sie.“

„Er hat vermutlich aristokratische Beklemmungen wegen des Duells. Sie müssen nämlich wissen, daß er es für eine ungeheure Herablassung hält, sich mit mir zu schlagen, der ich weder einen Stammbaum noch eine Million besitze. Ich habe also eigentlich gar keinen Anspruch auf die Ehre, von Seiner Lordschaft niedergeschossen zu werden, und bin tief durchdrungen von dem Gefühl dieser meiner Unwürdigkeit.“

„Ehrwald, ich bitte Sie, seien Sie ernsthaft!“ mahnte der junge Arzt leise und halb unwillig. Reinhart zuckte nur die Achseln, aber er hatte mit seinem Spott das Richtige getroffen. Lord Marwood bereute es in der That, daß er sich so weit hatte fortreißen lassen, denn durch diese Forderung gestand er dem Gegner ja gerade die gesellschaftliche Berechtigung zu, die er ihm bestreiten wollte. In seinem Hochmut hatte er wirklich geglaubt, ihn mit jener beleidigenden Zurechtweisung unschädlich zu machen, aber als Ehrwald die Beleidigung verdoppelt auf ihn zurückwarf, blieb ihm nur die Wahl, sie entweder hinzunehmen oder zu rächen. Er hatte natürlich das letztere gewählt, aber sein ganzes aristokratisches Bewußtsein empörte sich dagegen, daß er den „Abenteurer“ zu einer Art von Ebenbürtigkeit erhob, indem er sich mit ihm schlug.

Er betrat mit seinen Begleitern jetzt das Wäldchen; den Gegner grüßte er nur mit einem steifen Kopfnicken, während die anderen höfliche, aber kühle Grüße mit Reinhart und Bertram austauschten. Von den Zeugen kannte keiner den wahren Grund der Forderung, sie wußten nur von einer im Gespräch gefallenen Beleidigung von seiten Ehrwalds, die vermutlich durch eine verletzende Aeußerung Marwoods hervorgerufen war; dieser hatte ja nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegen den jungen Deutschen gemacht.

Der ausgewählte Platz lag auf der anderen Seite des Wäldchens, am Rande desselben. Durch die Palmen war man gegen jede Beobachtung von der Straße her gedeckt und drüben auf den weiten Feldern zeigte sich niemand. Oben in der Luft kreiste ein Sperber und ließ seinen heiseren Schrei ertönen, sonst regte sich nichts, ringsum herrschte tiefe Morgenstille.

Die Vorbereitungen waren bald getroffen, die Sekundanten maßen die Schritte ab und luden die Waffen und die beiden Gegner nahmen ihre Plätze ein.

„Sehen Sie nur, wie dieser Ehrwald dasteht,“ sagte der Oberst leise und halb ärgerlich zu Hartley. „Als wenn es zum Tanze ginge!“

„Ich fürchte, es ist sein letzter Uebermut“, gab der junge Offizier ebenso leise zurück. „Marwood hat den ersten Schuß und er ist furchtbar erbittert.“

Reinhart stand in der That nicht da, als gälte es einen Kampf auf Tod und Leben. In seiner Haltung lag jener Uebermut, der gewohnt ist, mit der Gefahr zu spielen, und dem dies Spiel ein Vergnügen ist, und gerade das schien den Lord aufs äußerste zu reizen. Als er langsam die Pistole hob und ihr fest und sicher die Richtung nach der Brust seines Gegners gab, da sah man es an seinem Gesichte, daß er entschlossen war, den verachteten und doch gefürchteten Nebenbuhler aus dem Wege zu schaffen.

Der Oberst gab das Zeichen, da plötzlich schoß der Sperber aus der Höhe herab und stieß in einiger Entfernung auf den Boden nieder, wo er wohl eine Beute erspäht hatte. In demselben Augenblick krachte der Schuß Marwoods, die Kugel pfiff dicht an der Schulter Reinharts vorüber, er selbst stand unverletzt da. Sein Glück hatte ihn in der That nicht im Stiche gelassen, das jähe, blitzartige Niederschießen des Vogels, der sich jetzt, die zappelnde Beute in den Krallen, wieder in die Luft erhob, hatte den Gegner gestört und gerade im entscheidenden Augenblick seiner Waffe die tödliche Richtung genommen.

Jetzt war die Reihe an Ehrwald und in der nächsten Minute schoß auch er, aber er schien gleichfalls gefehlt zu haben. Der Lord stand noch fest an seinem Platze, wandte sich aber plötzlich um und winkte Hartley herbei, dem er in sichtbarer Erregung einige Worte sagte. Dieser antwortete ebenso, und nach einem kurzen, leise geführten Gespräch kam er zu Reinhart hinüber, der, die abgeschossene Pistole noch in der Hand, mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen dastand.

„Lord Marwood läßt Sie um Auskunft darüber ersuchen, Herr Ehrwald, was dieser Schuß eigentlich bedeuten sollte,“ begann der junge Offizier mit scharfer Betonung.

„Bedeuten?“ wiederholte Reinhart anscheinend ganz unbefangen. „Sie werden mich doch hoffentlich nicht dafür verantwortlich machen, meine Herren, daß ich schlecht geschossen habe.“

„Sie haben in die Luft geschossen!“ sagte der Oberst. „Wir sahen es alle und bitten um eine Erklärung.“

„Wozu? Ich habe die Forderung meines Gegners angenommen und mich seiner Kugel gestellt – das übrige ist wohl lediglich meine Sache.“

„Ich dächte, es ginge auch einigermaßen den Lord an. Er hat das Duell ernst genommen.“

„Das sah ich!“ versetzte Reinhart kalt. „Er wünschte mich zu treffen, ich wünschte ihn zu fehlen, wir waren da beiderseitig in unserem Rechte.“

„Wenn das eine Großmut sein soll, so mache ich Ihnen bemerklich, daß sie beleidigend ist,“ sagte Hartley mit Nachdruck. „Lord Marwood setzte selbstverständlich unbedingte Gegenseitigkeit voraus. Ich glaube nicht, daß er mit diesem Gange seine Forderung für erledigt halten wird.“

Reinhart zuckte gleichgültig die Achseln. „Wenn mein Gegner einen zweiten Kugelwechsel für nötig hält, so bin ich bereit, aber ich werde genau so schießen wie das erste Mal.“

„Herr Ehrwald!“

„Mein Wort darauf, Herr Lieutenant!“

Hartley zögerte einen Moment, er wußte offenbar nicht sogleich, wie er sich dieser Erklärung gegenüber verhalten sollte. Dann wandte er sich und ging zu seinem Freunde zurück; die mit diesem nun halblaut geführte Verhandlung schien ziemlich erregt zu sein.

„Sie sind ein Tollkopf!“ sagte Bertram leise. „Ich glaube, Sie wären imstande, Wort zu halten.“

„Gewiß, zweifeln Sie etwa daran?“

„Nein, leider nicht im geringsten. Aber wenn der Lord den tollen Vorschlag nun annimmt?“

„Schwerlich! Zu einem bloßen Mordhandwerk giebt sich Marwood nicht her. Uebrigens stehe ich in jedem Fall bei meinem Worte.“

Nach einigen Minuten kam Hartley zurück und erklärte kurz und förmlich: „Lord Marwood läßt mitteilen, daß er unter diesen Umständen auf die Fortsetzung des Duells verzichtet.“

Reinhart verbeugte sich. „So ist die Sache erledigt und ich habe mich nur den Herren zu empfehlen. Kommen Sie, Doktor!“

Er grüßte noch einmal nach der anderen Seite, was diesmal

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0088.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)