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den Reichsapfel auf silbernem Kissen General Graf Lehndorff, das Scepter auf goldenem Kissen General v. Werder, die Krone auf goldenem Kissen General Fürst Radziwill und das Reichspanier Generaloberst v. Loë. Den roten Mantel der Ritter des Schwarzen Adlerordens trug auch der Kaiser über der weißen Gardes du Corpsuniform; an der Spitze seines Gefolges schritten die Prinzen des königlichen Hauses und die in Berlin anwesenden Prinzen aus souveränen altfürstlichen Häusern. Während des Aufzugs erscholl aus den linken Tribünenlogen herab fanfarenartige Marschmusik, die sich steigerte, als der Kaiser auf dem Throne Platz nahm, die Fahnen und Standarten sich um ihn ordneten, die Träger von Reichsschwert und Reichspanier hinter ihm auf der mittleren Thronstufe Stellung nahmen und Reichsapfel, Krone, Scepter und Insiegel von ihren Trägern auf die rechts und links vom Kaiser bereitstehenden Taburette gelegt wurden. Die Kaiserin Friedrich, die Kaiserin Auguste Viktoria, sowie die Prinzessinnen mit ihrem Gefolge hatten inzwischen auf den Tribünen rechts vom Throne ihre Plätze genommen.

Unter lautloser Stille verlas dann der Kaiser die Botschaft, welche ihm vom Reichskanzler Fürst Hohenlohe überreicht worden war. Bald jedoch löste sich die Spannung in Aeußerungen begeisterten Beifalls: zuerst als Bismarcks Verdienste um das Reich hervorgehoben wurden, dann als der Wille Deutschlands, seine Einheit und Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten, Betonung fand, als von den idealen Zielen die Rede war, zu denen sich der Kaiser im Namen der heutigen Reichsregierung bekannte. Aber erst nach der Verlesung der Botschaft und nachdem der von ihr geweckte Beifall verhallt war, erreichte der Festakt seinen Höhepunkt. Der Kaiser hatte noch eine besondere Handlung von weihevoller Symbolik vorbereitet, welche dem Gelöbnis der Botschaft einen ganz persönlichen Ausdruck lieh. Er ergriff die hinter ihm bereitstehende Fahne des ersten Garderegiments, senkte sie und sprach mit innerster Bewegtheit die Worte: „Angesichts dieses ehrwürdigen Feldzeichens, welches eine ruhmvolle Geschichte aufzuweisen hat, erneuere ich das Gelübde, für des Volkes und des Landes Ehre und Wohlfahrt einzutreten, sowohl nach außen als nach innen. Ein Reich, ein Volk, ein Gott!“ Unser Bild vergegenwärtigt diesen feierlichen Vorgang. Unter den links im Vordergrund stehenden Rittern des Schwarzen Adlerordens sind die Prinzen Albrecht und Friedrich Leopold, Graf Waldersee, der frühere Minister Puttkamer zu erkennen. Auch sonst hat so mancher Charakterkopf unter den Ministern und Reichstagsabgeordneten Porträttreue. Hinter dem Fürsten Hohenlohe steht der Oberhofmarschall Graf Eulenburg.

Jagderlebnisse. (Zu dem Bilde S. 85.) Der Förster trifft auf dem Gange durch sein Revier den Pächter der angrenzenden Jagd aus der nahen Kreisstadt, einen guten alten Bekannten. Neben ihm trabt ein Junge durch den Schnee, der als Jagdbeute einen stattlichen Hasen an einem Stock auf der Schulter trägt. Nach der Begrüßung berichtet der Städter alsbald seine heutigen Jagderlebnisse. „Meine Frau wollte für morgen gern einen Sonntagsbraten haben, da mußt’ ich ihr schon den Gefallen thun und heute morgen ausrücken. – ‚Nimmst Du den Hektor nicht mit?‘ fragt sie, aber ich sage: ‚Den brauch’ ich nicht.‘ In meiner ganzen Jagd giebt’s keinen Hasen, von dem ich nicht weiß, wo ich ihn bei diesem Wetter suchen muß und wie er läuft. – Ich nehme mir dann beim Wirt am Chausseehaus hier den Anton mit und weise ihn an, sobald ich pfeife, das kleine Birkenwäldchen abzutreiben, tüchtig dabei zu schreien und mit seinem Stock auf das Unterholz zu schlagen. Wenn neuer Schnee gefallen ist, so kann man darauf wetten, daß an dem windabwärts gelegenen Waldrande regelmäßig so ein ‚Krummer‘ sitzt. Wird er ‚aufgestoßen‘, dann rückt er jedesmal auf dem kleinen Feldwege aus, der nach der Eichenschonung hinüber führt. Dort stellte ich mich auf und pfiff dann.“ – „Der Moltke hätt’ keinen feineren Plan schmieden können,“ meint der Förster anerkennend. Der Jagdpächter aber nickt geschmeichelt und fährt dann, immer mehr in Eifer geratend, fort: „Es dauert nicht lange, so seh’ ich Meister Lampe drüben auftauchen. In großen Sprüngen kommt er aus dem Wäldchen bis aufs Feld. Dort bleibt er eine Weile hochaufgerichtet im Schnee sitzen, um sich zu vergewissern, ob die Luft vor ihm auch rein ist. Er läßt die ‚Löffel‘ hin und her gehen – wie der Anton aber näher kommt, macht er sich auf und kommt nun gerade auf mich zu. Aber ein schlauer Bursche war’s, das muß ich sagen. Der Wind blies mir gerade entgegen, ich hielt mich auch ganz mäuschenstill, und trotzdem muß er mich gewittert haben. Im Augenblicke, daß ich anlege, setzt der Bursche blitzschnell zur Seite, schlägt einen scharfen Haken – sehen Sie: so – und wär’ mir im nächsten Augenblick zwischen dem Buschwerk, das dort steht, aus den Augen gewesen. Es war reichlich weit, aber ich kann mich ja auf meine Flinte verlassen, wenn sie auch kein so neumodisches Dings ist, wie man’s jetzt wohl hat. Na, ich schieße also los und da lag er!“ – Der Förster hat schmunzelnd zugehört. Bei sich scheint er zu denken: „Warte nur, wenn wir nach der nächsten Treibjagd abends in der ‚Post‘ sitzen, da will ich auch einmal Geschichten erzählen!“ Und der wackere Weidgeselle sieht ganz so aus, als ob er sich auch auf das „Jägerlatein“ ausgezeichnet verstände. E. M.     

Polnischer Hochzeitsreiter. (Zu dem Bilde S. 89.) Dichter und Maler sind die Sittenschilderer eines Volkes und bewahren mit Feder und Pinsel das Andenken an Bräuche, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr schwinden. So auch Alfred von Kowalski, der jetzt 46jährige polnische Meister. Mag sein „Hochzeitsreiter“ noch so fröhlich in die Welt schauen, daß die weißen Zähne hervorblitzen, und mögen die bunten Bänder am Hut an Farbenpracht auch mit dem breiten gestickten Hüftengurt wetteifern – wie lange noch und auch der drużba gehört der Sage an. Der drużba (in Galizien auch starosta wesela genannt) ist eben der Hochzeitsreiter. Wie der pommersche „Köstebitter“ (Köstebirre) ladet er die Gäste ein, hier und da sogar in scherzhaften Versen, und am großen Tage selbst reitet er stolz dem Zuge der Wagen vorauf. Aber damit sind seine Obliegenheiten noch nicht erschöpft: er arrangiert auch das Mahl, die Tänze u. s. w. Und je nach dem Reichtum des Bauern, der die Hochzeit ausrichtet, hat er wohl bis zwanzig Burschen unter sich, die gleichfalls zu Pferde den Brautzug begleiten.

In den preußisch-polnischen Provinzen ist die Sitte beinahe völlig geschwunden. Das liegt an den sozialen Verhältnissen. Es giebt nur sehr wenig wohlhabende polnische Bauern im östlichsten Deutschland, und wenn man ja in der Prvvinz Posen mal einen drużba sieht, so reitet er nicht stolz den fiedelnden Musikanten voran, sondern sitzt selbst auf dem Wagen – einfach in Ermangelung eines Pferdes. Häufiger ist die Sitte noch in Galizien, und hier kann man den starosta wesela wohl noch treffen, wie er ausgelassen den Hochzeitszug durch die herbstlichen Gefilde nach dem kleinen Landstädtchen führt, wo die Tranung stattfinden soll. Auf dem Hinwege scheint auch noch der Hochzeitsreiter unsres Bildes zu sein; denn bei der Rückkehr sitzt er meistens weniger stramm und schneidig im Sattel. C. B.     

In der Meerenge von Gibraltar. (Zu dem Bilde S. 93.) Ein prachtvoller Tag und ein günstiger Wind schwellt unsere Segel. Wie hurtig rennt das Schiff auf den blauen Wogen des Meeres! Kein Wunder, denn auch die Wellen treiben uns; wir sind in der Strömung, durch die der Atlantische Ocean seine Fluten dem Mittelmeere zuführt. Wir reisen nicht allein; eine „Schule“ von Delphinen, die nach Hunderten oder gar Tausenden zählt, begleitet das Schiff und die lustigen Gesellen ergehen sich in den tollsten Sprüngen, als ob sie uns durch ihre wassergymnastischen Künste ergötzen wollten. Doch heute schenken wir ihrem Treiben nicht die gebührende Aufmerksamkeit; denn auf Größeres, Denkwürdigeres sind unsere Augen gerichtet. Schmal wird das Meer und nur eine Wasserfläche von 13 km Breite trennt hier die Gestade Afrikas und Europas voneinander. Wunderbar, majestätisch ragt aus der Flut der 425 m hohe Felsen von Gibraltar mit dem schönen Leuchtturm auf der Punta Europa zu seinen Füßen. Welche Erinnerungen weckt dieser Anblick in unsrer Seele.

In Gemeinschaft mit dem gegenüberliegenden Ceuta bildete dieser Felsen die berühmten Säulen des Herkules, durch die einst die Phönizier als erstes Kulturvolk sich auf den unendlichen Okeanos hinauswagten. Später war der Felsen der Schlüssel zum Mittelmeere und er wurde zu einer Festung umgewandelt. Wie heiß stritten die Völker um seinen Besitz, wie oft rötete er sich vom Blute der Mauren, Portugiesen, Spanier, Franzosen und Engländer!

Mehr als ein Jahrhundert ist seit den letzten Kämpfen vor Gibraltar (1779–1781) verflossen, aber aus den Höhlen der Felsengalerien oder hinter Panzerwehren blicken noch immer finster mächtige Geschütze. England hält fest an seinem Besitze auf dem äußersten Punkte Spaniens, denn die Bedeutung Gibraltars hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Seit der Eröffnung des Suezkanals liegt ja Gibraltar an einer der wichtigsten Straßen des Weltverkehrs, und fünf- bis sechstausend Dampfer laufen jährlich in dem weiten schönen Hafen ein. Der Handelsverkehr ist allerdings nicht hervorragend, da spanische Häfen der englischen Festung den Rang abgelaufen haben, wohl aber ist Gibraltar ein wichtiges Kohlendepot. Ueber 30 schwimmende Kohlenlager versorgen hier mit Heizmaterial die Dampfer, die nach Indien und Ostafrika steuern.

Tödliche Starre und Oede blickt uns von dem südlichsten Vorsprung Europas entgegen, solange wir Gibraltar aus der Ferne betrachten. Nähern wir uns jedoch der Reede, so wird das Bild anmutig und voll Leben. In jahrhundertelanger Frist hat der Mensch eifrig an dem Felsen herumgearbeitet und selbst auf unzugänglich scheinenden Stellen Mauern, Batterien und Forts errichtet und Galerien in 180 und 240 m Höhe in den Berg hineingesprengt. Am westlichen Abhange liegt aber an den Berg gelehnt die alte Stadt mit 25000 Einwohnern. Rings um dieselbe heben sich wie Oasen Gärten und Haine ab, deren Scholle man mit vieler Mühe dem toten Felsen abgerungen. In diesem warmen und durch die Seeluft gemilderten Klima gedeihen fröhlich alle immergrünen Gewächse des Südens. Berühmt ist aber Gibraltar besonders durch seine Fauna, denn sein Felsen ist der einzige Ort Europas, auf dem noch Affen in wildem Zustande leben. Innus ecaudatus oder Magot heißt die schwanzlose Art und die lustige Bande lebt munter unter dem Schutz strenger Gesetze, die jedwede Verfolgung der letzten europäischen Vierhänder verbieten. *     

Winter im Ilsethal. (Zu unserer Kunstbeilage.) Tausende von unsern Lesern kennen das Ilsethal, mit seinen Ilsefällen und dem sagenumwobenen Ilsenstein – es lebt in ihrer Erinnerung fort, wie sie es als Touristen oder Sommerfrischler um die Zeit der Pfingstmaien oder im blühenden Sommer geschaut. Anders bietet es sich den Blicken des Wanderers in der harten Winterszeit dar; der Wald ist stumm geworden, denn die lustigen gefiederten Sänger haben ihn längst verlassen, stumm liegt auch das Eisenwerk im Hintergrunde, da der grimme Frost die raschen Gebirgswässer überwältigt und gebändigt hat. Wie wunderbar wirkt aber auf den Menschen diese weihevolle Winterstille der Natur! Mit weichem Schnee überschüttet, glitzernd im Diamantschmuck zahlloser Eiskrystalle, ist auch der winterliche Wald schön und giebt dem Künstler dankbare Stimmungsbilder. *     



Inhalt: Fata Morgana. Roman von E. Werner (5. Fortsetzung). S. 85. – Jagderlebnisse. Bild. S. 85. – Polnischer Hochzeitsreiter. Bild S. 89. – Die Schreckensherrschaft des Kalifa Abdullahi im Sudan. Nach Aufzeichnungen von Slatin Pascha. S. 90. – Am Grabe meines Weibes. Gedicht von Emil Rittershaus. Mit Umrahmung. S. 92. – „Vons.“ Erzählung von Hermine Villinger (Schluß). S. 92. – In der Meerenge von Gibraltar. Bild. S. 93. – Die Jubiläumsfeier der Wiedererrichtung des deutschen Reichs im Königsschloß zu Berlin. Bild. S. 96 und 97. – Blätter und Blüten: Die Jubelfeier der Wiedererrichtung des Deutschen Reichs. S. 99. (Zu dem Bilde S. 96 und 97.) – Jagderlebnisse. S. 100. (Zu dem Bilde S. 85.) – Polnischer Hochzeitsreiter. S. 100. (Zu dem Bilde S. 89.) – In der Meerenge von Gibraltar. S. 100. (Zu dem Bilde S. 93.) – Winter im Ilsethal. S. 100. (Zu unserer Kunstbeilage.)


manicula 0 Hierzu Kunstbeilage II: „Winter im Ilsethal.“ Von Ad. Schweitzer.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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