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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Seit Anbeginn seiner Regierung war der Kalifa besorgt, seine Macht im Innern zu stärken, und aus den besten Männern der befreundeten Stämme bildete er die Mulazemie, eine Leibgarde, die bereits gegen 11000 Mann zählt und, streng von der übrigen Einwohnerschaft geschieden, rings um seinen Palast wohnt. Diese Leibgarde begleitet ihn stets, wenn er kurze Ausflüge in die Umgegend oder einen Ritt durch die Stadt unternimmt. Dann verkünden die melancholischen Töne der Umbaià[1], die dumpfen Schläge der Kriegstrommeln den Bewohnern der Stadt, daß der Herr des Landes sich auf den Straßen öffentlich zeigen will. Den ein für allemal geltenden Befehlen gemäß werden sogleich sämtliche Pferde gesattelt und ihre Besitzer erwarten auf einem freien Platze vor dem Palaste den Kalifa, um sich seinem Gefolge anzuschließen. Die Thore werden geöffnet, aus denselben strömen die Massen der Mulazemie und am Schlusse erscheint er selbst, fast immer zu Pferde. Die Mulazemie bilden, wo es der Raum gestattet, ein dichtes Carré um ihn oder marschieren in Reihen von 10 bis 12 Mann ihm voraus. Hinter ihnen strömt zu Pferd und zu Fuß der größte Teil der Stadtbevolkerung nach.

Um seine Macht zu sichern, hat der Kalifa die Befehlshaberstellen im Heere zumeist Leuten aus seinem Stamme anvertraut und die Taascha haben auch die wichtigsten Posten in der Civilverwaltung inne. Diese ist nun gar traurig bestellt. Freunde und Anverwandte des Kalifa haben nicht nur die besten Weiden für sich in Anspruch genommen, sondern durchziehen brandschatzend das Reich und treiben Vieh weg und rauben Menschen, die sie zu ihren Sklaven machen. Die Finanzverwaltung prägt eigenes Geld, aber die Silberthaler enthalten immer weniger Silber. Als die Kaufleute sich weigerten, diese minderwertige Münze anzunehmen, wurden ihre Waren mit Beschlag belegt und die Läden geschlossen, bis sie sich fügten. Auch hat der Kalifa direkt verkehrte Gesetze erlassen, die wie das Verbot der Straußenzucht den Wohlstand des Landes untergraben. Aufbrausend und von heftigem Charakter, handelt er trotz seiner Schlauheit oft unüberlegt, und niemand, selbst sein Bruder nicht, darf es in solchen Momenten wagen, ihm Vorstellungen zu machen. Dabei erfüllt ihn ein heftigen Naturen sonst fremdes, tiefeingewurzeltes Mißtrauen gegen alle, selbst gegen manche seiner nächsten Verwandten. Er glaubt nicht an Treue und Ergebenheit und ist überzeugt, daß jeder im Verkehr mit ihm seine Gefühle verbirgt; Egoismus hält er bei seiner ganzen Umgebung für die Triebfeder alles Handelns. Boshaft und grausam, findet er ein Vergnügen darin, in den Leuten Hoffnungen zu erregen und sie dann zu enttäuschen, ihnen ihr Vermögen zu entziehen, sie in Eisen zu legen, in den Kerker zu werfen und Todesurteile vollziehen zu lassen. Schon bei Lebzeiten des Mahdi wurde er als Urheber aller strengen Maßregeln gegen die Anhänger und aller Unbarmherzigkeit gegen die Feinde angesehen. Er war es auch, der bei dem Sturm auf Chartum befahl, keinen Pardon zu geben, sondern alles niederzumachen. Bei Verteilung der erbeuteten Weiber nimmt er vorbedachterweise keinerlei Rücksicht auf das natürliche Zusammengehörigkeitsgefühl. Mütter werden regelmäßig von ihren Kindern, Geschwister von den Geschwistern getrennt. In raffinierten Grausamkeiten suchte und fand der Kalifa stets sein Vergnügen. Groß ist die Zahl derer, die er ohne jeden stichhaltigen Grund, oft nur seiner Laune folgend, peitschen, verstümmeln und hinrichten ließ.

Seine Begierden und Launen werden dabei durch keine Religion gemäßigt; er ist kein frommer Mann und ein schlechter Prediger; Religionsvorschriften, die ihm nicht passen, hebt er einfach auf. Dabei ist er in hohem Grade abergläubisch, und die Furcht vor Zaubereien treibt ihn, von seinem Volke neue Opfer zu fordern.

Wandert man durch die Straßen Omdermans, so erblickt man an allen Plätzen aufgerichtete Galgen. In der That, der Galgen ist das Symbol der Herrschaft des Kalifa! Und doch ist die Hinrichtung nicht das Schlimmste, was sein Zorn über seine Untergebenen verhängen kann. Weit schlimmere Qualen harren derjenigen, die in das Gefängnis von Omderman geworfen werden.

Das Gefängnis liegt am Südostende der Umfassungsmauer in nächster Nähe des Flusses. Durch ein Thor, das Tag und Nacht von bewaffneten Sklaven bewacht ist, gelangt man in das Innere eines geräumigen Hofes, in dem sich mehrere größere und kleinere isoliert stehende Stein- und Lehmhütten befinden. Um diese herum liegen bei Tag die Unglücklichen, die sich den Zorn des Kalifa zugezogen oder, durch die Kadis verurteilt, hier ihre Vergehen abzubüßen haben, an den Füßen mit eisernen Ringen gefesselt, die durch eine kurze massive Eisenstange miteinander verbunden sind, am Halse eine lange schwere Kette, die sie kaum zu schleppen vermögen – abgemagerte, schmutzige Gestalten mit dem traurigen Gesichtsausdrucke der Ergebung in ein elendes Schicksal. Gewöhnlich herrscht unter den Bejammernswerten tiefe Stille, nur unterbrochen durch das Klirren der Eisen, das rohe Geschrei der Wächter oder den schmerzlichen Klageruf eines Gepeitschten. Die von dem Kalifa behufs verschärfter Bestrafung besonders Bezeichneten werden mit schwereren Eisen belastet in ganz kleinen luft- und lichtlosen Räumen in strengster Einzelhaft gehalten, und von jedem menschlichen Umgange abgeschlossen, bekommen sie kaum die zum Leben allernotwendigste Nahrung. Die große Masse aber liegt tagsüber im Freien und sucht im Schatten der beiden großen Steinhäuser Schutz vor den sengenden Sonnenstrahlen, sich gegenseitig mit leiser Stimme hier und da ein Wort der Klage zuflüsternd.

Von den Nahrungsmitteln, die ihnen von ihren Angehörigen gebracht werden dürfen, eignen sich die Wächter das ihnen am genießbarsten Scheinende an, dann verteilen sie den Rest nach ihrem Belieben unter die halbverhungerten Opfer, so daß es sehr oft vorkommt, daß derjenige, für welchen die paar Bissen bestimmt waren, ganz leer ausgeht. Abends werden die Gefangenen in die Häuser, die fensterlos sind und nicht die geringste Ventilation besitzen, hineingetrieben. Da hilft kein Sträuben, kein Bitten und kein Jammern – gewaltsam werden sie hineingestoßen, so viele, als der Raum nur immer zu fassen vermag; dicht zusammengepfercht ist es den meisten unmöglich, so viel Raum zu gewinnen, um sich nur setzen zu können; durch Hitze und Luftmangel beinahe bis zum Wahnsinn getrieben, ohnmächtig gegen ihre Quäler, drängen, stoßen und treten die Stärkeren ihre schwächeren Leidensgefährten in sinnloser Wut, um sich einen Zoll breit Raum zu verschaffen. Endlich bricht der Morgen an, die mit Eisenketten verschlossenen Thüren werden geöffnet, und heraus wanken in ihrem Schweiße gebadet die Unglücklichen, mehr Leichen ähnlich als lebenden Menschen; im Schatten ihres Gefängnisses erholen sie sich allmählich, um bei anbrechendem Abend wieder derselben grausamen Marter entgegenzugehen.

Und doch giebt es noch schlimmere Leiden in dieser „letzten Station zur Hölle“. Nur ein Beispiel sei berichtet. Seki Tomel, der erste und beste Heerführer des Kalifa, wurde auf dessen Befehl zum Seier, dem Emir dieses Gefängnisses, gebracht und in ein kleines aus Stein gebautes Häuschen gesteckt, dessen Thüröffnung man vermauerte. Durch eine offen gelassene Spalte reichte man ihm in Pausen von mehreren Tagen etwas Wasser, die Nahrung wurde ihm gänzlich entzogen. 23 Tage lang erduldete er die unsäglichsten Qualen; aber so entsetzlich ihn der Hunger peinigte, so gräßlich ihn der Durst quälte, nie vernahm man einen Schmerzenslaut oder ein Wort der Bitte aus der kleinen Spalte dieses eisernen Grabes. Zu stolz, um sich vor seinen Henkern zu demütigen, hielt er die Lippen geschlossen, bis ihm am 24. Tage seiner Marter der Tod als Befreier erschien. Der Seier und seine Genossen hatten an diesem Tage durch die Oeffnung des nun thatsächlich zum Grabe gewordenen Gefängnisses gelugt. Auf Grund ihrer reichen Erfahrungen erwarteten sie für heute den Tod des Gefangenen, und nachdem sie sich an seinem Todeskampfe ergötzt und er ausgelitten hatte, beeilte sich der Seier, die Freudenbotschaft seinem Herrn, dem Kalifa, zu überbringen. Nachts wurde der Leichnam an das Westende der Stadt gebracht und zwischen verfallenen Hütten mit dem Rücken gegen Mekka eingescharrt. (Alle gläubigen Mohammedaner werden mit dem Gesichte gegen Mekka gewendet begraben.) Nach dem Tode noch wollte ihm der unversöhnliche Kalifa seine Ruhe rauben.

Doch genug dieser Beispiele nach Slatins Aufzeichnungen über die im Gefängnisse von Omderman vorgekommenen Greuel, über die vom Seier und seinen Sklaven begangenen Scheußlichkeiten! Hoffen wir, daß den grausamen Kalifa und seine Helfershelfer der rächende Arm der Gerechtigkeit ereilen werde!




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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0091.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Ausgehöhlte Elefantenzähne, die als weithinschallende Kriegshörner benutzt werden.